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Die Arbeiten des Herkules, Seite 139 ff. (engl.)

Die achte Arbeit

Die Tötung der neunköpfigen Hydra

(Skorpion, 23. Oktober - 22. November)

Beginnend mit Skorpion wurde die Beschreibung der Sage von Dr. Francis Merchant verfasst, weil sich in A. A. B.s Papieren keine weiteren Texte des Tibeters vorfanden. Für die Einzelheiten der Geschichte verwendete der Autor das beste verfügbare Material und setzte es in den jambischen Rhythmus des Alten Kommentars. Anderes Material von A. A. B. wurde wie bisher weiterverwendet mit einigen notwendigen Straffungen und Neufassungen.

Die Sage

Der grosse Eine, der den Vorsitz führt, gehüllt in strahlende Ruhe, sagte nur ein einziges Wort. Der Lehrer hörte den goldtönenden Befehl und rief Herkules herbei, den Gottessohn, der auch ein Sohn der Menschen war.

«Der Lichtschein fällt jetzt auf das achte Tor,» sagte der Lehrer. «Im alten Argos herrscht eine Dürre. Amymone erfleht die Hilfe Neptuns. Er gebot ihr an einen Fels zu schlagen und als sie's tat, entsprangen ihm drei kristallene Ströme. Doch bald darauf nahm eine Hydra dort ihren Wohnsitz.»

«Am Fluss Amymone liegt der schwärende Sumpf von Lerna. In diesem eklen Schlamm haust nun das Ungeheuer Hydra, eine Plage für das Land. Neun Köpfe hat diese Kreatur, und einer davon ist unsterblich. Rüste dich zum Kampf mit diesem hassenswerten Tier. Und glaube nicht, gewöhnliche Mittel könnten helfen; zerstörst du eins der Häupter, wachsen zwei neue an seiner Stelle.» Wartend stand Herkules.

«Ein Wort des Rates nur darf ich dir geben,» fuhr der Lehrer fort. «Wir erheben uns, indem wir niederknie'n. Wir siegen, wenn wir uns ergeben. Wir gewinnen den Kampf durch Ergeben. Geh, jetzt, o Gottessohn und Sohn des Menschen, und siege!» Durch das achte Tor schritt Herkules.

Der stinkende Morast von Lerna war ein Schandfleck, der alle erschreckte, die in seine Nähe kamen. Sein Gestank verpestete die Luft in einem Umkreis von sieben Meilen. Als Herkules näher kam, musste er anhalten, denn der Geruch allein überwältigte ihn fast. Der schlickige Treibsand war eine Gefahr und mehr als einmal zog Herkules rasch seinen Fuss zurück, um nicht durch den nachgebenden Boden nach unten gesaugt zu werden.

Schliesslich fand er das Lager, wo die ungeheure Bestie sich aufhielt. In einer Höhle, in ewiger Nacht, lag die Hydra verborgen. Tag und Nacht umstreifte Herkules das trügerische Moor, um eine günstige Gelegenheit abzuwarten, wenn das Tier ausfallen würde. Er wartete vergebens. Das Monstrum blieb in seiner stinkenden Höhle.

Nun besann sich Herkules auf eine List. Er tauchte seine Pfeile in brennendes Pech und schoss sie mitten in die gähnende Höhle, in der die Bestie verweilte. Jetzt gewahrte er Unruhe und Bewegung.

Die Hydra kam hervor. Ihre neun wütenden Häupter spien Flammen, ihr schuppiger Schwanz peitschte das Wasser und den Schlamm, die den Herkules von Kopf bis Fuss besudelten. Drei Klafter hoch erhob das Ungeheuer sich, ein Ding von solcher Hässlichkeit, als sei es wohl erdacht von allen schmutzigsten Gedanken seit Anbeginn der Zeit.

Zischend schoss die Hydra vor und suchte des Herkules Füsse zu umschlingen. Er sprang zur Seite und versetzte ihr einen so vernichtenden Hieb, dass eines der Häupter abgetrennt war. Kaum war das schreckliche Haupt im Sumpf verschwunden, schon wuchsen zwei neue an seiner Stelle. Immer wieder griff Herkules das rasende Ungeheuer an, aber es wurde nicht schwächer, sondern stärker.

Da erinnerte sich Herkules der Worte seines Lehrers. «Wir erheben uns, indem wir niederknie'n.» Herkules warf die Keule von sich, kniete nieder, fasste die Hydra mit seinen blossen Händen und hob sie in die Höhe. In der Luft hängend schwand ihre Kraft. So kniend hielt er die Hydra über sich empor, damit die reinigende Luft und das Licht die rechte Wirkung habe. Das Untier, nur stark in Dunkelheit und im morastigen Schlamm, verlor rasch seine Macht, als Sonnenstrahlen und Wind es berührten.

Zuckend wehrte es sich, ein Schauer durchlief seinen abscheulichen Körper. Schwächer und schwächer wurde sein Wehren bis der Sieg errungen war. Die Häupter sanken herab, mit keuchenden Mäulern und glasigen Augen fielen sie zu Boden. Aber erst als die Hydra leblos lag, bemerkte Herkules das mystische Haupt, das unsterblich war.

Dieses eine unsterbliche Haupt schlug Herkules vom Rumpf der Hydra ab und vergrub das noch wild zischende unter einem Felsen.

Zurückgekehrt stand Herkules vor seinem Lehrer. «Der Sieg ist errungen,» sagte dieser. «Das Licht, das an dem achten Tor scheint, ist jetzt mit deinem eigenen vermischt.»

Francis Merchant.

Einführung

Hier gibt es wieder verschiedene Versionen der Sage und wir haben keine Beschreibungen des Tibeters mehr, die uns leiten könnten. Die Sage, dass das neunte Haupt unsterblich gewesen sei, wird scheinbar ungültig durch die klare Feststellung des Tibeters, dass es drei mal drei oder neun Prüfungen waren. Die Auslegung von Francis Merchant scheint genauer zu sein. Sie besagt, dass neun Häupter zerstört wurden und dann das mystische, das unsterbliche Haupt erschien. Des weiteren gibt die Feststellung, dass dieses grosse Haupt «unter einem Felsen begraben wurde», viel Anlass zum Nachdenken. Vielleicht ist die Formulierung «verborgen unter dem Felsen des Willens» hier einleuchtend. Alle Versionen behaupten, es sei so begraben worden.

In einigen Berichten heisst es, dass Herkules die Köpfe wegbrannte, und für diese Art der Vernichtung wäre tatsächlich das göttliche Feuer nötig. Es ist jedoch unmöglich, das kraftvolle Bild des Weltjüngers in dieser hohen Prüfung zu übersehen, wie er in Demut auf die Knie sinkt, das Ungeheuer (alles angesammelte Böse, alle Irrtümer und Fehlschläge seiner langen Vergangenheit) in die Luft des Geistes hebt, in der die Hydra entsprechend ihrer Natur nicht leben konnte, und so, entkräftet starb. Die Anwendung des Feuers bei der Einleitung des Kampfes behält dasselbe Symbol bei.

Obwohl der Geschlechtstrieb unter der Prüfung des Einswerdens der Gegensätze und unter der zweifachen Regentschaft des Mars seinen besonderen Platz hat, ist die Überbetonung dieser einen Seite nicht einschliesslich genug. Alle Gegensatzpaare müssen in diesem grossen Zeichen, dem fortgeschrittenen Zeichen des integrierten, bewussten Jüngers, geeint sein. Es ist nicht das Zeichen eines durchschnittlichen, unentwickelten Menschen als das es so häufig angesehen wird. Wieder muss man sorgfältig lesen und zwischen dem Menschen auf dem gewöhnlichen Rad und dem Jünger auf dem umgekehrten Rad unterscheiden. All das wurde nur gesagt, damit der Leser darüber nachdenken kann, ohne dass wir einen Anspruch auf Autorität erheben wollen.

Psychologische Analyse der Sage

Herkules wurde beauftragt, die neunköpfige Hydra zu finden, die in einem stinkenden Sumpf hauste. Dieses Ungeheuer hat sein subjektives Gegenstück. Es wohnt in den Höhlen des Denkens. Dort, im Schlamm und der Dunkelheit unerleuchteter mentaler Schlupfwinkel kann es gedeihen.

Tief verborgen in den unterirdischen Regionen des Unterbewusstseins, zuweilen ruhig, dann wieder hervorbrechend in lärmender Wut, bereitet sich die Bestie ihren ständigen Wohnsitz. Es ist nicht leicht ihre Existenz zu entdecken. Lange Zeit vergeht, ehe das Einzelwesen erkennt, dass es eine derart wilde Kreatur nährt und erhält. Die brennenden Pfeile flammender Aspiration müssen abgeschossen werden, ehe sich seine Gegenwart enthüllt.

Einen so furchtbaren Feind zu bekämpfen ist in der Tat eine heroische Aufgabe für den Sohn des Menschen, selbst wenn er ein Sohn Gottes ist. Schlage ein Haupt ab, wächst sofort an seiner Stelle ein anderes nach. Jedesmal, wenn ein niederes Begehren oder ein böser Gedanke überwunden ist, treten andere an seine Stelle.

Herkules tut drei Dinge: er erkennt die Existenz der Hydra, sucht geduldig nach ihr und zerstört sie schliesslich. Unterscheidungskraft ist nötig, Geduld um ihr Lager zu finden; Demut, um die schlammigen Bruchstücke des Unterbewussten an die Oberfläche zu bringen und sie dem Licht der Weisheit auszusetzen.

Solange Herkules im Sumpf, mitten in Schlamm, Schmutz und Treibsand kämpfte, war er unfähig, die Hydra zu überwinden. Er musste das Ungeheuer hoch in die Luft heben, das heisst, sein Problem in eine andere Dimension erheben, um es lösen zu können. In aller Demut, im Schmutz kniend, musste er sein Dilemma im Licht der Weisheit und der erhobenen Atmosphäre forschender Gedanken untersuchen. Aus diesen Betrachtungen können wir entnehmen, dass die Antwort auf viele unserer Probleme erst dann kommen kann, wenn die Aufmerksamkeit sich auf einen neuen Brennpunkt richtet, und eine neue Perspektive hergestellt ist.

Eines der Häupter der Hydra, so wird uns gesagt, ist unsterblich. Daraus wäre zu folgern, dass jede Schwierigkeit, wie schlimm sie uns auch erscheinen mag, ein wertvolles Kleinod enthält. Kein Versuch, die niedere Natur zu beherrschen und das Kleinod zu entdecken, ist jemals nutzlos.

Das unsterbliche Haupt, vom Körper abgetrennt, wird unter einem Felsen begraben. Das würde bedeuten, dass die konzentrierte Energie, die ein Problem schafft, noch bleibt, jedoch geläutert, in eine neue Richtung gelenkt und verstärkt, nachdem der Sieg errungen wurde. Diese Macht muss dann richtig kontrolliert und geleitet werden. Unter dem Felsen des beharrlichen Willens wird das unsterbliche Haupt zu einer Quelle der Macht.

Die neun Köpfe der Schlange

Die dem Herkules gestellte Aufgabe hatte neun verschiedene Aspekte. Jedes der Schlangenhäupter repräsentiert eines der Probleme, die den Mutigen bedrängen, der versucht, Meisterschaft über sich selbst zu erlangen. Drei der Häupter symbolisieren die Begierden, die mit Sexualität, komfortabler Bequemlichkeit und Geld verknüpft sind. Die zweite Dreiergruppe betrifft die Leidenschaften der Angst, des Hasses und der Machtgier. Die letzten drei Häupter repräsentieren die Laster des unerleuchteten Denkens, nämlich Hochmut, Absonderung und Grausamkeit. (s. Esoterische Astrologie, S. 217-218)

So sind die Dimensionen der von Herkules unternommenen Aufgabe klar ersichtlich. Er musste die Kunst lernen, diejenigen Energien umzuwandeln, welche die Menschen so häufig in katastrophale Tragödien stürzen. Die neun Kräfte, die seit Anbeginn der Zeit so unaussprechliche Verheerungen unter den Söhnen der Menschen angerichtet haben, mussten in eine neue Richtung gelenkt und umgewandelt werden.

Heute streben die Menschen noch danach, das zu erreichen, was Herkules gelang. Probleme, die aus dem Missbrauch der Energie entstehen, die wir «Sex» nennen, nehmen unsere Aufmerksamkeit allseits gefangen. Die Sucht nach Komfort, Luxus und äusseren Besitz nimmt immer noch sichtlich zu. Die Jagd nach Geld als Endzweck, statt als einem Mittel, lässt das Leben zahlloser Menschen verkümmern. So fordert die Aufgabe, die drei ersten Häupter der Hydra zu zerstören, tausende von Jahren nachdem Herkules diese ausserordentliche Heldentat vollbrachte, noch immer die Kräfte der Menschheit heraus.

Die drei Charakterqualitäten, die Herkules zum Ausdruck bringen musste, waren Demut, Mut und Unterscheidungskraft: die Demut, seine Lage objektiv zu sehen und seine eigenen Mängel zu erkennen; der Mut, das Ungeheuer anzugreifen, das an der Wurzel seiner Natur zusammengerollt lag; die Unterscheidungskraft, ein Mittel zu finden, mit seinem tödlichen Widersacher fertigzuwerden.

Den Pfuhl der niederen Wünsche und egoistischen Triebe aufzudecken, die in der unterbewussten Natur schwären, ist das Werk der modernen Psychoanalyse. Mit dieser Technik werden die unangenehmen Grundlagen unterdrückter Impulse an die Oberfläche gebracht; das ist wahr. Sie führt aber häufig nur bis zu diesem Punkt. Der Mensch erkennt, dass in den unterbewussten Bereichen seines Wesens

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.