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Die unvollendete Autobiographie, Seite 149 ff. (engl.)
einen Höhepunkt erreichen kann, auf dem man so verzweifelt ist, dass man jedes Risiko auf sich nimmt. Ich ging quer durch mein Zimmer und öffnete die Tür, fand aber nur die beiden Geschäftsführer, die sich Gedanken darüber machten, ob ich tot oder lebendig sei und sich fragten, ob sie an die Tür klopfen und mich aufwecken sollten. Sie hatten in Zelten im Garten übernachtet und die beiden Eingeborenen festgenommen, aber dummerweise nicht daran gedacht, laut an meine Tür zu klopfen und mir zuzurufen, in welchem Fall ich keine Angst mehr gehabt hätte. Nach diesem Zwischenfall schlief mein Hausdiener, der alte Bugaloo, eine Zeitlang draussen auf der Veranda, wo ich ihn leicht rufen konnte.

Zwei oder drei Monate später ging ich in die Heimat zurück und verbrachte einige Wochen in einem alten schottischen Haus, in dem ich als Kind jedes Jahr zu Besuch gewesen war. Eine grosse Gesellschaft von ungefähr achtzehn Leuten wohnten zu der Zeit als Hausgäste dort, und der netteste Mann unter ihnen wanderte eines Abends aus Versehen in mein Zimmer, das neben seinem lag. Er hatte im unteren Stock lange gelesen, und beim Heraufkommen hatte der Wind seine Kerze ausgeblasen und gleichzeitig meine Tür aufgestossen. Er hatte seine Tür leicht zu finden gehofft, indem er mit der Hand an der Wand entlang tastete, da seine Tür neben meiner lag. Als er eine Tür offen fand, dachte er natürlich, es sei sein Ankleidezimmer. Inzwischen hatte mich der Wind aufgeweckt, ich war aus dem Bett gesprungen, um das Fenster zu schliessen und dabei prallte ich gegen ihn. Das ereignete sich so kurz nach meinem Erlebnis vor ein paar Monaten, dass es mir nicht gerade half, sondern den Grund zu einem Furchtzustand legte, den ich seitdem nie mehr überwinden konnte.

Ich wurde noch zwei andere Male in meinem Leben in schlimme Angst versetzt, als ich allein zu Hause war, und ich kann nicht behaupten, Mut zu haben; aber ich lasse mich dadurch in meinem Handeln nicht beeinflussen und bleibe allein, wenn es sein muss. Ich habe furchtbare Angst, dass meinen Mädchen etwas zustossen könnte, und da meine Einbildungskraft gern übertreibt, so weiss ich, dass ich einen grossen Teil meines Lebens in Sorge um Dinge verbrachte, die sich nie ereigneten.

Furcht ist eine grundlegende Charakterveranlagung der Menschheit. Jeder hat Angst und jeder hat etwas, was er mit Vorliebe befürchtet. Wenn mir jemand sagt, dass er niemals Angst hat, dann weiss ich, dass er lügt. Furcht ist nichts Beschämendes, und je höher entwickelt ein Mensch ist und je feinfühliger er wird, um so häufiger wird er auf beängstigende Gefühle reagieren. Abgesehen von den eigenen Lieblingsbefürchtungen schalten sich feinempfindliche Menschen auch sehr leicht auf Angstzustände, Gemütsdepressionen und Schreckenserlebnisse ihrer Mitmenschen ein. Sie machen sich also Ängste zu eigen, die ihnen gar nicht gehören, die sie aber von den ihnen selbst innewohnenden Befürchtungen nicht zu unterscheiden wissen. Das ist gerade heutzutage in erschreckendem Mass der Fall. Furcht und Schrecken beherrschen die Welt, und die Menschen lassen sich leicht von Furcht überwältigen. Krieg erregt Furcht. Deutschland hat den Terror taktisch verwertet und sein Möglichstes getan, um den Schrecken der Welt zu steigern. Wir werden lange brauchen, bis wir die Furcht ausmerzen, aber wir machen einen Anfang damit, wenn wir über Sicherheit sprechen und darauf hinarbeiten.

Es gibt Denkschulen, die lehren, dass ängstliche Gedanken, denen man sich hingibt, das Befürchtete in konkrete Erscheinung bringen. Ich persönlich glaube kein Wort davon, denn ich habe mein Leben lang allerlei gefürchtet, was sich nie ereignete; und da ich eine ziemlich starke Denkkraft besitze, hätte bestimmt einiges davon in Erscheinung treten müssen, wenn das möglich gewesen wäre. Man könnte hier fragen, wie man am besten gegen Furcht ankämpfen sollte. Nun, ich kann bloss berichten, was mir selbst in dieser Hinsicht gelungen ist. Ich versuche überhaupt nicht, gegen Furcht anzugehen. Ich stelle mich auf den positiven Standpunkt, dass ich, wenn nötig, mich mit meinen Befürchtungen abfinden muss, und dann beachte ich sie einfach nicht weiter. Ich bekämpfe sie nicht; ich mache mir keine Vorwürfe darüber; ich nehme sie einfach als gegeben hin und gehe dann zur Tagesordnung über. Meiner Meinung nach sollte man lernen, bestehende Tatsachen mit grösserer Geduld hinzunehmen und nicht soviel Zeit darauf vergeuden, sich mit den eigenen Problemen herumzuschlagen. Anderer Leute Probleme sind viel einträglicher im Sinn einer Gelegenheit, behilflich zu sein. Wenn man sich darauf konzentriert, anderen zu dienen, dann lernt man eher, sich selbst zu vergessen.

Ich weiss auch gar nicht, warum ich keine Furcht haben sollte. Die ganze Welt ist voller Furcht, und warum sollte gerade ich von diesem Los der Allgemeinheit verschont bleiben. Das trifft auch auf viele andere Dinge zu. Die Dogmatiker, die den Leuten erzählen, dass sie, weil sie göttlich sind, keinerlei Trübsal, Krankheit oder Armut zu erdulden brauchten, führen das Publikum nur irre. Sie meinen es in den meisten Fällen natürlich ganz ehrlich, aber sie legen den Nachdruck auf die falsche Stelle. Sie verleiten die Leute zu dem Gedanken, dass materieller Wohlstand von grösster Bedeutung ist, dass sie darauf Anspruch haben und ihn auch erlangen werden, wenn sie einfach ihre Göttlichkeit bejahen - eine Göttlichkeit, die zwar vorhanden ist, zu deren praktischer Ausdrucksgebung es ihnen aber noch an eigener Entwicklung mangelt. Warum sollte ich verschont bleiben, wenn die ganze Welt leidet? Wer bin ich, dass ich reich sein sollte, da doch weder Armut noch Reichtum von wirklicher Bedeutung sind? Wer bin ich, dass ich mich vollkommener Gesundheit erfreuen sollte, wenn das derzeitige Schicksal der Menschheit etwas anderes im Sinn zu haben scheint? Wenn ich einmal im Verlauf der Evolution die mir innewohnende Göttlichkeit voll zum Ausdruck bringen kann, dann glaube ich bestimmt, dass ich auch eine vollkommene Gesundheit haben werde. Es wird mir nichts ausmachen, ob ich reich oder arm bin, und es wird mir auch gleich sein, ob ich bei anderen Persönlichkeiten beliebt bin oder nicht.

Ich erwähne das, weil diese Irrlehren im allgemeinen Bewusstsein stark um sich greifen und am Ende nur zu Enttäuschung führen. Es wird einmal eine Zeit kommen, in der wir von allen Gebrechen des Fleisches befreit sein werden, aber wenn es dazu kommt, werden wir uns vorher neue Wertmassstäbe zu eigen gemacht haben und unsere göttlichen Kräfte nicht länger dazu benutzen, um damit materielle Güter für uns selbst zu gewinnen. Alle guten Dinge werden denen zuteil, die vorbildlich leben, die freundlich und zugleich rücksichtsvoll sind. Harmlosigkeit (im geistig-positiven Sinn; Harmlosigkeit bedeutet hier die Geisteshaltung und das Bemühen, niemandem Unrecht oder Leid zuzufügen, niemanden zu verletzen oder zu benachteiligen) ist aber der Schlüssel, und ich überlasse es dem einzelnen Leser, herauszufinden, wie schwierig es ist, in Wort und Tat und Gedanken harmlos zu sein.

Das Leben in Hollywood gestaltete sich jetzt etwas leichter für mich. Die Kinder waren alt genug, um zur Schule bzw. in den Kindergarten zu gehen. Ich hatte viele Freunde. Das Gelände von Krotona, dem Theosophischen Hauptbüro, war wunderhübsch angelegt. Krotona war eine Gemeinschaft von etwa fünfhundert Leuten, von denen einige auf dem Gelände selbst, und andere in Hollywood oder Los Angeles wohnten. Es gab Hörsäle, Klassenräume, einen Andachtsraum für die Mitglieder der Esoterischen Sektion und eine sogenannte Cafeteria, d.h. ein Kasino mit Selbstbedienung. Alles war wunderbar organisiert, und als ich zum ersten Mal dorthin kam, erschien mir der Platz wie ein Paradies auf Erden. Es schienen mir alle tief geistige Menschen zu sein. Ich dachte, die Leiter und Lehrer wären zumindest Eingeweihte hohen Grades. Ich beteiligte mich an Versammlungen und am Klassenunterricht und lernte mancherlei, wofür ich sehr dankbar bin.

Nach kurzer Zeit bot man mir die Verwaltung des Kasinos an, und in meinem gesegneten Unverstand übernahm ich diese Verantwortung mit Freuden. Die Verpflegung war natürlich rein vegetarisch, und ich selbst war Vegetarier geworden, seitdem ich mit der theosophischen Lehre in Berührung gekommen war. Meine Kinder wussten nicht, wie Fisch oder Fleisch schmeckt, und ich selbst litt unter dem üblichen Überlegenheitskomplex, der für viele Vegetarier so bezeichnend ist.

Ich bin überzeugt, dass es für alle Jünger eine Lebensphase gibt, in der sie Vegetarier sein müssen. In gleicher Weise muss einmal ein Leben kommen, in dem ein Mann oder eine Frau sich der Ehe enthalten sollte. Das ist notwendig, um zu beweisen, dass sie ihre physische Natur zu beherrschen gelernt haben. Wenn sie einmal diese Selbstbeherrschung erlernt haben und sich nicht mehr von den Gelüsten des Fleisches beeinflussen lassen, dann können sie heiraten oder unverheiratet bleiben, Fleisch essen oder auch nicht, je nachdem, wie es ihnen beliebt und wie es ihr Karma bestimmt oder die äusseren Umstände angezeigt erscheinen lassen. Ist der Beweis einmal geliefert, dann ändert sich eben die Lage. Die körperlichen Disziplinen sind eine Phase der Schulung, und wenn die Lektion gelernt wurde, dann sind sie nicht mehr notwendig.

Die Behauptung, man müsse vegetarisch leben, weil das Verzehren von Tieren grausam sei, lässt sich vielleicht doch nicht so gut begründen, wie rein gefühlsmässige und sentimentale Leute denken mögen. Ich habe mir darüber viel Gedanken gemacht, weil ich Tiere liebe. Hierzu möchte ich zwei Hinweise geben, die mir selbst geholfen haben. Es gibt ein Gesetz des Opfers, dem der gesamte Evolutionsvorgang unterliegt. Das Pflanzenreich zieht seine Nahrung aus dem Mineralreich, denn es wurzelt darin. Das Tierreich entnimmt seine Nahrung zum grössten Teil der Pflanzenwelt und erhält sich auf Kosten dieses Naturreiches. Einige höherentwickelte Tierarten sind Fleischfresser und leben gemäss dem Evolutiosgesetz von anderen Tieren, aber sie werden dazu nicht durch menschliches Denken ermuntert, wie manche Fanatiker behaupten. Demzufolge liesse sich also vom Menschen erwarten, dass er seine Nahrung dem Tierreich entnimmt, und da er ausserdem der Makrokosmos für alle drei niederen Naturreiche ist, so sollte er normalerweise seine Lebenskraft aus allen dreien schöpfen; und das tut er ja auch. In den alten Schriften des Orients wird darauf hingewiesen, dass das Menschenreich «die Speise der Götter» ist, und mit dieser Feststellung vervollständigt sich die «grosse Opferkette». Mein zweiter Standpunkt bezieht sich auf das Gesetz von Ursache und Wirkung oder das Gesetz vom Karma, wie die Theosophen es nennen. In grauer Vorzeit fiel der Urmensch dem Tierreich ziemlich wehrlos zum Opfer. Die wilden Tiere jener Zeit machten sich die Menschen zur Beute. In allen Naturreichen wirkt das Gesetz der Vergeltung. Möglicherweise liegt in diesem Gesetz einer der Gründe, weshalb die Menschheit zum Fleischessen neigt. So habe ich es mir wenigstens in meinem eigenen Bewusstsein im Lauf der Zeit ganz allmählich zurechtgelegt.

Ich leitete das Kasino, und wurde mit der Zeit eine gute, vegetarische Köchin. Meine erste Arbeit in Krotona war das Ausleeren der Abfalleimer, so dass ich mich also von ganz unten herauf einarbeitete, und ich beobachtete die Leute - die mir meistens ganz unbekannt waren - mit grossem Interesse. Sehr viele von ihnen hatte ich äusserst gern; einige waren mir gründlich zuwider. Ich kam zu zwei Schlussfolgerungen: Erstens, dass sie trotz allen Geredes über eine ausgeglichene Diät nicht gerade besonders gesund waren und zweitens, dass sie sich um so kritischer und überlegener benahmen, je fanatischer sie an vegetarische Kost glaubten. Es gab da Vegetarier in Krotona, die weder Käse noch Milch noch Eier essen wollten, weil das tierische Produkte waren; und dabei hielten sie sich für sehr gut und waren der Ansicht, auf dem Weg zu geistiger Erleuchtung weit voraus zu sein. Aber niemandes guter Ruf war vor ihnen sicher. Darüber habe ich oft nachgedacht und bin zur klaren Schlussfolgerung gekommen, dass es besser ist, Beefsteak zu essen und über andere freundlich zu sprechen, als streng vegetarisch zu leben und mit einem Gefühl der Überlegenheit auf diese Welt herabzusehen. Wiederum weiss ich natürlich, dass Verallgemeinerungen nie ganz zutreffen. Ich habe viele gute, liebenswürdige, angenehme und freundliche Vegetarier kennengelernt.

In diesem Jahr 1918 kam ich zum ersten Mal darauf, wer mich damals in Schottland aufgesucht hatte, als ich ein fünfzehnjähriges Mädchen war. Ich war in die Esoterische Sektion (E. S.) der Theosophischen Gesellschaft aufgenommen worden und nahm an ihren Sitzungen teil. Als ich zum ersten Mal den Andachtsraum betrat, sah ich die üblichen Bilder von Christus und den Meistern der Weisheit, wie die Theosophen sie nennen. Zu meiner Überraschung fand ich darunter das Bild meines Besuchers, der mir direkt ins Auge fiel. Es lag bestimmt kein Irrtum vor. Das war der Mann, der ins Wohnzimmer meiner Tante gekommen war, und es war nicht der Meister Jesus. In meiner Unerfahrenheit wandte ich mich sogleich an ein älteres Mitglied und erkundigte mich nach dem Namen des Meisters. Man sagte mir, es sei der Meister K. H., und dann beging ich einen grundsätzlichen Fehler, für den ich seitdem büssen musste. Ich dachte, die Anwesenden würden sich mit mir freuen, und ohne die geringste Absicht, irgendwie zu prahlen, sagte ich in aller Unschuld, «Oh, dann muss er mein Meister sein, denn ich habe mit ihm gesprochen und seitdem unter seiner Führung gestanden». Der Befragte sah mich nur an und sagte in ziemlich vernichtendem Ton: «Soll ich etwa daraus entnehmen, dass sie sich für eine Jüngerin halten?» Zum ersten Mal in meinem Leben war ich auf die Konkurrenztechnik der Theosophischen Gesellschaft gestossen. Immerhin war das für mich eine heilsame Lehre, und ich habe daraus Nutzen gezogen. Dass man seinen Mund halten lernt, ist ein wesentliches Erfordernis für die Gruppenarbeit

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.