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Der Yoga-Pfad (die Yoga Sutras von Patanjali), Seite 397 ff. (engl.)

2. Die Auswirkung oder Folge #die Persönlichkeit

3. Der Lebenswille #die mentale Lebenskraft

4. Das sich nach aussen richtende Leben #das Objekt

Wenn die Ursache (das Verlangen) ihre Wirkung, nämlich die Persönlichkeit oder den Formaspekt des Menschen hervorgebracht hat, dann wird die Form so lange weiterleben, wie der Wille zum Leben besteht. Ihr Dasein wird durch mentale Lebenskraft erhalten. Das hat sich in den Annalen der Medizin immer wieder gezeigt, denn es hat sich erwiesen, dass das Leben auf der physischen Ebene wahrscheinlich so lange dauert, wie der Lebenswille besteht; in dem Augenblick aber, da dieser Wille nachlässt, oder wenn der im Körper Wohnende an der körperlichen Erscheinungsform nicht mehr interessiert ist, tritt der Tod ein, und es kommt zur Auflösung der Gedankenform, des Körpers.

Es ist interessant, die okkulte Bedeutung zu beachten, die in den Worten liegt: «die Stütze oder den Halt, den ihnen das nach aussen gerichtete Leben (oder Objekt) gibt». Diese Worte bestätigen nämlich die okkulte Lehre, dass der Lebensstrom von seinem Ursprung herabströmt und sein Objekt (oder seine endgültige Manifestation) im Lebens- oder Ätherkörper findet, der die wahre Substanz einer jeden Form ist und die Stütze oder das Gerüst des dichten physischen Körpers bildet.

Diese vier Faktoren können in zwei Gruppen oder Gegensatzpaare eingeteilt werden: Erstens, in die Ursache und die Wirkung, [398] und zweitens in den Willen-zu-sein und die eigentliche Form.

Während langer Zwischenräume im Entwicklungsprozess hat der Bewohner der Form einzig und allein am Objekt oder Formdasein ein Interesse; und das nach aussen strömende Leben ist der einzige Anziehungspunkt.

Aber in dem Mass, in dem sich das Rad dreht und Erfahrung auf Erfahrung gemacht wird, erreicht die Wunschnatur den Grad der Sättigung und ist befriedigt; nach und nach hört das Erschaffen von Gedankenformen auf, und es werden keine Wirkungen mehr hervorgerufen. Folglich entstehen keine Formen mehr, ein Leben in der äusseren Erscheinungswelt wird nicht mehr angestrebt, und so wird die Befreiung von Maja und Illusion erlangt.

12. Vergangenheit und Gegenwart bestehen wirklich. Die im Zeitbegriff der Gegenwart angenommene Form ist das Ergebnis entwickelter Eigenschaften und enthält latent die Keime zukünftiger Qualitäten.

Hier sind die drei Aspekte des Ewigen Jetzt formuliert. Wir begreifen, dass das, was wir heute sind, das Ergebnis der Vergangenheit ist, und dass das, was wir in Zukunft sein werden, bedingt ist durch die Saat, die entweder in uns schlummert oder im gegenwärtigen Leben gesät wird. Das, was in der Vergangenheit gesät worden ist, ist existent, nichts kann die Ausreifung dieser Saat aufhalten oder verhindern. Sie muss in diesem Leben Früchte tragen oder so lange verborgen bleiben, bis ein günstigerer Boden und passendere Bedingungen sie keimen, wachsen und in das klare Licht des Tages kommen lässt. Nichts ist verborgen, das nicht offenbar werden [399] wird, nichts so geheim, dass es nicht bekannt würde. Die Aussaat von neuem Samen und das Einleiten von Handlungen, die sich zu irgendeiner späteren Zeit auswirken müssen, hängt jedoch ganz vom Willen des Menschen ab. Durch unermüdliches Streben nach Leidenschaftslosigkeit und Nicht-Anhangen, und durch beharrliche Beherrschung der Wunschnatur wird es dem Menschen möglich, sich umzustellen, so dass seine Aufmerksamkeit nicht mehr durch den Strom von Gedankenbildern nach aussen gelenkt wird, sondern nach innen gerichtet und völlig auf die Wirklichkeit konzentriert ist.

Das wird dadurch angebahnt, dass zunächst das Instrument des Denkens, das Denkvermögen beherrscht wird, und dass die Modifikationen des Denkprinzips überwunden werden. Sodann wird dieser Mechanismus nicht mehr dazu benutzt, um ein grösseres Wissen über die Welt der Materie zu erlangen, sondern vielmehr dazu, um ein Wissen über das Reich der Seele zu erlangen. So wird wiederum Befreiung erreicht.

13. Die Eigenschaften - ob latent oder wirksam - nehmen die Natur oder das Wesen der drei Gunas (der Eigenschaften der Materie) an.

Die kennzeichnenden Eigenschaften sind in Wirklichkeit die Qualitäten, Fähigkeiten und Anlagen, die der Mensch zum Ausdruck bringt oder bringen kann, wenn die richtigen Bedingungen gegeben sind. Diese sind, wie wir gesehen haben, die Folgen oder Auswirkungen seiner gesamten Erfahrungen, die er im vergangenen Leben bis auf den heutigen Tag gemacht hat. Alles, was er in der Gegenwart ist und hat, ist das Produkt aller Kontakte, Entfaltungen und Entwicklungen, die er seit seiner Individualisierung bis zum gegenwärtigen [400] Dasein erlebt hat. Es ist zu beachten, dass alle diese Faktoren, die unter der allgemeinen Bezeichnung «Eigenschaften» zusammengefasst sind, mit der Form und deren Empfänglichkeit für das innewohnende geistige Leben zu tun haben.

Diese Eigenschaften werden in dem Tempo entwickelt, wie das innewohnende geistige Leben die Substanz der Formen beeindrucken, seinem Willen unterwerfen und kontrollieren kann. Die Form hat gewisse, ihrer Natur innewohnende Schwingungsfähigkeiten. Dadurch, dass der Bewohner sich mit der Form identifiziert und sie benützt, entwickelt er zwei Gruppen von Eigenschaften. Die eine manifestiert sich in der Form des niederen Selbstes und betrifft die Fähigkeit der Form, sich inneren Einflüssen und der äusseren Umwelt anpassen zu können. Die andere Kategorie bezieht sich auf Tendenzen und Impulse, die bestrebt sind, ständig auf den Körper des höheren oder kausalen Selbstes einzuwirken. Daher haben diese Eigenschaften in beiden Fällen mit dem Rhythmus oder den Eigenschaften der Materie zu tun.

Man könnte sagen, dass das, was wir sind, das Produkt der Vergangenheit ist und sich als charakteristische Eigenschaften der Persönlichkeitsform zeigt. Was wir in der nächsten Verkörperung sein werden, wird dadurch bestimmt, inwieweit der geistige Mensch imstande ist, das persönliche Selbst zu beeinflussen, es auf höhere Ziele hinzulenken und dessen Schwingungsfrequenz zu erhöhen. Der Mensch ist bei seinem Austritt aus der Verkörperung ein anderer, als er es bei seinem Eintritt in die Verkörperung war, denn er ist dann das Produkt der Vergangenheit plus dem, was er im gegenwärtigen Leben erreicht hat. Dieser Fortschritt brachte ihn - unter dem starken Antrieb der Evolution - in einen sattvischen oder rhythmischen, harmonischen Zustand, hinweg vom tamasischen [401] Zustand der Beharrung, der Trägheit. Das wird dadurch erreicht, dass dem Menschen der Tätigkeitstrieb, das Wesensmerkmal des mittleren Guna, aufgezwungen wird, der vorwiegend die nach aussen gerichtete Tätigkeit beherrscht und den Menschen in die Sinneserfahrung treibt.

14. Die Manifestation der objektiven Form ist die Folge davon, dass die Ursache (die Vereinheitlichung der Chitta Modifikationen) unablässig ihr Ziel verfolgt und so die Wirkung hervorbringt.

Der Antrieb zur Involution oder zum Annehmen einer Form ist die Folge egoischen Denkens, das so stark und zielstrebig ist, dass die objektive Manifestation zwangsläufig erfolgen muss. Das Chitta oder die Denksubstanz wird in dem grossen Prozess der Formen-Annahme so vereinheitlicht, und das Verlangen, durch Kontakte auf der physischen Ebene Erfahrungen zu sammeln, ist so vorherrschend, dass die vielen Modifikationen des Denkens alle auf das gleiche Ziel gerichtet sind.

Wenn der Zustand umgekehrt ist und der Mensch auf der physischen Ebene seine Befreiung erlangt, so geschieht das nach der gleichen Methode, nämlich durch Konzentration auf dieses Ziel und durch Vereinheitlichung. Der alte Kommentar erläutert dies in einigen Worten, die sich auf die Symbolik des fünfstrahligen Sterns beziehen. Sie lauten wie folgt:

«Der Sturz führt hinab in die Materie. Der Punkt steigt hinunter durchstösst die Sphäre des Wassers und dringt ein in das, was träge, unbeweglich, dunkel, still und fernliegend erscheint. Der feurige Punkt und der Stein vereinigen sieh, und so sind Harmonie und Einheit auf dem abwärtsführenden Weg erreicht.

«Der Flug [402] geht aufwärts, in das Geistige. Der Punkt steigt auf, die beiden mit sich emporhebend, und er lässt die Drei und Vier nach dem streben, was hinter dem Schleier liegt. Das Wasser kann den feurigen Punkt nicht auslöschen; so trifft Feuer auf Feuer und verschmilzt miteinander. Harmonie und Einssein auf dem aufwärtsführenden Bogen sind erreicht. So wird die Sonne ihre Bahn nordwärts ziehen».

15. Bewusstsein und Form sind verschieden und voneinander getrennt; obwohl die Formen ähnlich sein mögen, so kann dennoch das Bewusstsein auf verschiedenen Seins-Ebenen wirken.

Dieser Satz sollte nicht ohne den folgenden Lehrspruch betrachtet werden, der auf die Tatsache der einen grossen Denkkraft oder des einen grossen Lebens hinweist, das die mächtige Ursache aller differenzierten kleineren Denkkräfte und Lebewesen ist. Diese Tatsache muss stets beachtet werden. Drei Hauptgedanken sind in diesem Lehrspruch enthalten.

Erstens, dass es zwei grosse Entwicklungslinien gibt. Die eine betrifft Materie und Form, die andere die Seele, den Bewusstseins-Aspekt, den Denker in der Form. Der Weg und Verlauf des Fortschritts ist für beide verschieden, und jeder folgt seinem eigenen Kurs. Es wurde bereits gesagt, dass sich die Seele lange Zeit hindurch mit dem Form-Aspekt identifiziert und den, «Weg des Todes» geht, denn das ist der dunkle Pfad tatsächlich für den Denker. Später hört diese Identifizierung als Folge angestrengten Bemühens auf. Die Seele wird sich ihrer selbst und ihres eigenen Weges (oder Dharmas) bewusst und geht dann den Weg des Lichtes und Lebens. Man sollte indes beachten, dass für beide Aspekte der bestimmungsgemässe Weg der richtige ist, und dass die Impulse, die im physischen Körper und im Astralkörper verborgen liegen, an sich nicht [403] falsch sind. Sie werden in gewisser Hinsicht verkehrt, wenn ihre richtige Entwicklungslinie nicht beachtet wird; und diese Erkenntnis war es, die Hiob ausrufen liess: «Ich habe das verkehrt, was richtig war». Die beiden Entwicklungen verlaufen getrennt und sind voneinander verschieden; und das muss jeder Aspirant lernen.

Wer das erkannt hat, ist bestrebt, die Entwicklung seiner Formen auf zwei Arten zu unterstützen; erstens, indem er sich nicht mit ihnen identifiziert; und zweitens, indem er sie stimuliert.

Durch das Hereinbringen von geistiger Kraft erkennt er auch den Punkt der Entwicklung, an dem sich seine Brüder befinden, und er hört auf, sie für Handlungen zu kritisieren, die ihm als falsch erscheinen, die aber für sie natürliche Aktivitäten der Form sind, und zwar so lange, wie Form und Seele als ein und dasselbe angesehen werden.

Der zweite Hauptgedanke, der in diesem Lehrspruch enthalten ist, ist schwieriger auszudrücken. Er unterstützt die Behauptung vieler Denker, dass die Dinge nur insofern existieren, Form haben und aktiv sind, als die Denkkraft des Denkers sie prägt und formt. Mit anderen Worten, dass wir durch die Modifikationen unseres Denkprinzips unsere eigene Welt bilden und uns unsere Umwelt schaffen. Die Schlussfolgerung ist daher die, dass wir die (als Tatsache angenommene) eine Grundsubstanz - Geist-Materie - durch unsere eigenen Denkimpulse zu Formen verweben. Andere sehen das, was wir sehen, auch, weil einige der Modifikationen ihres Denkens den unseren gleich sind und weil ihre Reaktionen und Impulse in [404] gewisser Hinsicht den unseren ähnlich sind. Aber es gibt kaum zwei Menschen, die ein Objekt auf genau die gleiche Weise sehen. «Dinge» oder Formen der Materie bestehen wirklich; sie sind geschaffen oder im Prozess des Werdens, und für sie ist ein Denker oder eine Denkergruppe verantwortlich. Es ergibt sich nun die Frage, wer für die Gedankenformen verantwortlich ist, von denen wir umgeben sind. Die Übersetzung und der Kommentar von Dvidedi neigt mehr zu diesem zweiten Gedankengang als die Paraphrase des Tibeters, und es ist von Nutzen, sie zu studieren; denn daran, dass ein Problem viele Denker bewegt, kann seine Wichtigkeit ermessen werden; müssige und oberflächliche Schlussfolgerungen werden vermieden, und die Annäherung an die Wahrheit wird möglich. Eine vielseitige Betrachtung kommt der Wahrheit näher als eine spezialisierte. Er sagt:

«Obwohl es sich um gleiche Dinge handelt, ist infolge der Verschiedenheit der Denker die Ursache des Denkens und der Dinge verschieden».

«Die voraufgegangenen Betrachtungen bestätigen indirekt das Vorhandensein von Dingen, die nicht aus dem Denken kommen. Die Vijnanavadi-Buddhas, die behaupten, dass Dinge nur die Reflektionen unseres Denkprinzips sind, würden einem solchen Standpunkt widersprechen. Der Einspruch würde einer Untersuchung nicht standhalten, denn das Bestehen von Dingen ausserhalb des Denkprinzips ist sicher. Obwohl tatsächlich eine völlige Gleichheit zwischen gleichartigen Objekten besteht, so ist doch die Art und Weise, wie die Objekte auf das Denken einwirken, und die Art, wie sich das Denken davon beeindrucken lässt, völlig verschieden. Darum bestehen Objekte ausserhalb des Denkprinzips. Auch wenn es sich um gleichartige Objekte handelt, erscheinen sie den verschiedenen Denkern dennoch nicht in demselben Licht. Das beweist, dass [405] sie ausserhalb des

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.