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Der Yoga-Pfad (die Yoga Sutras von Patanjali), Seite 389 ff. (engl.)
Der Yogi ist nun ein befreiter Mensch, befreit von den durch die Form bedingten Zuständen und Einwirkungen; der Brennpunkt seines Bewusstseins liegt ausserhalb der Grenzen der drei Welten menschlichen Bemühens. Er hat die Bezirke des reinen Denkens erreicht, und sein Bewusstsein bleibt klar, frei von Verlangen. Obwohl er Gedanken formuliert, obwohl er äusserst wirksam meditieren und die «Modifizierungen [390] des Denkprinzips» lenken und beherrschen kann, schafft er dennoch keine Bedingungen, die ihn in den Strudel des irdischen Daseins zurückziehen könnten. Er ist befreit vom Karma, schafft kein neues mehr, und nichts kann ihn wieder an das Rad der Wiedergeburt binden.

Vyasa sagt in seinem Kommentar, dass Karma (oder Handeln) von vielerlei Art ist:

1. Die Handlungen, die übel, böse und entartet sind; sie werden dunkel genannt. Diese Arten des Handelns sind das Ergebnis tiefster Unwissenheit, gröbster Genusssucht oder vorsätzlicher Absicht. Wenn sie aus Unwissenheit getan werden, dann wird die Entwicklung des Wissens allmählich einen Bewusstseinszustand schaffen, der ein Karma dieser Art nicht mehr kennt. Wo grober Materialismus die Ursache falschen Handelns ist, wird die allmähliche Entfaltung geistigen Bewusstseins das Dunkel in Licht verwandeln; und dadurch wird abermals Karma verhütet. Wenn jedoch in bewusster Absicht falsch gehandelt oder ein Unrecht begangen wird, trotz besseren Wissens und gegen die Stimme des Gewissens, dann führt diese Art des Karma zu dem, was der orientalische Okkultist «Avitchi» oder die achte Sphäre nennt - ein Ausdruck, der sich mit dem christlichen Begriff «verlorene Seele» deckt. Diese Fälle sind jedoch äusserst selten und beziehen sich auf den «Weg zur Linken» und auf die Praktiken der schwarzen Magie. Obwohl dieser Zustand eine Trennung vom höchsten Prinzip (dem des reinen Geistes von seinen beiden Ausdrucksformen - der Seele und dem Körper - oder den sechs niederen Prinzipien) mit sich bringt, so bleibt doch das Leben selbst bestehen; und [391] nach der Vernichtung der Seele in «Avitchi» wird dem Leben wieder ein neuer Zyklus des Werdens geboten.

2. Die Handlungen, die weder ganz gut noch ganz böse sind, die man dunkelhell nennt; sie betreffen die Karma-verursachende Tätigkeit des Durchschnittsmenschen, der sich von den Gegensatzpaaren leiten und beeinflussen lässt. Seine Lebenserfahrungen sind gekennzeichnet durch ein Hin- und Herschwingen zwischen dem, was freundlich und anständig ist und aus Liebe geschieht, und dem, was abstossend und verletzend ist und aus Hass geschieht. Vyasa sagt:

«Das Hell-Dunkel entsteht durch äussere Anlässe; der Träger der Handlung entwickelt sich dadurch weiter, dass er anderen Menschen entweder Schmerz zufügt oder Gutes tut».

Dadurch wird also klar, dass die Höherentwicklung der menschlichen Einheit und das «Konto über Gut und Böse» von seiner Einstellung zu anderen Menschen und davon abhängen, welche Wirkung er auf sie ausübt. So kommt die Rückkehr zum Gruppen-Bewusstsein zustande, so wird Karma erzeugt oder abgetragen. So wird die Pendelbewegung zwischen den Gegensatzpaaren allmählich ausgeglichen bis der Punkt des Gleichgewichts erreicht ist; dann handelt der Mensch richtig, weil ihn das Gesetz des Guten, oder die Seele, von oben her lenkt, und weil ihn weder gutes noch böses Verlangen beeinflusst.

3. Die Art des Handelns, die hell genannt wird. Das ist die Art des Lebens, Denkens und Handelns, die vom Aspiranten und Jünger gepflegt wird; sie kennzeichnet die Stufe des Pfads, die der Befreiung voraufgeht. Vyasa erklärt [392] sie folgendermassen:

«Das Helle ist bei denen, die nach den Möglichkeiten der Entwicklung greifen - nach Studium und Meditation. Das hängt allein vom Denken ab und nicht von äusseren Mitteln. Darum kann es nicht zustande kommen, wenn man andere Menschen schädigt».

Es dürfte nun ersichtlich sein, dass diese drei Arten von Karma eine direkte Beziehung haben:

a. Zur Ebene der Körperlichkeit #der physischen Ebene.

b. Zur Ebene der Gegensatzpaare #der Astralebene.

c. Zur Ebene des konzentrierten Denkens der Mentalebene.

Die Menschen, deren Karma hell ist, sind diejenigen, die es fertig gebracht haben, die Gegensatzpaare auszugleichen; sie sind jetzt damit beschäftigt, sich bewusst und in intelligenter Weise von den Einflüssen der drei Welten freizumachen; das geschieht durch:

a. Studium oder mentale Entwicklung; sie erkennen und befolgen das Gesetz der Entwicklung und verstehen das Wesen des Bewusstseins und dessen Beziehung zur Materie einerseits und zum Geist andererseits.

b. Meditation oder Gedankenbeherrschung; so schaffen sie den Mechanismus, welcher der Seele die Kontrolle über die niederen Träger überlässt und die Offenbarung des Seelenreiches möglich macht.

c. Nicht-Schädigung. Kein Wort, kein Gedanke, keine Handlung von ihnen bringt irgend einer Form, durch die sich das Leben Gottes ausdrückt, Leid oder Schaden.

4. Die letzte Art von Karma wird als weder dunkel noch hell beschrieben; es wird keinerlei Karma mehr geschaffen. Der Yogi verursacht keine solchen Wirkungen mehr, die ihn an die Formseite der Manifestation binden könnten. Da er [393] vom Standpunkt völligen Losgelöstseins handelt und nichts für sich verlangt, hat er kein Karma mehr, und seine Handlungen wirken nicht mehr auf ihn zurück.

8. Aus diesen drei Arten von Karma entstehen jene Formen, die für das Erscheinen der karmischen Wirkungen notwendig sind.

In jedem Leben, das physisch in Erscheinung tritt, sind jene Keime oder Samenkörner enthalten, die zur Ausreifung kommen müssen; und diese schlummernden Keime sind die Ursachen für das Erscheinen der Form. Diese Samenkörner sind zu irgendeiner Zeit gesät worden, und sie müssen Früchte tragen. Sie sind die Ursachen, dass jene Körper entstehen, in denen die Folgen sich auswirken müssen. Sie sind die Begierden, Impulse und Verpflichtungen, die einen Menschen an das grosse Rad binden, welches, sich immer drehend, den Menschen in das physische Dasein bringt, um da so viele Keime zum Reifen zu bringen, als er dazu, unter dem Gesetz, in einem Leben imstande ist. Das sind die inneren Keime, welche die Form schaffen, in denen sie heranreifen und zur Reife kommen. Wenn die karmischen Keime dunkel sind, wird der Mensch selbstsüchtig und materiell sein und dazu neigen, den Weg zur Linken zu gehen; wenn sie dunkel-hell sind, werden sie ihn in eine Form bringen, die passend und dafür geeignet ist, seine Verpflichtungen und Schulden abzutragen, seine Pflichten zu erfüllen, seine Interessen und Wünsche zu verwirklichen. Wenn sie hell sind, werden sie einen Körper erschaffen, welcher der letzte ist, der zerstört werden wird, den Kausalkörper, den Tempel Salomos, das Karana Sharira des Okkultisten. Auch dieser Körper wird bei der endgültigen Befreiung zerstört [394] werden, und dann trennt den Menschen nichts mehr von seinem Vater im Himmel, und nichts bindet ihn mehr an die niedere materielle Ebene.

9. Es besteht ein Zusammenhang zwischen den im Gedächtnis aufbewahrten Eindrücken und der Ursache, welche die Wirkung hervorruft, auch wenn Ursache und Wirkung durch Geburt, Zeit und Raum getrennt sind.

Eine Paraphrase dieses Lehrspruchs, die zum besseren Verständnis beitragen könnte, wäre folgende: Ganz gleich, in welcher Rasse, in welchem Land, ob in Vergangenheit oder Gegenwart ein Leben gelebt worden ist, und ganz gleich, wie lange das her ist und wie viele Jahrtausende darüber vergangen sein mögen, die Erinnerung daran bleibt im Ego, oder der Seele, bestehen. Zu entsprechender Zeit und unter den passenden Bedingungen muss sich jede Ursache, die einmal eingeleitet wurde, unvermeidlich als Wirkung zeigen. Diese Wirkung wird in irgend einem Leben zum Vorschein kommen. Niemand kann sie verhindern, niemand sie aufhalten. Charles Johnston drückt das in seinem Kommentar mit folgenden Worten aus:

«Auf gleiche Weise fasst die lenkende, auswählende Macht, die ein Strahl des höheren Selbstes ist, aus verschiedenen Leben, Zeiten und Orten jene Gedankenbilder zusammen, die sich in den Rahmen eines einzelnen Lebens oder eines winzigen Ereignisses einfügen lassen. Durch diese Gruppierung kommen sichtbare physische Konstitutionen und äussere Umstände zustande, und dadurch wird die Seele belehrt und geschult.

So wie sich die dynamischen Gedankenbilder des Wunschlebens zu körperlichen Zuständen und äusseren Verhältnissen entwickeln, genauso wirken sich die viel stärkeren [395] Kräfte der geistigen Aspiration, (des Strebens der Seele nach dem Ewigen) in einer subtileren Welt aus und erschaffen die Hülle des geistigen Menschen».

10. Da das Verlangen nach Leben ewig ist, haben die vom Denken geschaffenen Formen keinen erkennbaren Anfang.

Statt der Worte «Verlangen nach Leben» könnte man auch sagen «der Wunsch nach Erleben». Alle eigenbewussten Lebensträger unseres Systems, die eine Gestalt annehmen, (seien es übermenschliche Wesenheiten oder Menschen) haben den angeborenen natürlichen Wunsch, zu sein, das Verlangen zu werden, den Drang, mit dem Unbekannten und Fernen in Berührung zu kommen. Es ist uns nicht möglich, diesen Drang zu begreifen, der kosmisch ist und auf dem Entwicklungszustand des grossen Lebensträgers beruht, in dem wir leben, weben und sind, und in dessen Körper eine jede Form nur eine Zelle oder ein Atom ist. Aber der Mensch kann sich das Instrument schaffen, das ihm ein Begreifen möglich macht. Und er kann die Kräfte entwickeln, die ihn befähigen, mit der Wirklichkeit, die in ihm selbst liegt und auch ausserhalb seiner selbst besteht, in Kontakt zu kommen und in Verbindung zu bleiben. Dann erkennt er, dass die Wünsche, die ihn treiben und zum Handeln bringen, die Sehnsüchte, die ihn zu mancherlei Tätigkeiten drängen, nicht nur persönlich und real, sondern auch ein Teil der Aktivität des Ganzen sind, von dem er ein winziger Teil ist. Er entdeckt, dass der Strom der vom Verlangen getriebenen Gedankenbilder, die ihn beschäftigen und fesseln und die treibende Kraft seines Lebens sind, zum Teil von ihm selbst erschaffen ist, dass sie [396] aber zum Teil auch aus kosmischen Gedankenbildern stammen, die dem universalen Denken entspringen und vom kosmischen Denker erschaffen wurden, der als das Lebenszentrum unseres Sonnensystems wirkt.

So wird die Wahrheit und Lehre, die in den drei vorhergehenden Büchern formuliert wurde, aus dem Bereich des Persönlichen und Individuellen herausgehoben und wird viel weiter und umfassender. Für den Menschen haben demnach die Gedankenbilder, die Folgen des Wünschens und Denkens, keinen erkennbaren Anfang. Sie umgeben ihn von allen Seiten; der Strom ihrer Tätigkeit wirkt unaufhörlich auf ihn ein und ruft in ihm jene Resonanz hervor, die beweist, dass in ihm selbst das Verlangen lebendig ist.

Darum müssen bei ihm zwei neue Tätigkeiten hinzukommen; erstens müssen die Sehnsüchte und Wünsche nach sinnlicher Wahrnehmung, die in ihm selbst vorhanden sind, umgewandelt und überwunden werden; und zweitens hat er die Aufgabe, sich von der Anziehungskraft und dem Einfluss jener grösseren Strömung von Gedankenbildern zu lösen, die ewig bestehen. Nur so kann er den «Zustand des losgelösten Eins-Seins» erreichen, der in Buch III, Lehrspruch 50, beschrieben ist.

11. Die Formen werden erschaffen und zusammengehalten durch das Verlangen (die Auswirkung), durch mentale Lebenskraft oder den Lebenswillen, und durch die Stütze oder den Halt, den ihnen das nach aussen gerichtete Leben (oder Objekt) gibt. Wenn diese Faktoren keine Anziehungskraft mehr ausüben, dann hören auch die Formen auf zu bestehen.

Dieser Lehrspruch bringt ein Naturgesetz so klar zum Ausdruck, [397] dass nur eine kurze Erklärung nötig ist. Eine knappe Analyse der hier gegebenen Belehrung könnte jedoch von Nutzen sein.

Es wird uns gesagt, dass vier Faktoren zum Dasein von Gedankenbildern oder von Formen beitragen, die als Folge der Wunschnatur entstehen.

1. Die zugrundeliegende Ursache #das Verlangen

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.