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Der Yoga-Pfad (die Yoga Sutras von Patanjali), Seite 249 ff. (engl.)
Form, die das Objekt seiner Meditation ist.

Unbehindert durch [250] Gedanken und Gefühle «geht er ein» in den Zustand, der vier charakteristische Merkmale hat:

1. Versunken im Seelenbewusstsein nimmt er die Seele aller Dinge wahr. Er sieht nicht mehr die Form, sondern die Wirklichkeit, die von allen Formen verhüllt wird.

2. Frei von den drei Welten sinnlicher Wahrnehmung erlebt und verspürt er nur noch das, was frei ist von Form, vom Verlangen und von der Substanz des niederen konkreten Denkens.

3. Bewusstes Innewerden des Eins-Seins mit allen Seelen im untermenschlichen, menschlichen und übermenschlichen Bereich. Das Wort Gruppenbewusstsein drückt in etwa diesen Zustand aus, so wie das abgesonderte Bewusstsein oder das Empfinden des persönlichen Ich's das Bewusstsein in den drei Welten kennzeichnet.

4. Erleuchtung oder die Wahrnehmung des Licht-Aspekts der Manifestation. Durch Meditation erkennt sich der Yogi als Licht, als einen Punkt feuriger Essenz. Durch die in der Meditation erreichte Übung kann er dieses Licht auf jedes von ihm gewählte Objekt richten und mit dem Licht in Verbindung kommen, das durch diese Form verhüllt wird. Er erkennt dann, dass dieses Licht dem Wesen nach eins ist mit dem Licht in seinem eigenen Innern, und so werden umfassendes Verstehen, Verbundensein und Bewusstwerden der Wesensgleichheit möglich.

4. Wenn Konzentration, Meditation und Kontemplation in der Aufeinanderfolge zu einem einzigen, zusammenhängenden Vorgang werden, dann ist Sanyama erreicht.

Das Sanskritwort «Sanyama» ist sehr schwer zu übersetzen, da wir in unserer [251] Sprache keinen entsprechenden Ausdruck dafür haben. Es ist die Synthese der drei Stadien des Meditationsvorgangs, die nur dem Menschen möglich ist, der die drei Stufen der Gedankenbeherrschung gelernt und gemeistert hat. Durch diese vollkommene Gedankenbeherrschung hat er folgendes erreicht:

1. Er hat sich frei gemacht von den drei Welten des Denkens, der Empfindungen und des Daseins auf der physischen Ebene; sie fesseln ihn nicht mehr und sie stehen nicht mehr im Mittelpunkt seines Denkens und Sinnens.

2. Er kann seine Aufmerksamkeit auf einen beliebigen Brennpunkt richten, und während er in der mentalen Welt intensiv tätig ist, kann er, wenn er will, sein Denken unbegrenzt dort halten.

3. Er kann sich in das Bewusstsein des Egos (der Seele oder des geistigen Menschen) versenken, und er weiss, dass er abgetrennt ist vom Denken, von Empfindungen, Wünschen, Gefühlen und der Form, die den niederen Menschen ausmachen.

4. Er hat gelernt, diesen niederen Menschen (die Gesamtsumme von Denkzuständen, Empfindungen und physischen Atomen) nur als sein Werkzeug anzusehen, vermittels dessen er sich nach Belieben mit den drei niederen Ebenen in Verbindung bringen kann.

5. Er hat die Fähigkeit der Kontemplation erlangt, also die Einstellung der wirklichen Identität zum Reich der Seele, und er kann auf dieses Reich hinblicken in einer Weise, die dem Sehen mit den Augen auf der physischen Ebene entspricht.

6. Er kann dem Gehirn - über die beherrschte Denkfähigkeit - das übermitteln, was er sieht, und kann so das Wissen der Seele und ihres Reiches dem Menschen auf der physischen Ebene mitteilen.

Das ist vollkommen konzentrierte Meditation; und die Fähigkeit, so [252] meditieren zu können, wird in diesem Lehrspruch Sanyama genannt. Das Erlangen dieser Fähigkeit ist der Zweck und das Ziel des Raja-Yoga. Durch diese Errungenschaft hat der Yogi gelernt, zwischen dem Objekt und dem zu unterscheiden, was das Objekt verhüllt oder verbirgt. Er hat gelernt, durch alle Hüllen hindurchzudringen und die Wirklichkeit zu erreichen, die dahinter liegt. Er hat ein praktisches Wissen von der Dualität erlangt.

Es gibt ein noch höheres Bewusstsein als dieses, nämlich jene Erkenntnis, die man mit dem Begriff Einheit zusammenfasst, aber noch lebt er nicht in diesem Bewusstsein. Sanyama ist jedoch eine sehr hohe Stufe, die im physischen Menschen erstaunliche Wirkungen hervorruft und ihn mit verschiedenartigen Phänomenen bekannt macht.

5. Sanyama bewirkt das Aufleuchten des Lichts.

Die verschiedenen Erläuterer und Übersetzer haben hier mehrere Ausdrücke gebraucht, und es könnte interessant sein, einige davon zu betrachten, denn aus den verschiedenen Deutungen wird sich ein volles Verstehen der Sanskritworte ergeben.

Der darin enthaltene Gedanke beruht kurz gesagt auf der Vorstellung, dass das Wesen der Seele Licht ist; und dieses Licht ist der grosse Offenbarer. Der Yogi hat durch ständige Übung in der Meditation den Punkt erreicht, wo er das Licht, das von seinem innersten Wesen ausstrahlt, nach Belieben in jede Richtung senden und jedes Objekt beleuchten kann. Nichts kann ihm daher verborgen bleiben, und alles Wissen steht ihm zur Verfügung. Diese Fähigkeit wird darum bezeichnet als:

1. Erleuchtung der Wahrnehmung. Das Licht [253] der Seele leuchtet auf, und der Mensch auf der physischen Ebene ist dadurch in der Lage, in seinem Gehirnbewusstsein das zu erkennen, was vorher dunkel und ihm verborgen war. Der Vorgang kann technisch mit folgenden Worten beschrieben werden:

a. Meditation.

b. Versenkung in das Bewusstsein des Egos oder der Seele.

c. Kontemplation, oder das Einstellen des Lichts der Seele auf das, was erkannt und untersucht werden soll.

d. Das darauffolgende Herabströmen des gewonnenen Wissens in einem «Strom der Erleuchtung» in das Gehirn über das Sutratma, den Silberfaden oder das magnetische Bindeglied. Dieser Faden durchläuft das Denken und erleuchtet es. Die Gedanken, die durch automatische Reaktion der Denksubstanz auf das übermittelte Wissen erzeugt werden, werden dann auf das Gehirn übertragen, und der Mensch wird sich in seinem physischen Bewusstsein dessen bewusst, was die Seele weiss. Er wird erleuchtet.

Wenn dieser Vorgang öfter stattfindet und beständiger wird, vollzieht sich ein Wandel im physischen Menschen. Er kommt immer mehr in Übereinstimmung mit der Seele. Das Zeitelement tritt bei der Übertragung in den Hintergrund; die durch das Licht der Seele und durch die Aufhellung des physischen Gehirns gewonnene Erleuchtung über ein Wissensgebiet stellt sich augenblicklich ein.

Das Licht im Kopf nimmt in gleichem Mass zu, und das dritte Auge entfaltet sich und sieht. Auf der Astral- und Mentalebene [254] entwickelt sich ein entsprechendes «Auge», und so kann das Ego oder die Seele sowohl die drei Ebenen in den drei Welten als auch ihr eigenes Reich erhellen.

2. Bewusstseinsklarheit. Der Mensch wird klar sehend. Er ist sich einer wachsenden Kraft oder Fähigkeit bewusst, die es ihm ermöglicht, nicht nur alle Probleme zu klären und zu lösen, sondern auch «klar zu sprechen» und so eine der lehrenden Kräfte der Welt zu werden. Alles Wissen, das sich ein Mensch durch Selbst-Erleuchtung erworben hat, muss rein und klar an andere Menschen weitergegeben werden. Das ist die natürliche Folge der Erleuchtung.

3. Alles durchdringende Einsicht. Das ist ein neuer und sehr wichtiger Aspekt. Es ist die Fähigkeit, in eine Form «hinein zu sehen», zur inneren Wirklichkeit vorzudringen, welche die äussere Hülle zu dem gemacht hat, was sie ist. Diese Einsicht ist mehr als Verständnis, Mitgefühl oder Begreifen. Das sind nur die Auswirkungen der Einsicht. Sie ist das Vermögen, durch alle Formen hindurch zu dringen und das zu erkennen, was sie verhüllen, denn diese Wirklichkeit ist identisch mit der Wirklichkeit im Menschen selbst.

4. Die Erleuchtung des Intellekts. Ehe nicht die Denkfähigkeit (oder der Intellekt) das verstehen und übermitteln kann, was die Seele weiss, bleiben die Geheimnisse dem physischen Gehirn unverständlich; und so bleibt das Wissen, das die Seele besitzt, lediglich eine schöne und unerreichbare Vision. Wenn aber der Intellekt erleuchtet ist, kann er dem Gehirn jene verborgenen Dinge mitteilen und einprägen, die nur den Gottessöhnen auf ihrer eigenen Ebene [255] bekannt sind. Das ist der Grund, weshalb Raja-Yoga oder die Wissenschaft der Vereinigung durch Gedankenbeherrschung und Entwicklung, so notwendig ist.

6. Die Erleuchtung kommt allmählich; sie wird stufenweise entwickelt.

Hier wird die naturgemässe Art, zu wachsen und sich zu entfalten, behandelt; der Aspirant wird daran erinnert, dass nichts auf einmal, sondern nur nach langem und ausdauerndem Bemühen erreicht werden kann.

Jeder nach Erkenntnis strebende Mensch sollte bedenken, dass alles Werden und Wachsen - so wie jeder natürliche Prozess - nur allmählich und relativ langsam vor sich geht; und diese Seelenentfaltung ist letzten Endes nur einer der grossen Entwicklungsprozesse in der Natur. Der Mensch hat lediglich für die richtigen Bedingungen oder Voraussetzungen zu sorgen. Die Weiterentwicklung wird dann von selbst normal verlaufen. Stete Beharrlichkeit, geduldige Ausdauer, täglich ein wenig weiter kommen, das ist für den Strebenden viel wertvoller als ungestümes Vorwärtsdrängen und das begeisterte Bestreben eines gefühlsbetonten und temperamentvollen Menschen. Die gewaltsame Beschleunigung der eigenen Entwicklung ist mit ganz bestimmten Gefahren verbunden. Diese werden vermieden, wenn der Mensch begreift, dass der Weg lang ist, und dass ein intelligentes Verstehen eines jeden Abschnitts auf dem Weg für ihn von grösserem Wert ist als die Resultate, die durch ein vorzeitiges Erwecken der psychischen Natur erzielt werden. Der nachdrückliche Hinweis, dass der Mensch so wachsen soll, wie die Blume wächst, enthält eine grosse verborgene Wahrheit. Prediger Salomon VII, 16 weist auf diesen Gedanken hin, wenn er sagt: «Sei nicht allzu gerecht ... dass du nicht sterbest zur Unzeit».

7. Diese letzten drei [256] Yogamittel haben eine viel grössere innere Wirkung als die vorhergehenden.

Die ersten fünf Yogamittel dienen vorwiegend der Vorbereitung des angehenden Yogi. Dadurch, dass der Aspirant die Gebote und Regeln befolgt, Ausgeglichenheit und rhythmische Beherrschung der Energien des Körpers erlangt hat und sein Bewusstsein zurückziehen und im Kopf konzentrieren kann, ist er in der Lage, die Kräfte der Konzentration, Meditation und Kontemplation voll zu nutzen und ohne Gefahr zu entwickeln.

Nachdem er sich seines innersten Wesens bewusst geworden ist, kann er darangehen, die speziell inneren Mittel anzuwenden.

Alle acht Yogamittel dienen nur dazu, den Menschen auf jenen Zustand geistigen Bewusstseins vorzubereiten, der alles Denken übersteigt, der von allen Saatgedanken losgelöst und ohne Form ist, und der nur (ganz unzulänglich) mit Worten wie Vereinigung, klare Erkenntnis, Bewusstheit der Wesensgleichheit, nirvanisches Bewusstsein, etc. beschrieben werden kann.

Es ist für den Neuling nutzlos zu versuchen, das zu verstehen, bevor er das innere Instrument des Verstehens entwickelt hat; es ist vergeblich für den weltlich gesinnten Menschen, zu zweifeln und den Beweis sehen zu wollen, wenn er nicht gleichzeitig willens ist, (wie bei der Aneignung jeden Wissens) das ABC zu lernen und stufenweise die jeweiligen Ziele zu erreichen. Johnston [257] sagt in seiner Erläuterung:

« ... Die vorher beschriebenen Mittel zur Höherentwicklung waren dazu bestimmt, den Menschen von psychischen Fesseln und Verhüllungen freizumachen; diese dreifache Wirkkraft hingegen ist vom geistigen Menschen anzuwenden, der nun befreit ist, der auf eigenen Füssen steht und das Leben mit offenen Augen sieht».

8. Aber selbst diese drei sind nur Vorstufen zur wahren Meditation ohne

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.