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Der Yoga-Pfad (die Yoga Sutras von Patanjali), Seite 233 ff. (engl.)

54. Dieses intuitive Wissen, der grosse Befreier, ist allgegenwärtig und allwissend und umschliesst Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im ewigen Jetzt.

55. Wenn die objektiven Formen und die Seele gleich rein geworden sind, ist die Einswerdung erreicht, welche die Befreiung zur Folge hat.

DIE YOGA LEHRSPRÜCHE VON PATANJALI

Buch III

Die erreichte Vereinigung und ihre Resultate

1. Konzentration ist [243] das Festlegen des Chitta (der Denksubstanz) auf ein bestimmtes Objekt. Das ist Dharana

Wir haben nun den Teil der Yoga-Lehrsprüche erreicht, der sich speziell mit der Gedankenbeherrschung und den Ergebnissen dieser Beherrschung befasst. Die ersten fünfzehn Lehrsprüche beziehen sich auf die Beherrschung des Denkens und der Mittel und Wege, wie sie erreicht werden kann; und die übrigen vierzig Sätze betreffen die Ergebnisse, die sich nach dem Erreichen dieser Beherrschung zeigen. Es werden vierundzwanzig Ergebnisse aufgezählt, bei denen es sich um Bewusstseinserweiterungen und das Hervortreten niederer und höherer psychischer Fähigkeiten handelt.

Der erste Schritt zu dieser Entfaltung ist Konzentration, oder das Vermögen, das Denken unverwandt und ohne Ablenkung darauf gerichtet zu halten, was der Aspirant gewählt hat. Das ist eines der [244] schwierigsten Stadien des Meditationsvorgangs und bedingt das unablässige Bemühen des Aspiranten, seine Gedanken immer wieder auf das «Objekt» zu richten, auf das er sich konzentrieren will. Die Stufen der Konzentration sind an sich sehr gut zu unterscheiden und können wie folgt angegeben werden:

1. Die Wahl eines «Objekts», auf das man sich konzentrieren will.

2. Das Zurückziehen des Denk-Bewusstseins von der Peripherie des Körpers, so dass die Organe für äussere Wahrnehmung und Empfänglichkeit (die fünf Sinne) still werden und das Bewusstsein sich nicht mehr nach aussen richtet.

3. Das Sammeln und Festhalten des Bewusstseins an einem Punkt im Kopf, der zwischen den Augenbrauen liegt.

4. Dann wird das ganze Augenmerk auf das gewählte Objekt der Konzentration gerichtet.

5. Dann folgt die innere bildhafte Vorstellung dieses Objekts, dessen gedankliche Durchdringung mit Hilfe der Imagination, und das logische Nachdenken und Urteilen darüber.

6. Die Ausweitung der gedanklichen Begriffe, vom Speziellen und Besonderen auf das Allgemeine und Universale oder Kosmische.

7. Der Versuch, zu dem zu gelangen, was hinter der betrachteten Form liegt, oder die Idee zu erkennen, die das Entstehen dieser Form verursacht hat.

Dieser Werdegang erhöht das Bewusstsein stufenweise und ermöglicht es dem Aspiranten, statt der Formseite den Lebensaspekt der Manifestation zu erkennen. Er beginnt jedoch mit der Form oder dem «Objekt». Es gibt vier Arten von Objekten, auf die man sich konzentrieren kann:

1. Äussere [245] Objekte, wie z.B. sakrale Kunstwerke, Bilder und Formen in der Natur.

2. Innere Objekte, wie z.B. die Zentren im Ätherkörper.

3. Qualitäten, wie z.B. verschiedene schätzenswerte Eigenschaften, auf die man sich konzentrieren kann in der Absicht, das Verlangen nach diesen wertvollen Eigenschaften zu wecken und sie so zu einem Bestandteil des persönlichen Lebens zu machen.

4. Mentale Vorstellungen, welche die Ideale verkörpern, die allen belebten Formen zugrundeliegen. Diese können die Form von Symbolen oder Worten annehmen.

In einer der Puranas (alten Schriften) wird der in der Konzentration enthaltene Gedanke sehr schön dargestellt. Wenn der Aspirant die ersten fünf Yogamittel befolgt hat, (wie im Buch II beschrieben), wird ihm gesagt, «er solle seine Gedanken auf einen glückverkündenden Beistand oder Halt konzentrieren», und als ein Beispiel dafür folgt die Beschreibung, wie man seine Aufmerksamkeit auf eine Form Gottes gerichtet halten soll.

«Die inkarnierte Form des Erhabenen lässt kein Verlangen nach einem anderen Halt aufkommen. Das muss als unverwandte Aufmerksamkeit verstanden werden, mit der die Gedanken auf diese Form gerichtet sind. Dadurch wird uns offenbar, was diese inkarnierte Form Gottes ist, über die man nachsinnt. Unverwandte Aufmerksamkeit ist nicht möglich ohne ein Objekt, auf das man sie richtet».

(Vishnu-Purana VI. 7. 75-85)

Dann folgt eine Beschreibung der inkarnierten Form des Erhabenen, und diese Beschreibung schliesst mit den Worten:

«... über IHN muss der Yogi nachsinnen und so darin versunken sein, dass sein Denken nur noch auf ihn gerichtet ist.

Wenn er diese oder eine andere beliebige Übung durchführen kann, ohne dass seine Gedanken abgelenkt werden, ist seine Konzentration vollkommen».

(Naradiya-Purana LXVII. 54-62).

Die Erkenntnis, dass [246] für die Konzentration «Objekte» nötig sind, führte zum Verlangen nach Bildwerken, nach Skulpturen und Heiligenbildern. Alle diese Objekte verlangen die Betätigung des konkreten Denkens, und das ist die notwendige Vorstufe. Dadurch wird das Denken in einen kontrollierten Zustand versetzt, so dass der Aspirant damit machen kann, was er will. Die genannten vier Arten von Objekten führen den Aspiranten schrittweise nach innen und machen ihn fähig, sein Bewusstsein von der physischen Ebene in den ätherischen Bereich zu verlegen, von da in die Welt des Verlangens oder der Empfindungen, und so in die Welt mentaler Ideen und Vorstellungen. Dieser Prozess, der im Gehirn vor sich geht, bringt den ganzen niederen Menschen in einen Zustand der Konzentration auf ein einziges Ziel; alle Teile seines Wesens sind auf das Erreichen äusserster Aufmerksamkeit gerichtet, auf die Konzentration aller mentalen Fähigkeiten. Das Denken schweift nicht mehr umher, ist nicht mehr unstet und nach aussen gehend, sondern es ist ganz «unverwandte Aufmerksamkeit». Vivekananda übersetzt «Dharana» als «Festhalten des Denkens an einen Gedanken für zwölf Sekunden».

Diese klare, konzentrierte, ruhige Wahrnehmung eines Objektes, bei der kein anderes Objekt, kein anderer Gedanke in das Bewusstsein eintritt, ist sehr schwer zu erreichen; und wenn sie für die Dauer von zwölf Sekunden durchgeführt werden kann, ist richtige Konzentration erreicht.

2. Anhaltende [247] Konzentration (Dharana) ist Meditation (Dhyana).

Meditation ist verlängerte Konzentration; sie erwächst aus der Gewandtheit, mit der ein Mensch willentlich «das Denken festhält» an einem bestimmten Objekt. Für die Meditation gelten dieselben Regeln und Bedingungen wie für die Konzentration. Der einzige Unterschied zwischen den beiden besteht im Zeit-Element.

Wenn der Aspirant die Befähigung erlangt hat, das Denken ohne Ablenkung auf ein Objekt zu richten, dann folgt als nächster Schritt die Entwicklung der Kraft, die Denksubstanz (das Chitta) für eine längere Zeitspanne nur mit diesem Objekt oder Gedanken zu beschäftigen. In dem bereits erwähnten Purana heisst es weiter:

«Eine ununterbrochene Aufeinanderfolge von Gedanken, die sich nur auf SEINE Form beziehen und auf nichts anderes, das, o König, ist Kontemplation. Sie wird durch die ersten sechs Yogamittel erreicht».

Das Wort Kontemplation ist hier gleichbedeutend mit Meditation. Es ist noch die Meditation über einen Saatgedanken oder ein Objekt.

Dvidedi sagt in seiner Erläuterung dieses Lehrspruchs:

« ... Dhyana ist das völlige Festhalten des Denkens am Objekt, über welches nachgedacht wird (bis Denken und Objekt eins sind). In der Tat sollte das Denken dann nur seiner selbst und des Objekts bewusst sein». Der Mensch ist dann so konzentriert, dass sein physischer Körper, seine Empfindungen, seine Umgebung, jedes Geräusch und alles, was in seinen Gesichtskreis kommt, vergessen wird; das Gehirn ist sich nur des Objekts, welches das Thema oder der Saatgedanke der Meditation ist, und der Gedanken bewusst, die das Denkvermögen im Zusammenhang mit diesem Objekt formuliert.

3. Wenn das Denken [248] ganz in der Wirklichkeit (oder in der in der Form verkörperten Idee) aufgeht und sich eines Abgesondertseins oder des persönlichen Selbstes nicht mehr bewusst ist, dann ist das Kontemplation oder Samadhi.

Der einfachste Weg zum Verstehen dieses Lehrspruchs ist die Erkenntnis, dass jede Form oder jedes Objekt ein manifestiertes Leben irgendwelcher Art ist. In den ersten Stadien des Meditationsvorganges wird sich der Übende der Natur (oder Beschaffenheit) der Form und seiner Beziehung zu ihr bewusst. Die zwei Stadien, in denen er sich seiner selbst und des Objekts der Meditation bewusst ist, sind gänzlich mentale Zustände; sie bestehen in seinem Denken.

Diesem Zustand folgt ein anderer; sein nach Erkenntnis strebender Blick richtet sich nach innen auf die seelische Ebene, und er nimmt das Wesen des Lebens wahr, das sich durch die Form zum Ausdruck bringt. Eigenschaften und innere Beziehungen nehmen dann seine Aufmerksamkeit in Anspruch, und der Form-Aspekt bleibt unbeachtet, aber es besteht immer noch das Gefühl des Gesondertseins oder der Dualität. Er identifiziert sich noch mit seiner Person, dem Nicht-Selbst. Er erkennt jedoch gleiche Eigenschaften und reagiert auf ähnliche Schwingungen.

In den beiden Stadien von Dharana und Dhyana, von Konzentration und Meditation, ist das Denken der wichtigste Faktor und der Erzeuger von Vorstellungen im Hirnbewusstsein. Ein grosser Hindu-Lehrer, Kecidhvaja, drückt diesen Gedanken mit folgenden Worten aus:

«Die Seele hat das Mittel, nämlich das Denken, das unbeseelt ist. Wenn das Denken seine Aufgabe, (den Menschen) zu befreien erfüllt hat, hat es getan, was es zu tun hatte, und es hört auf». (Vishnu-Purana VI. 7:90)

Die Wahrhaftigkeit [249] dieser Aussage macht jede Beschreibung oder Erklärung des hohen Zustandes des Samadhi oder der Kontemplation ausserordentlich schwierig, denn Worte sind nur die Bemühungen des Denkvermögens, dem Gehirn einen Vorgang so zu formulieren, dass der Mensch ihn erkennen und begreifen kann.

In der Kontemplation entschwinden dem Yogi:

1. Sein Gehirnbewusstsein oder die Begriffe der physischen Ebene von Zeit und Raum.

2. Seine gefühlsmässigen Reaktionen auf den Gegenstand seiner Meditation.

3. Seine mentalen Aktivitäten, so dass alle «Modifikationen» des Denkvorgangs, alle gefühlsbedingten Reaktionen des kama-manasischen Trägers überwunden sind und der Yogi sie nicht mehr wahrnimmt. Er ist jedoch sehr lebendig und wachsam, positiv und wach, denn er ist Herr über das Gehirn und das Denkvermögen, die er zwar benutzt, dabei aber nicht duldet, dass sie störend einwirken.

Das bedeutet buchstäblich, dass das unabhängige Leben dieser Formen, durch die das wirkliche Selbst wirkt, still, beruhigt und beherrscht ist, und dass der wahre, auf seiner eigenen Ebene wache Mensch in der Lage ist, sich zu betätigen, und zwar unter voller Nutzung des Gehirns, der Hüllen und der Denkkraft des niederen Selbstes, seines Trägers oder Instruments. Er ruht in seinem Mittelpunkt, im Seelen-Aspekt. Jedes Gefühl des Gesondertseins oder des niederen persönlichen Ich's ist verschwunden, und er wird eins mit der Seele derjenigen

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.