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Der Yoga-Pfad (die Yoga Sutras von Patanjali), Seite 189 ff. (engl.)
eines überholten Rituals hat, so bleibt dennoch der Gedanke, der dem Einhalten der Vorschriften zugrunde liegt, immer noch eine Wahrheit. Bis jetzt weiss man noch so wenig über die Kräfte, die vom Menschen ausstrahlen oder auf den menschlichen Mechanismus einwirken, dass das, was man «wissenschaftliche Läuterung» nennen könnte, noch in den Kinderschuhen steckt.

Zufriedenheit schafft Bedingungen, unter denen das Denken ruhig ist. Sie beruht auf der Anerkennung der Gesetze, die das Leben bestimmen, und besonders des Karma-Gesetzes. Zufriedenheit bewirkt eine Gemütsverfassung, in der alle Zustände als richtig und gerecht, und als diejenigen Bedingungen anerkannt werden, unter denen der Aspirant mit seinem Problem am besten fertigwerden und sein Ziel für ein bestimmtes Leben erreichen kann. Das heisst aber nicht, dass man sich willenlos dreinfügt, was zu Trägheit führt, sondern, dass man die jetzigen Fähigkeiten und Kräfte erkennt, die gebotenen Möglichkeiten nutzt und sie zur Grundlage des künftigen Fortschritts macht. Wenn das in der richtigen Weise getan wird, können die drei folgenden Regeln leichter eingehalten werden.

Glühendes Streben wird im nächsten Buch ausführlicher behandelt werden, aber man kann schon hier darauf hinweisen, dass diese Qualität des «eifrigen Hinstrebens» zum Ideal oder Ziel so intensiv sein muss, dass keine Schwierigkeiten den Yoga-Schüler zurückhalten können. Erst wenn diese Qualität entwickelt und erprobt ist, und wenn sich herausgestellt hat, dass kein Problem, kein Mangel an Klarheit und kein Zeitumstand ihn zu hindern vermag, kann ein Mensch als Jünger eines Meisters zugelassen werden. Intensives [190] Bemühen, beharrliches Verlangen und beständiges Festhalten am erschauten Ideal sind die unerlässlichen Erfordernisse der Jüngerschaft. Diese Merkmale müssen in allen drei Körpern zu finden sein; sie führen zu einer beständigen Disziplinierung des physischen Körpers, zu einer stetigen Ausrichtung der Emotionalnatur und zu der mentalen Einstellung, die den Menschen fähig macht «alles für nichts zu erachten», wenn er nur sein Ziel erreichen kann.

Geistiges Studium betrifft die Entfaltung des Sinnes für innere Wirklichkeiten. Es wird gefördert durch Forschen und Studieren im üblichen Sinn sowie durch das Bemühen, zu den Gedanken vorzudringen, die durch Worte übermittelt werden. Es wird entwickelt durch eine genaue Erforschung der Ursachen, die allen Wünschen, Bestrebungen und Gefühlen zugrunde liegen; folglich hat es eine Beziehung zur Wunsch- oder Astralebene. Geistiges Studium bezieht sich auch auf das Deuten und Erklären von Symbolen und geometrischen Formen, die eine Idee oder einen Gedanken darstellen; dem zufolge hat es eine Beziehung zur Mentalebene. Dieses Thema wird später im dritten Buch behandelt werden.

Hingabe an Ishvara kann kurz bezeichnet werden als der Wille des niederen dreifachen Selbstes, dem Ego, dem inneren Herrscher, dem Gott oder Christus im Innern zu dienen. Das zeigt sich auf dreifache Weise. Erstens bringt das persönliche Selbst sein Leben unter die Herrschaft des Meisters im Herzen; zweitens kommt dann der Aspirant in die Gruppe eines Adepten oder geistigen Lehrers; und schliesslich kommt er dahin, dass er Ishvara oder dem göttlichen Selbst, das im Herzen aller Menschen und in allen Formen der göttlichen Schöpfung zu finden ist, hingebungsvoll dient.

33. Wenn sich Gedanken [191] einstellen, die dem Yoga schädlich sind, sollte man entgegengesetzte Gedanken wachrufen.

Die Übersetzung von Johnston gibt den gleichen Gedanken in sehr schönen Worten wieder, und die Art der Abhilfe ist treffend formuliert. Er sagt:

«Wenn üble Gedanken aufsteigen, sollte das Gewicht der Vorstellungskraft auf die andere Seite geworfen werden».

Die ganze Lehre vom Ausgleich der Gegensatzpaare ist in diesen beiden Übersetzungen wiedergegeben, keine ist ganz vollständig ohne die andere. Es ist oft sehr schwierig, die alten Sanskritworte mit einem einzigen Ausdruck oder Begriff zu übersetzen, denn in dieser Sprache steht ein Ausdruck für eine ganze Vorstellung und verlangt mehrere Sätze in einer anderen Sprache, um die wahre Bedeutung wiederzugeben.

In diesem Lehrsatz sind gewisse Grundbegriffe enthalten, die um der Klarheit willen hier angegeben werden:

1. Wie ein Mensch denkt, so ist er. Das, was sich in sichtbarer Form auswirkt, ist immer ein Gedanke, und diesem Gedanken entsprechen dann die Form und der Lebenszweck.

2. Gedanken sind von zweifacher Art; erstens solche, die sich darauf richten, Formen zu bilden, Grenzen zu setzen und sich auf der physischen Ebene zum Ausdruck zu bringen; zweitens jene, die sich hinwegwenden von den niederen drei Ebenen und damit vom Form-Aspekt, wie wir ihn in den drei Welten kennen, und die zur Vereinigung (zum Yoga oder Einssein) mit der Seele, dem Christus-Aspekt, führen.

3. Wenn man [192] feststellt, dass die gewohnheitsmässigen Gedanken astrale und physische Auswirkungen haben, muss man sich klarmachen, dass sie für den Yoga nachteilig sind; sie verhindern die Einswerdung.

4. Dann müssen entgegengesetzte Gedanken gepflegt werden; diese sind leicht festzustellen, denn sie sind das direkte Gegenteil der hindernden Gedanken.

5. Die Pflege von Gedanken, die den Yoga erstreben und den Menschen dazu führen, sein wahres Selbst zu erkennen und sich infolgedessen mit diesem Selbst zu vereinigen, bedingt einen dreifachen Vorgang:

a. Man muss den neuen Vorstellungsinhalt, der sich als Gegenteil der alten Gedankengänge erweist, finden, reiflich überlegen und genau formulieren.

b. Dann muss man mit Hilfe der Vorstellungskraft den Gedanken in eine konkrete Form bringen. Das führt in den Bereich des Verlangens und beeinflusst infolgedessen den Astral- oder Emotionalkörper.

c. Dann macht man sich in Gedanken ein genaues Bild darüber, wie sich das, was man sich gedacht und vorgestellt hat, im Leben auf der physischen Ebene auswirken wird.

Man wird feststellen, dass dadurch Energie erzeugt wird. Infolgedessen wird der Ätherkörper durch den neuen Kraftstrom mit Energie- und Lebenskraft erfüllt, und es erfolgen gewisse Umwandlungen und Neuordnungen, die schliesslich die Aktivitäten des Menschen auf der physischen Ebene völlig ändern. Die ständige Übung bewirkt eine völlige Umwandlung im dreifachen niederen Menschen, so dass sich schliesslich die christliche Formulierung bewahrheitet: «Nur Christus wird gesehen und gehört». Nur der [193] wirkliche oder geistige Mensch ist zu sehen, der sich durch ein physisches Instrument zum Ausdruck bringt, so wie sich Christus seinerzeit durch seinen Jünger Jesus manifestierte.

34. Dem Yoga entgegenstehende Gedanken sind: Unrecht und Schädigung, Falschheit, Diebstahl, Ausschweifung und Habsucht, einerlei, ob man diese Dinge selbst tut, ob man sie billigt oder ob man andere dazu veranlasst; gleichgültig, ob die Gedanken aus Habgier, Zorn oder Verblendung (Unwissenheit) entstanden sind und ob die Versündigung geringfügig, mittelmässig oder gross ist. Immer enden sie in grossem Leid und Unwissenheit. Darum müssen entgegengesetzte Gedanken gebildet werden.

Wie man sieht, beziehen sich die fünf Gebote speziell auf «Gedanken», die dem Yoga entgegenstehen, und auf das Halten der Gebote. Dadurch wird folgendes erreicht:

a. Enthaltung von Unrecht tun und von schädigendem Verhalten.

b. Wahrheit statt Falschheit.

c. Enthaltung von Diebstahl.

d. Selbstbeherrschung statt Ausschweifung.

e. Zufriedenheit statt Habgier und Geiz.

Dem Aspiranten bleibt keine Entschuldigung mehr, er erkennt die Wahrheit, dass das Übertreten der Gebote immer Folgen nach sich zieht, ganz gleich, ob die Verfehlung geringfügig oder sehr gross ist. Ein «entgegenstehender Gedanke» muss seine Wirkung ausüben, und diese Wirkung ist zweifach: Schmerz oder Leid, und Unwissenheit oder Selbsttäuschung. Es gibt drei Worte, mit denen sich in der Vorstellung des Esoterikers stets die drei Welten verknüpfen:

1. Maja oder [194] Illusion bezieht sich auf die Welt der Formen, in der sich das wahre Selbst befindet, wenn es verkörpert ist, und mit der es sich aus Unwissenheit äonenlang identifiziert.

2. Selbst-Täuschung - der Zustand irriger Identifizierung, in dem das Selbst in seiner Verblendung sagt: «Ich bin die Form».

3. Unwissenheit oder Avidya, die Folge dieser falschen Identifizierung und gleichzeitig deren Ursache.

Das Selbst ist in einer Form eingehüllt; es wird getäuscht durch die Welt der Illusion. Jedesmal jedoch, wenn «dem Yoga entgegenstehende Gedanken» wissentlich gehegt werden, versenkt sich das Selbst noch mehr in die täuschende Welt und in die Unwissenheit. Jedesmal, wenn «das Gewicht der Vorstellungskraft» auf die Seite des wahren Wesens des Selbst geworfen wird und die Imagination sich von der Welt des Nicht-Selbst abwendet, wird die Illusion gemindert; die Täuschung wird schwächer, und Unwissenheit wird allmählich durch Wissen ersetzt.

35. In der Gegenwart eines Menschen, der keinem Wesen mehr ein Leid oder Unrecht zufügt, hört alle Feindschaft auf.

Dieser Lehrspruch zeigt uns die Auswirkung eines grossen Gesetzes. In Buch IV - Lehrspruch 17 - sagt uns Patanjali, dass das Erkennen eines Merkmals, einer Qualität und einer objektiven Form von der Tatsache abhängt, dass im Wahrnehmenden gleiche Merkmale, Qualitäten und Fähigkeiten anzutreffen sind. Diese Gleichartigkeit ist die Basis der Wahrnehmung. Auf die gleiche Wahrheit wird im ersten Brief des Johannes hingewiesen, in dem [195] es heisst: «Wir werden IHM gleich sein, denn wir werden IHN sehen, wie ER ist». Der Wahrnehmende kann nur das erkennen was bereits ganz oder zum Teil in seinem Bewusstsein vorhanden ist. Wenn also dem Wahrnehmenden Feindschaft und Hass begegnen, ist es darum, weil in ihm. die Keime der Feindschaft und des Hasses vorhanden sind. Wenn sie nicht mehr da sind, besteht nur noch Einheit und Harmonie. Das ist die erste Stufe der universellen Liebe, das praktische Bemühen des Aspiranten, mit allen Wesen eins zu sein. Er beginnt bei sich selbst und sorgt dafür, dass die Keime des ungerechten und schädigenden Verhaltens in seinem eigenen Wesen ausgerottet werden. Er befasst sich daher mit der Ursache, welche die Feindseligkeit gegen ihn und andere bewirkt. Die natürliche Folge davon ist, dass er mit sich und mit anderen in Frieden ist. Diese geistige Verfassung des Yogi bewirkt es, dass selbst wilde Tiere in seiner Gegenwart zahm werden.

36. Wer die Wahrhaftigkeit gegenüber allen Wesen wirklich vollkommen erreicht hat, dem wird die Wirksamkeit seiner Worte und Handlungen sofort sichtbar.

Die Frage der Wahrhaftigkeit ist eines der grossen Probleme, die der Aspirant zu lösen hat. Wer stets bestrebt ist, nur das auszusprechen, was genau der Wahrheit entspricht, sieht sich vor ganz bestimmte Schwierigkeiten gestellt. Wahrhaftigkeit ist im Verlauf der Evolution völlig relativ und in der Ausdruckgebung stufenweise fortschreitend. Man könnte sie folgendermassen definieren: Sie ist die physische Manifestation von so viel göttlicher Wirklichkeit, [196] wie es die jeweilige Entwicklungsstufe und das zur Verfügung stehende Ausdrucksmittel ermöglicht. Wahrhaftigkeit setzt daher voraus, dass der Wahrnehmende oder Aspirant imstande ist, genau zu erkennen, wieviel Göttliches in einer Form (greifbar, objektiv oder Wortform) enthalten ist. Dazu gehört also die Fähigkeit, in das Innere einzudringen und das zu erkennen, was jede Form verhüllt. Ebenso gehört dazu die Fähigkeit des Aspiranten, eine Form (greifbar, objektiv oder Wortform) zu bilden, welche die Wahrheit so wiedergibt, wie sie ist. Das sind in Wirklichkeit die ersten beiden Stadien im grossen schöpferischen Vorgang:

1. Richtige Wahrnehmung,

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.