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Der Yoga-Pfad (die Yoga Sutras von Patanjali), Seite 90 ff. (engl.)

4. Entdecken.

5. Sich-identifizieren.

6. Realisierung. (Bewusste, klare Erkenntnis).

Der Adept kann sich in das Bewusstsein des unendlich Kleinen hineinversetzen, sich mit ihm identifizieren. Er kann sich mit dem Atom der Materie identifizieren, und so erfährt und weiss er das, was bis jetzt dem modernen Wissenschaftler noch unbekannt ist. Er weiss auch, dass das aus menschlichen Atomen bestehende Menschenreich mittwegs auf der Entwicklungsleiter steht, und dass darum das unendlich Kleine von ihm ebensoweit entfernt ist wie das unendlich Grosse. Der Weg, der gegangen werden muss, um das Winzigste in der ganzen Schöpfung Gottes zu erfassen, ist ebenso weit wie der Weg zur Erfassung des grössten Bewusstseins - eines Sonnensystems. Nichtsdestoweniger ist in allen diesen Bewusstseinsbereichen der Weg zur Meisterschaft der gleiche: völlig konzentrierte Meditation, die zur völligen Beherrschung des Denkens führt. Das Denkvermögen ist so beschaffen, dass es erstens als Teleskop dient, das den Menschen mit dem Makrokosmos in Berührung bringt, und zweitens als Mikroskop, das ihm Einblick gewährt in das winzigste Atom.

41. Wer die Vrittis (mentale Modifikationen) völlig beherrscht, erlangt einen Zustand der Wesenseinheit oder Gleichheit mit dem, was erkannt wird. Der Erkennende, das Erkannte und der Erkenntnisbereich werden eins, so wie ein Kristall die Farben dessen annimmt, was sich in ihm widerspiegelt.

Dieser Lehrspruch [91] ergibt sich natürlicher Weise aus dem vorhergehenden. Der vollkommene Seher umfasst in seinem Bewusstsein den gesamten Wissens- (oder Erkenntnis-)bereich, sowohl vom Standpunkt des Betrachters und Beobachters als auch vom Standpunkt des Wesensgleich-werdens. Er ist eins mit dem Atom der Materie, er ist imstande, das kleinste Universum zu erkennen; er ist eins mit dem Sonnensystem, dem grössten Universum, das ihm in diesem grösseren Zyklus zu erkennen erlaubt ist. Seine Seele und ihre Seelen werden als wesensgleich erkannt: in der einen wird die Entwicklungsmöglichkeit gesehen, und in der anderen Seele wird die (vom menschlichen Standpunkt) unfassbare Ordnung erkannt, die zur letzten Vollkommenheit hinführt. Die Aktivität, welche die Elektronen um ihren Mittelpunkt kreisen lässt, wird als dem Wesen nach gleich erkannt mit der, welche die Planeten ihre Bahn um die Sonne ziehen lässt; und zwischen diesen beiden göttlichen Manifestationen ist die ganze Stufenleiter der Formen zu finden.

Der Erforscher des Okkulten muss erkennen, dass es viele und verschiedenartige Formen gibt, dass aber alle Seelen identisch sind mit der Überseele. Das vollständige Erkennen des Wesens, der Qualität, des Grundtons und des Grundmerkmals einer Seele (sei es die eines chemischen Atoms, einer Rose, einer Perle, eines Menschen oder eines Engels) würde das Wesen aller Seelen auf der Leiter der Entwicklung offenbaren. Und für alle ist es der gleiche [92] Vorgang: Wahrnehmung, der Gebrauch der Sinnesorgane einschliesslich des sechsten Sinnes, der Denkfähigkeit, um die Form und ihre Beschaffenheit zu erkennen; Konzentration, ein Willensakt, wodurch die Form von den Sinnen negiert wird und der Erkennende zu dem vordringt, was im Einklang mit seiner eigenen Seele schwingt. So kommt er zum Erkennen dessen, was die Form (oder der Erkenntnisbereich) ausdrücken will - ihrer Seele, ihres Grundtons, ihrer Qualität.

Dann folgt Kontemplation; der Erkennende identifiziert sich (wird wesenseins) mit dem, was in ihm selbst mit der Seele in der Form gleich ist. Beide sind dann eins, und es folgt daraus vollkommene Erkenntnis. Ein solches Erkennen der Wesensgleichheit zwischen zwei Menschen kann in sehr praktischer Weise erfolgen. Zwischen zwei Menschen, die einander sehen, hören und berühren können, kommt es zu einer Begegnung; es folgt eine oberflächliche Wahrnehmung der Form. Aber da ist noch ein weiteres Stadium möglich: der Mensch kann hinter der Form. zum Wesen seines Bruders vordringen; er kann jenen Bewusstseinsaspekt erspüren, der dem eigenen gleicht. Er verspürt den Wert in seines Bruders Leben, die Art seiner Pläne, seines Strebens und seiner Hoffnungen. Er erkennt seinen Bruder, und je besser er sich und seine eigene Seele kennt, um so genauer wird er seinen Bruder erkennen. Schliesslich kann er sich mit ihm identifizieren und so werden wie er, wissend und fühlend, was seines Bruders Seele fühlt und weiss. Das ist der verborgene Sinn der Worte im Johannesevangelium: «Wir werden sein wie ER, denn wir werden IHN erkennen wie ER ist».

Hier könnte [93] es nützlich sein, bestimmte Synonyme noch einmal anzuführen, die zum Verständnis der Lehrsprüche beitragen und den Studierenden befähigen können, diese auf sein Leben praktisch anzuwenden.

Geist #Seele #Körper.

Monade #Ego #Persönlichkeit.

Göttliches Selbst #Höheres Selbst #Niederes Selbst.

Wahrnehmender #Wahrnehmung #das, was wahrgenommen wird.

Erkennender #Erkenntnis #das Erkenntnisfeld.

Denker #Gedanke #Denkfähigkeit (das ist der Kristall, der die Gedanken des Denkers widerspiegelt.)

Eine Hilfe ist auch die, daran zu denken:

1. dass auf der physischen Ebene der Wahrnehmende die fünf Sinne gebraucht, um zum Erkenntnisfeld zu gelangen;

2. dass unsere drei Ebenen in den drei Welten den dichten physischen Körper des Einen bilden, in dem wir leben, weben und sind;

3. dass auf der Astral- oder Emotionalebene die niederen Kräfte des Hellhörens und Hellsehens vom Wahrnehmenden benutzt werden; wenn sie missbraucht werden, offenbaren sie die Schlange im Garten;

4. dass der Wahrnehmende auf der Mentalebene Psychometrie und Symbologie (einschliesslich Numerologie und Geometrie) anwendet, um zu einem Verstehen der niederen mentalen Bereiche zu kommen;

5. dass der Wahrnehmende erst begriffen haben muss, dass diese drei niederen Bereiche den Form-Aspekt bilden, bevor er einen Zustand erreichen kann, in dem er das Wesen der Seele verstehen und die wahre Bedeutung der Lehrsprüche 40 und 41 begreifen kann;

6. dass er, an [94] diesem Punkt angekommen, beginnt, klar zu unterscheiden und das Denkvermögen als sechsten Sinn zu benützen; dadurch dringt er bis zu jener inneren Qualität der lebendigen Kraft vor, die hinter dem Erkenntnisfeld (der Form) liegt. Diese dynamische Qualität macht das Wesen der Seele innerhalb der Form aus und ist potentiell und tatsächlich allwissend und allgegenwärtig.

7. Nachdem der Wahrnehmende die Seele in jeder Form erkannt und vermittelst der eigenen Seele erreicht hat, stellt er fest, dass alle Seelen eins sind; er kann sich mit Leichtigkeit in die Seele eines Atoms oder eines Kolibris hineinversetzen; oder er kann seine Erkenntniskraft nach einer anderen Richtung hin ausdehnen und sich selbst als eins mit Gott und allen übermenschlichen Wesen erkennen.

42. Wenn der Wahrnehmende das Wort, die Idee (oder zugrunde liegende Bedeutung) und das Objekt miteinander verbindet, so nennt man diesen Vorgang einsichtiges Urteilen und Folgern.

In diesem und dem folgenden Lehrspruch führt Patanjali eine frühere Formulierung der Wahrheit weiter aus (siehe Lehrspruch 7). Er lehrt, dass Meditation von zweifacher Art ist:

1. Mit einem Objekt oder Saatgedanken, wobei das vernunftgemäss erklärende kritische Denken angewendet wird, also der Mentalkörper mit seiner Fähigkeit, konkrete Vorstellungen zu bilden und Gedankenformen zu schaffen.

2. Ohne Objekt oder Saatgedanke; dazu gehört eine andere Fähigkeit, die nur dann möglich ist, wenn man das konkrete Denken klar versteht und in der richtigen Weise anwendet. Diese richtige Anwendung setzt die Fähigkeit voraus, «die Modifikationen der [95] Denksubstanz zu stillen» und das «Chitta» (oder die Denksubstanz) so ruhig zu machen, dass es die Färbung des höheren Erkennens annehmen und die höheren Wirklichkeiten widerspiegeln kann.

Der Wahrnehmende muss zu einem Erkennen der Dinge kommen, die in tieferen Bewusstseinsschichten liegen, indem er zuerst die äussere Form wahrnimmt, sodann weiter in den inneren Zustand dieser Form eindringt zu dem, was die Erscheinungsform hervorbringt (eine Kraft von bestimmter Art), bis er zu dem kommt, was die Ursache von beiden ist. Diese drei Faktoren werden in diesem Lehrspruch genannt:

Die Idee #die Ursache, die der Form zugrunde liegt.

Das Wort #der Ton, der die Form erzeugt.

Das Objekt #die Form, die durch den Ton erzeugt wird, um die Idee auszudrücken.

Dieser Vorgang umfasst das Anfangsstadium der Meditation, und da das niedere Denkvermögen dabei gebraucht wird, ist es die differenzierende Methode. Die Dinge werden in ihre einzelnen Teile zerlegt, und es wird erkannt, dass sie - wie alles andere in der Natur - von dreifacher Art sind. Wenn man das einmal begriffen hat, wird die okkulte Bedeutung und Wichtigkeit aller Meditation offensichtlich; ebenso wird die Methode verständlich, wie man Okkultist wird. Der Okkultist, der zu einem Erkennen des Wesens der Dinge kommen will, denkt sich hinein in das Innere der Form, um den Ton zu entdecken, der sie geschaffen hat, oder das Kräfte-Aggregat, das die äussere Form erzeugt hat. Jedes Kräfte-Aggregat hat [96] seinen eigenen Ton, der durch das Zusammenspiel der Kräfte entsteht. Nachdem er das entdeckt hat, dringt er noch weiter in das Innere ein, bis er in Berührung kommt mit der Ursache, der Idee oder dem göttlichen Gedanken (der entweder vom planetarischen oder solaren Logos ausgeht), der den Ton veranlasst und so die Form geschaffen hat.

Beim schöpferischen Werk beginnt der Adept auf der inneren Seite. Da er die Idee kennt, die er in einer Form zu verkörpern sucht, spricht er gewisse Worte oder stimmt gewisse Töne an; dadurch ruft er ganz bestimmte Kräfte heran, die durch ihr Zusammenwirken eine Form von bestimmter Art erschaffen. Je höher die Ebene ist, auf welcher der Adept arbeitet, um so höher sind die Ideen, mit denen er in Berührung kommt, und um so einfacher oder vereinheitlichter sind die geäusserten Töne.

Studenten des Raja Yoga müssen jedoch die elementaren Tatsachen kennen, die alle Formen betreffen; sie müssen sich in ihrer Meditation mit der Differenzierung der Dreiheiten vertraut machen, damit sie schliesslich imstande sind, nach Belieben mit irgendeinem Aspekt in Verbindung zu kommen. Auf diese Weise wird das Wesen des Bewusstseins begriffen, denn der Wahrnehmende, der im Erkennen der Unterschiede geschult ist, kann sich in das Bewusstsein der Atome hineinversetzen, aus denen irgendeine körperliche Form besteht; und er kann weiter gehen und in das Bewusstsein der Energien eintreten, die das greifbare Objekt erzeugen. Diese Energien sind buchstäblich das, was man die «Diener des Wortes» (oder die «Heerscharen des Tones») zu nennen pflegt. Schliesslich kann er auch mit dem Bewusstsein jenes Grossen Lebensträgers in Berührung kommen, Der das Wort sprach, das die Erschaffung der Welt einleitete. Das sind die grossen Grenzmarken, aber dazwischen gibt es Lebewesen auf verschieden hoher Stufe, die für die Zwischentöne verantwortlich sind; und diese können daher wahrgenommen und erkannt werden.

43. Wahrnehmen ohne unterscheidendes Beurteilen wird erreicht, wenn der Einfluss des Gedächtnisses ausgeschaltet ist, wenn über Wort und Objekt hinaus nur noch die Idee vorhanden ist.

Hier handelt [97] es sich um «Meditation ohne Saatgedanken», frei vom vernunftgemässen Gebrauch des Denkvermögens und seiner Fähigkeit, in Einzelheiten zu denken. Das (durch das Erinnerungsvermögen in das Bewusstsein gebrachte) Objekt wird nicht mehr betrachtet; auch das Wort, durch dessen Kraft es geformt wird, wird nicht mehr gehört. Nur die Idee, deren Ausdruck beide sind, wird klar erkannt, und der Wahrnehmende betritt das Reich der Ursachen und Ideen. Das ist reine Kontemplation, frei von Formen und Gedanken; in ihr schaut der Wahrnehmende auf die Welt der Ursachen. Er sieht in reiner geistiger Anschauung die göttlichen Impulse; und nachdem er in kontemplativer Schau das innere Wirken des Reiches Gottes betrachtet hat, spiegelt er im ruhigen

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.