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Von Bethlehem nach Golgatha, Seite 201 ff. (engl.)
er zu seiner dualen Natur erwacht ist, das tut, was falsch und sündig ist, so können und wollen wir ihn nicht als Sünder ansehen ausser wir sind altmodisch genug, an die Doktrin zu glauben, dass jedermann [202] unwiederbringlich verloren sei, wenn er nicht im orthodoxen Sinn des Wortes «erlöst» ist. Nach Jakobus sündigt, wer gegen sein Wissen handelt. Er sagt: «Wer da weiss, Gutes zu tun, und er tut es nicht, dem ist's Sünde» (IV/17). Da haben wir eine wirkliche Definition von Sünde. Es heisst, gegen Licht und Wissen zu handeln und mit Überlegung das zu tun, wovon wir wissen, dass es falsch und unerwünscht ist. Wo ein solches Wissen nicht vorhanden ist, da kann keine Sünde sein. Deshalb werden Tiere als frei von Sünde angesehen, und die Menschen, die in gleicher Unwissenheit handeln, sollten genau so angesehen werden. Aber in dem Augenblick, da ein Mensch gewahr wird, dass er zwei Personen in einer Form, dass er Gott und Mensch ist, nimmt die Verantwortung ständig zu, die Sünde wird möglich, und hier tritt der geheimnisvolle Aspekt der Sünde auf. Er besteht in der Beziehung zwischen dem «verborgenen Menschen des Herzens» (I. Petrus III/4) und dem äusseren, berührbaren Menschen. Jeder der beiden hat sein eigenes Leben und sein eigenes Erfahrungsfeld. Jeder bleibt deshalb für den anderen ein Geheimnis. Die Einswerdung besteht darin, dass die Beziehung zwischen den beiden umgewandelt wird. Werden die Wünsche des «verborgenen Menschen» verletzt, entsteht Sünde.

Wenn diese zwei Aspekte des Menschen vereinigt sind und zusammen als eine Einheit funktionieren, und wenn der geistige Mensch die Handlungen des fleischlichen Menschen überwacht, wird Sünde unmöglich, und der Mensch geht vorwärts, der Grösse zu.

Das Wort «Übertretung» bezeichnet das Überschreiten einer Grenze, es schliesst das Verrücken eines Grenzsteines ein, wie es die Freimaurer nennen, oder die Verletzung eines der Grundprinzipien des Lebens. Es gibt gewisse Dinge, von denen alle wissen, dass sie eine beherrschende Beziehung zum Menschen haben. Solch' eine Sammlung von Grundsätzen wie die zehn Gebote könnte als Beispiel hierzu angeführt werden. Sie bilden die Grenze, die althergebrachter Brauch, vorgeschriebene, richtige Gewohnheiten und die soziale Ordnung der Menschheit auferlegt haben. Das Überschreiten dieser vom Menschen aus Erfahrung selbst eingesetzten Grenzen, denen Gott göttliche Anerkennung gewährte, bedeutet Übertretung, [203] und jeder Übertretung folgt eine unvermeidliche Strafe. Wir zahlen jedesmal den Preis für Unwissenheit und lernen dabei, nicht zu sündigen. Wir werden bestraft, wenn wir die Gesetze nicht halten, und mit der Zeit lernen wir, sie nicht zu übertreten. Instinktiv halten wir gewisse Gesetze, vielleicht weil wir schon oft den Preis gezahlt haben, und gewiss, weil uns zuviel an unserem guten Ruf und der öffentlichen Meinung gelegen ist, als dass wir sie übertreten könnten. Es gibt Grenzen, die der rechtschaffene Durchschnittsbürger nicht übertritt. Tut er es, gesellt er sich zu der grossen Gruppe der Sünder. Das Ideal ist eine beherrschte Tätigkeit in jedem Bereich des menschlichen Lebens, und diese Tätigkeit muss sich auf rechte Motive gründen, durch einen selbstlosen Zweck angetrieben sein und von der Kraft des inneren geistigen Menschen, des «im Herzen verborgenen Menschen», vorwärtsgetragen werden.

Im Englischen gibt es das Wort «Iniquity» (für das es im Deutschen keine treffende Übersetzung gibt), ein anscheinend harmloses Wort. Es bezeichnet einfach eine Unausgeglichenheit, Unebenheit. Ein «iniquitous man» (ein frevelnder Mensch) ist deshalb, technisch ausgedrückt, ein nicht ausgeglichener Mensch, einer, der etwas Unebenes in seinem täglichen Leben duldet. Eine Erklärung wie diese schliesst vieles ein, und selbst wenn wir uns nicht als Sünder und Übertreter ansehen, so fallen wir gewiss unter die Kategorie jener, die manche Unebenheit in der Lebensführung aufweisen. Wir sind nicht immer die gleichen; wir sind unbeständig in unserer Art zu leben. Wir sind manchen Tag so und manchen Tag anders, und wegen dieses Mangels an Balance und Gleichgewicht sind wir «iniquitous» = nicht recht gerichtete oder frevelhafte Menschen im wahren Sinn des Wortes. Es ist gut, sich dieser Dinge zu erinnern, denn sie verhindern die schreckliche Sünde der Selbstzufriedenheit.

Die Frage nach dem Bösen ist zu umfassend, um sie ausführlich zu erläutern, aber man könnte es einfach erklären als unsere Anhänglichkeit an etwas, dem wir entwachsen sein sollten, als das Festhalten an dem, was wir hinter uns gelassen haben sollten. Übel ist für die meisten von uns einzig und allein das Bemühen, uns mit der Formseite des Lebens zu identifizieren, wenn wir schon Seelenbewusstsein haben; und Rechtschaffenheit ist das ständige Ausrichten des Denkens und Lebens zur Seele hin, was zu Handlungen führt, die geistig, harmlos und hilfreich sind. Dieses Empfinden des Bösen und diese Reaktion auf das Gute ist wieder verborgen in der Beziehung zwischen den zwei Hälften der Natur des Menschen [204] , der geistigen und der strenggenommen menschlichen. Wenn wir das Licht unseres erwachten Bewusstseins der niederen Natur zuwenden, und wenn wir dann mit Überlegung «im Licht» jene Dinge tun, die von den niederen Ebenen unseres Daseins bestimmt und belebt werden, dann werfen wir das Gewicht unseres Erkennens auf die Seite des Bösen und sind rückläufig. Es mag vom Standpunkt des «fleischlichen Menschen» nicht immer zweckmässig sein, gewisse Dinge zu tun oder zurückzuweisen, doch wenn wir das Niedere wählen und es tun, also eine bestimmte Wahl treffen, dann ist das Böse in uns vorherrschend.

Es dämmert allmählich im menschlichen Bewusstsein, dass eine abgesonderte Haltung die Elemente von Sünde und Übel in sich trägt. Wenn wir in unserer Haltung separativ sind oder etwas tun, was Trennung hervorbringt, übertreten wir ein grundlegendes Gesetz Gottes. Was wir wirklich tun, ist ein Brechen des Gesetzes der Liebe, das keine Trennung kennt, sondern nur überall Einheit und Synthese, Bruderschaft und gegenseitige Beziehungen sieht. Hierin liegt unser Hauptproblem. Unser Studium von Sünde und Übel wird, wie Dr. Grensted sagt, dazu dienen ... «in der Hauptsache den grundlegenden Charakter unseres Problems als Ergebnis des Fehlens von Vertrauen und eines Verweigerns von Liebe zu enthüllen. Die Psychologen können diesem Gesichtspunkt der Sünde nicht entrinnen, wenn sie sich mit ihr als einer moralischen Krankheit befassen, denn die einzige Hoffnung der Psychologen, eine solche moralische Krankheit erfolgreich zu behandeln, beruht auf dem Versuch, durch Vorgänge im Patienten die latenten persönlichen Quellen des Ego zu wecken. Bei gewissen schwersten Psychosen, wo dies nicht unternommen werden kann, besteht keine menschliche Hoffnung auf Heilung. Der Schlüssel zum psychologischen Heilen liegt in der «Transferenz», d.h. in der Übertragung, und es besteht eine ganz enge Parallele zwischen dieser und der christlichen Sündenvergebung. Beide Methoden sind ganz persönlich, beide hängen von einer Wiederherstellung rechter Beziehungen ab, die beim Priester und Arzt beginnt und in jede Beziehung der sozialen Umgebung hinausreicht». (Psychologie und Gott, engl., von L. W. Grensted, S. 199)

Das Empfinden der Verantwortlichkeit für sein Handeln wächst, wenn der Mensch auf dem Pfad der Evolution stufenweise fortschreitet. Auf den frühen Stufen besteht wenig oder gar keine [205] Verantwortung. Wir haben wenig oder kein Wissen, kein Empfinden für die Beziehung zu Gott und sehr wenig Sinn für die Beziehung zur Menschheit. Dieses Gefühl des Getrenntseins, diese Betonung des persönlichen und individuellen Wohles ist es, was das Wesen der Sünde ausmacht. Liebe ist Einheit, Einswerdung und Synthese; Absonderung ist Hass, Für-Sich-Sein, Trennung. Aber der Mensch, göttlich in seinem Wesen, hat zu lieben, und die Schwierigkeit ist, dass er falsch geliebt hat. Seine Liebe geht auf den frühen Stufen seiner Entwicklung in falscher Richtung, und indem er der Liebe Gottes, welche die wahre Natur seiner eigenen Seele ist, den Rücken kehrt, liebt er das, was mit der Formseite des Lebens, nicht mit der Lebensseite der Form verbunden ist.

Sünde ist also eine deutliche Übertretung des Gesetzes der Liebe in unserer Beziehung zu Gott oder zu unserem Bruder, der ein Sohn Gottes ist. Sie ist eine Handlung aus rein selbstsüchtigem Interesse, die unserer unmittelbaren Umgebung oder der Gruppe, der wir angehören, Leid bringt, einer Familiengruppe, einer sozialen Gruppe, einer geschäftlichen Gruppe oder eben jener Gruppe von Menschen, mit der uns ein gemeinsames Schicksal verbindet.

Dies bringt uns zu der Erkenntnis, dass Sünde letzten Endes falsche Beziehungen zu anderen Menschen bedeutet. Ein Empfinden dieser falschen Beziehung gab in früheren Zeiten Anlass zur Opferung weltlicher Güter auf dem Altar, denn der primitive Mensch schien zu fühlen, dass er, indem er Gott eine Gabe darbot, den Freikauf von seinem Betragen gegenüber seinen Mitmenschen mit Erfolg ermöglichte.

Heute beginnt der Menschheit zu dämmern, dass die einzige wirkliche Sünde die ist, ein anderes menschliches Wesen zu verletzen. Sünde ist der Missbrauch unserer Beziehungen zueinander, und es gibt kein Ausweichen in diesen Beziehungen. Sie bestehen. Wir leben in einer Welt von Menschen, und unser Leben verläuft im Kontakt mit anderen menschlichen Wesen. Die Art, in der wir dieses tägliche Problem handhaben, beweist entweder unsere Göttlichkeit oder unsere irrende niedere Natur. Unsere Aufgabe im Leben ist, das Göttliche zum Ausdruck zu bringen. Dieses Göttliche offenbart sich in der gleichen Weise, wie sich die Göttlichkeit [206] Christi zum Ausdruck brachte: in einem harmlosen Leben und in unaufhörlichem Dienst an unseren Mitmenschen, in einer sorgfältigen Wachsamkeit über Worte und Handlungen, damit wir nicht in irgendeiner Weise Ärgernis geben, «einen dieser Kleinen ärgern» (Lukas XVII/2) und mit Christus das dringende Empfinden teilen, der Not der Welt zu begegnen und die Rolle als Erlöser der Menschen zu spielen. Es ist in herrlicher Weise wahr, dass diese Grundvorstellung des Göttlichen die Menschheit zu erfassen beginnt.

Die Hauptaufgabe Christi war, das Reich Gottes auf Erden zu errichten. Er zeigte uns den Weg, auf dem die Menschheit dieses Reich betreten könnte durch Unterwerfung der niederen Natur bis zum Tod am Kreuz und durch die Auferstehung kraft des innewohnenden Christus. Jeder von uns hat den Weg des Kreuzes allein zu beschreiten und tritt in das Reich Gottes ein durch das Recht seines Erfolges. Aber der Weg wird im Dienst an unseren Mitmenschen gefunden; von diesem Gesichtspunkt betrachtet, war der Tod Christi die logische Folge des Dienstes, den er geleistet hatte. Dienst, Schmerz, Schwierigkeiten und das Kreuz das ist der Lohn für den Menschen, der die Menschheit an die erste und sich selbst an die zweite Stelle setzt. Doch wenn er dies getan hat, entdeckt er, dass die Tür in das Reich für ihn weit offen ist und dass er eintreten kann. Aber zuerst hat er zu leiden. Das ist der Weg.

Durch höchsten Dienst und Opfer werden wir Nachfolger Christi und erwerben das Recht, in sein Reich einzutreten, weil wir nicht allein eintreten. Dies ist das subjektive Element in allem religiösen Streben, und dies haben alle Gottessöhne erfasst und gelehrt. Der Mensch siegt durch Tod und Opfer.

Jener übermenschliche Geist, Christus, tat dies vollkommen. In ihm war keine Sünde, weil er das vergängliche, niedere Selbst vollständig überwunden hatte. Seine Persönlichkeit ordnete sich seiner Gottnatur unter. Die Gesetze der Übertretung berührten ihn nicht, denn er überschritt keine Grenzen und verletzte keine Grundsätze. Er verkörperte das Prinzip der Liebe, und deshalb war es für ihn auf der von ihm erreichten Entwicklungsstufe unmöglich, einen Menschen zu verletzen. Er war vollkommen [207] ausgeglichen und hatte jenes Gleichgewicht erlangt, das ihn von allen niederen Einflüssen befreite und ihn freimachte, zum Thron Gottes aufzusteigen. Ihn band nichts an das Niedrige und an das, was menschlich wünschenswert, aber vom göttlichen Standpunkt verwerflich ist. Deshalb ging das Böse an ihm vorüber; er hatte keinen Umgang mit ihm. «Er wurde versucht allenthalben gleich wie wir, doch ohne Sünde» (Hebräer IV/15). Er kannte keine Absonderung. Reiche Leute, Zöllner, Fischer, Gelehrte, Dirnen und einfaches Volk, alle waren seine Freunde; die grosse «Ketzerei der Absonderung» war durch seinen alle einschliessenden Geist völlig überwunden. So erfüllte er das Gesetz der Vergangenheit, zeigte uns eindringlich das Bild der zukünftigen Menschheit und trat für uns hinter den Schleier, indem er uns aufforderte, seinen Schritten zu folgen ein Beispiel des Opfers bis zum Tod, eines unaufhörlich geleisteten Dienstes in Selbstvergessenheit und eines Heldentums, das ihn von Stufe zu Stufe auf dem Pfad, von Höhe zu Höhe führte, bis ihn keine Schranke mehr aufhalten konnte, auch nicht die Schranke des Todes. Er bleibt der ewige Gott-Mensch, der Erlöser der Welt. Er erfüllte den Willen Gottes in Vollendung und sagte uns die Worte, die uns eine einfache Regel mit einer grossen Belohnung geben: «So jemand seinen Willen tun will, der wird wissen, ob diese Lehre von Gott sei» (Joh. VII/17).

Die Einfachheit dieser Unterweisung ist verblüffend. Es wird uns einfach gesagt, Gottes Willen zu tun, dann wird uns die Wahrheit offenbart werden. Es gab Zeiten im Leben Christi, z.B. im Garten von Gethsemane, wo er mit sich kämpfte, um den Willen Gottes zu tun. Es gab Augenblicke, in denen sein menschliches Fleisch verzagte vor der Aussicht, die sich vor ihm auftat. Er kannte daher die Schwierigkeit dieser einfachen Regel.

Wenn wir unsere Aufmerksamkeit dem Bericht von der Kreuzigung zuwenden, leuchtet ein, dass wir die Einzelheiten nicht zu wiederholen brauchen. Sie ist uns wohlbekannt und vertraut, so [208] dass die Worte, in die sie gekleidet ist, wenig bedeuten. Die Erzählung vom triumphalen Einzug Christi in Jerusalem, wo er im oberen Raum seine Jünger um sich scharte und mit ihnen am Abendmahl von Brot und Wein teilnahm, vom Versagen jener, die ihn angeblich liebten, und von seiner

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.