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Von Bethlehem nach Golgatha, Seite 196 ff. (engl.) |
In diesem Gedankengang haben wir eine genaue Darstellung des Weges, auf dem alle Ideen (intuitiv empfangen und unfehlbar richtig) entstellt werden. Menschliches Denken und vorgefasste Begriffe verfärben sie: Die Idee wird zum Ideal, dient einem nützlichen Zweck und führt den Menschen vorwärts (wie die Idee des Opfers die Menschen immer näher zu Gott geführt hat), bis sie zum Idol und infolgedessen begrenzt und unwahr wird. 2. Wir haben gesehen, dass einer der für den Sündenkomplex des Westens verantwortlichen Faktoren die Entwicklung der Denkfähigkeit gewesen ist, mit den sich daraus ergebenden Nachwirkungen eines entwickelten Gewissens, eines Sinnes für Werte und (als Ergebnis davon) der Fähigkeit, die höhere und die niedere Natur im Gegensatz zueinander zu sehen. Wenn das Höhere Selbst mit seinen Werten und seinem Bereich von Kontakten instinktiv berührt wird, und das niedere Selbst mit seinen geringeren Werten und seinem mehr materiellen Tätigkeitsbereich ebenfalls erkannt ist, dann folgt notwendig, dass sich ein Sinn für Unterscheidung und für Fehler entwickelt: die Menschen werden sich ihres Mangels an Erfolgen bewusst. Sie erkennen Gott und die Menschheit, die Welt, das Fleisch und den Teufel, doch gleichzeitig auch das Reich Gottes. Im Zuge der Entwicklung des Menschen ändern sich seine Begriffe, und die primitiven sogenannten Sünden des unentwickelten Menschen und die Fehler und Schwächen des «netten» Durchschnittsbürgers der modernen Zeit bringen ein anderes Denk- und Urteilsvermögen mit sich und gewiss eine unterschiedliche Stellungnahme zur Strafe. Wenn sich unsere Auffassung von Gott wandelt und entwickelt und wir der Wirklichkeit näherkommen, sind wir fähig, unseren ganzen Ausblick auf das Leben, uns selbst und unsere Mitmenschen zu ändern und zu erweitern, und wir werden göttlicher und menschlicher zugleich. Es ist eine menschliche Eigentümlichkeit, sich der Sünde bewusst und [197] sich darüber klar zu sein, dass, wenn ein Mensch schuldig wird, er in der einen oder anderen Form einen Preis zu zahlen hat. Der Keim des Denkens liess diese Vorstellung schon in der Frühzeit der Menschheit wachsen, aber es brauchte fast 2000 Jahre des Christentums, um die Sünde zu einer solchen Bedeutung zu erheben, dass sie, wie noch heute, einen ersten Platz im menschlichen Denken einnimmt. Wir sind in einer Situation, in der das Gesetz, die Kirche und die Erzieher der Menschheit beinahe gänzlich mit der Sünde und ihrer Verhütung beschäftigt sind. Man fragt sich manchmal, wie die Welt heute aussehen würde, wenn die Erklärer des christlichen Glaubens sich mit der Liebe und dem liebenden Dienen beschäftigt hätten statt mit dieser ständig wiederholten Betonung des Blutopfers und der Bosheit der Menschen. Das Thema der Sünde läuft natürlicher und normalerweise durch die menschliche Geschichte, und das Bemühen, Sünde durch Tieropfer zu sühnen, war immer vorhanden. Der Glaube an eine zornige Gottheit, die Strafe forderte für alles, was der Mensch gegen einen Bruder verübte, und einen Preis verlangte für alles, was der Mensch als Naturprodukt der Erde erntete, ist so alt wie der Mensch selbst. Er ist durch viele Phasen gegangen. Die Idee von einem Gott, dessen Natur Liebe ist, hat durch Jahrhunderte mit der Idee von einem Gott gekämpft, dessen Natur Zorn ist. Der herausragende Beitrag Christi zum Fortschritt der Welt war seine durch Wort und Beispiel bezeugte Bestätigung des Gedankens, dass Gott Liebe ist, und keine zornige Gottheit, die eifersüchtig Vergeltung auferlegt. Der Kampf zwischen diesem alten Glauben und der Wahrheit von Gottes Liebe, die Christus zum Ausdruck brachte und die auch Krishna verkörperte, wütet noch immer. Der Glaube an einen zornigen, eifersüchtigen Gott sitzt noch sehr fest. Er ist im Bewusstsein der Menschheit verwurzelt, und erst heute beginnen wir langsam, einen anderen Ausdruck von Göttlichkeit wahrzunehmen. Unsere Auslegung von Sünde und ihrer Bestrafung ist auf falscher Fährte gewesen, aber die Wirklichkeit von Gottes Liebe kann nun erfasst werden und dadurch die unglückliche Lehre von einem zornigen Gott ersetzen, der zur Versöhnung für der Welt Übel seinen Sohn sandte. Von diesem [198] Glauben ist vielleicht der Calvinismus die beste und reinste Darstellung, und eine kurze Zusammenstellung dieser theologischen Lehre wird den Begriff verständlicher machen. «Der Calvinismus ist aufgebaut auf dem Dogma von der absoluten Oberherrschaft Gottes, einschliessend Allmacht, Allwissenheit und ewige Gerechtigkeit eine allgemeine christliche Lehre, aber durch die Calvinisten mit unnachgiebiger Logik zu extremen Schlüssen entwickelt. Der Calvinismus wird oft kurz in fünf Punkten zusammengefasst: 1. Jedes menschliche Wesen als ein Nachkomme von Adam (den in jenen Zeiten alle Christen als eine historische Person ansahen) ist schon von Geburt an mit der Erbsünde belastet, zu der dann die im eigenen Leben begangenen späteren Sünden hinzukommen. Ein Mensch kann nichts tun, um seiner eigenen Sünde und Schuld ledig zu werden, das kann nur durch die Gnade Gottes geschehen, die ihm barmherzig gewährt wird durch das Sühneopfer Christi, ohne irgendein Verdienst von seiner Seite. 2. So können nur diese bestimmten Personen gerettet werden (teilweise Erlösung). 3. Jenen sendet Gott einen wirksamen Ruf, stärkt ihren Willen und befähigt sie, die Erlösung anzunehmen. 4. Wer erlöst oder wer nicht erlöst wird, ist daher eine Sache der göttlichen Auswahl oder Vorherbestimmung. 5. Gott wird niemals seine Erwählten verlassen: sie werden niemals der letzten Erlösung verlustig gehen (Beharrlichkeit der Heiligen). Die Calvinisten betonten mit grossem Eifer und waren bestrebt, mit viel Spitzfindigkeit darzustellen, dass ihre Lehre völlig für menschliche Freiheit sorgt, und dass Gott in keiner Weise für menschliche Sünde verantwortlich ist». (Religionsphilosophie eines Studenten, engl., von William K. Wright, S. 178) In Anbetracht dieser Betonung menschlicher Sündhaftigkeit und als ein Ergebnis der uralten Gewohnheit, Gott Opfer anzubieten, wurde die wahre Mission Christi deshalb lange unbeachtet gelassen. Anstatt, dass man erkannt hätte, welch' ewige Hoffnung für die Menschheit er in sich verkörperte, wurde er in das alte Opfersystem einbezogen, und die alten Denkgewohnheiten waren zu stark für die neue Idee, die zu bringen er kam. Sünde und Opfer vertrieben und verdrängten die Liebe und den Dienst, auf die er unsere Aufmerksamkeit durch sein Leben und seine Worte zu lenken suchte. Dies ist es auch, warum vom psychologischen Gesichtspunkt gesehen das Christentum solche traurigen, erbarmungswürdigen und sündenbewussten Menschen erzeugt hat. Christus, das Opfer für die Sünde, und das Kreuz Christi, als das [199] Instrument seines Todes, haben die Aufmerksamkeit der Menschen an sich gezogen, während Christus, der vollkommene Mensch, und Christus, der Sohn Gottes, wenig betont worden sind. Die kosmische Bedeutung des Kreuzes wurde im Westen gänzlich vergessen (oder sie war niemals bekannt). Ursprünglich ist Erlösung nicht verknüpft mit Sünde. Sünde ist ein Symptom eines Zustands, und wenn der Mensch «wahrhaft gerettet» ist, so ist dieser Zustand ausgeglichen und mit ihm die gelegentlich sündhafte Natur. Christus kam, um uns die Natur des «geretteten Lebens» zu zeigen und das Wesen des Ewigen Selbst zu offenbaren, das jedem Menschen innewohnt. Dies ist die Lehre aus der Kreuzigung und Auferstehung: die niedere Natur muss sterben, damit die höhere sich zeigen kann. Aus dem Grab der Materie muss die ewige unsterbliche Seele in jedem Menschen auferstehen. Es ist interessant, der Idee nachzuspüren, dass Menschen als Ergebnis der Sünde in dieser Welt leiden müssen. Im Osten, wo die Lehren von Reinkarnation und Karma verbreitet sind, leidet ein Mensch für seine eigenen Taten und Sünden und «bewirkt seine eigene Erlösung mit Furcht und mit Zittern» (Philister II/12). In der jüdischen Lehre leidet ein Mensch für die Sünden seiner Väter und seiner Nation, und das ist der Kern einer Wahrheit, die erst heute beginnt, als Tatsache anerkannt zu werden, die Wahrheit der physischen Vererbung. Nach der christlichen Lehre leidet Christus, der vollkommene Mensch, mit Gott, weil Gott die Welt so liebte, dass er, der Welt innewohnend, wie er es ist, sich nicht von den Folgen der menschlichen Schwäche und Unwissenheit lösen konnte. So gibt die Menschheit dem Leiden einen Sinn, und so wird das Übel schliesslich überwunden. Gedanke und Idee des Opfers für die Sünden des Volkes war nicht die ursprüngliche und grundlegende Idee. Ursprünglich bot die junge Menschheit Gott Opfer an, um seinen Zorn zu besänftigen, der sich in den Elementen durch Sturm und Erdbeben und physische Katastrophen zeigte. Wenn sich die Menschen, dem Instinkt folgend, gegeneinander wandten, wenn sie einander kränkten und schadeten und so die dunkel gefühlte menschliche Beziehung und Verwandtschaft verletzten, wurde Gott wieder ein Opfer angeboten, damit er den Menschen nicht auch schaden [200] sollte. So wuchs diese Idee nach und nach. Die Vorstellung der Erlösung könnte kurz in folgenden Sätzen zusammengefasst werden: 1. Die Menschen werden erlöst von dem in Naturerscheinungen sich offenbarenden Zorn Gottes durch Tier-Opfer, in noch älteren Zeiten durch Opfer von Früchten der Erde. 2. Die Menschen werden erlöst vom Zorn Gottes und voneinander durch das Opfer dessen, was hohen Wert besitzt; dies führt schliesslich zum Menschen-Opfer. 3. Die Menschen werden erlöst durch das Opfer eines anerkannten Gottessohnes, daher die stellvertretende Sühne, durch welche die vielen gekreuzigten Welterlöser den Weg für Christus vorbereiteten. 4. Die Menschen werden schliesslich erlöst von der ewigen Strafe für ihre Sünden durch den Tod Christi am Kreuz. Der Sünder, der sich eines unfreundlichen Wortes schuldig macht, ist ebenso verantwortlich für Christi Tod wie der gemeinste Mörder. 5. Endlich erwächst allmählich die Erkenntnis, dass wir erlöst sind durch den lebendigen, auferstandenen Christus, der uns historisch ein Ziel bietet und der in jedem von uns als die ewige allwissende Menschenseele gegenwärtig ist. Heutzutage tritt der auferstandene Christus in den Vordergrund des menschlichen Bewusstseins, und deshalb sind wir jetzt auf dem Weg zu einer Periode grösserer Geistigkeit und echterem religiösen Ausdrucks als zu irgend einer anderen Zeit in der Menschheitsgeschichte. Das religiöse Bewusstsein ist der beständige Ausdruck des innewohnenden geistigen Menschen, des Christus im Inneren, und kein äusseres irdisches Geschehen, keine nationale Situation, mögen sie zeitweilig noch so materiell in ihren Zielen erscheinen, kann die Gegenwart Gottes in uns trüben oder auslöschen. Wir lernen, dass diese GEGENWART nur durch den Tod der niederen Natur befreit werden kann, und dies ist es, was Christus uns immer von seinem Kreuz sagte. Wir erfassen zunehmend, dass die «Nachfolgeschaft seines Leidens» bedeutet, mit ihm das Kreuz zu besteigen und dauernd an der Kreuzigungs-Erfahrung, teilzunehmen. Wir kommen zu der Erkenntnis, dass der bestimmende Faktor im menschlichen Leben Liebe ist, und dass «Gott Liebe ist» (I. Joh. IV/8). Christus kam, uns zu zeigen, dass Liebe die bewegende [201] Kraft im Universum ist. Er litt und starb, weil er liebte und um die Menschen so sehr besorgt war, dass er ihnen den Weg zeigte, den sie gehen sollten von der Höhle der Geburt zum Berg der Verklärung und weiter zur Todesqual der Kreuzigung, wenn auch sie bereit sind, teilzuhaben am Leben der Menschheit und ihrerseits Erlöser ihrer Mitmenschen werden. Wie sollen wir also die Sünde erklären? Wir wollen uns zunächst die Worte ansehen, die in der Bibel oder in theologischen Büchern und Kommentaren verwendet werden, die sich mit dem Thema Sünde, Übertretung, Schlechtigkeit, Übel und Absonderung befassen. Dieses alles sind Ausdrücke für die Beziehung des Menschen zu Gott und zu seinen Mitmenschen, und nach dem Neuen Testament sind die Worte Gott und unsere Mitmenschen untereinander austauschbar. Was bedeuten sie? Die wirkliche Bedeutung des Wortes Sünde ist sehr dunkel. Nach Websters Ungekürztem Wörterbuch (engl). bedeutet es buchstäblich «der Eine, der es ist», wörtlich also: der Eine, der existiert, insofern er sich gegen den göttlichen, in ihm verborgenen Aspekt auflehnt, ist ein Sünder. Einige Worte von Dr. Grensted klären diesen Zusammenhang. Er sagt: «Die Menschen kehrten sich ab von Gott», sagt Athanasius, «als sie begannen, sich selbst Aufmerksamkeit zu schenken»; Augustinus identifiziert die Sünde mit der Selbstliebe. Dr. Williams behauptet, dass das der Sünde zugrundeliegende Prinzip in «der Selbstbehauptung des Individuums gegen die Herde zu finden ist, ein Prinzip, das wir nur mit den unzutreffenden Worten Selbstsucht, Lieblosigkeit und Hass bezeichnen können». Dr. Kirk erklärt, «dass Sünde mit Eigennutz beginnt». (Psychologie und Gott, engl., von L. W. Grensted, S. 136) Diese Gedanken bringen uns direkt zu dem zentralen Problem der Sünde, das letzten Endes das Problem der grundsätzlichen Dualität des Menschen ist, ehe er die Einswerdung vollzogen hat, auf die Christus hinlenkte. Wenn der Mensch, ehe |
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Last updated Saturday, February 14, 1998 © 1998 Netnews Association. All rights reserved. |