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Von Bethlehem nach Golgatha, Seite 190 ff. (engl.)
Absterbens für die materiellen Dinge, die Neigung des Menschen, zu sündigen und Gott zu vergessen, und die Notwendigkeit für einen Wandel des Herzens und der Absichten, sind der Beitrag des westlichen Christentums zu den religiösen Glaubensbekenntnissen in der Welt. Aber wir sind so ausschliesslich mit dem Gegenstand der Sünde beschäftigt gewesen, dass wir unsere Göttlichkeit vergessen haben; und wir sind so intensiv individuell in unserem Bewusstsein gewesen, dass wir einen Erlöser geschildert haben, der sein Leben für uns als Einzelwesen gab, da wir glauben, dass wir, wäre er nicht gestorben, niemals in den Himmel kommen könnten. Auf diese Wahrheiten hat der östliche Christ wenig Betonung gelegt; er legt das Gewicht auf den lebendigen Christus und die göttliche Natur des Menschen. Ganz sicher nur, wenn das Beste der in diesen zwei Richtungen dargebotenen Wahrheiten zusammengebracht und dann neu ausgelegt wird, können wir zu der grundlegenden Auffassung gelangen, von der wir ohne Fragen und mit der Gewissheit annehmen können, dass sie genug umschliesst, um wirklich göttlich zu sein. Es gibt Sünde, und Opfer ist immer verbunden mit dem Inordnungbringen unserer sündhaften Naturen. Es ist ein Tod, durch den man zum Leben kommt, und die Notwendigkeit, «täglich zu sterben», wie Paulus sagt, damit wir leben können. Christus starb für alles, was sein Dasein in der Form hatte, und er hinterliess uns ein Beispiel, um seinen Fussspuren zu folgen. Aber wir im Westen haben die Verklärung vergessen und die Berührung mit dem Göttlichen verloren, und wir sollten nun bereit sein, von dem östlichen Christen das anzunehmen, woran er so lange geglaubt hat.

Diese Gnosis hat es in der Welt immer gegeben. Lange bevor Christus kam, wurde die Göttlichkeit des Menschen bezeugt, und göttliche Inkarnationen wurden anerkannt.

Die Gnostiker erhoben Anspruch, Hüter einer Offenbarung zu sein, die ihnen nicht allein gehörte, sondern die schon immer in der Welt vorhanden war. G. R. S. Mead, eine Autorität auf diesem Gebiet, bemerkt: «Die Ansicht dieser Gnostiker war praktisch die, dass die gute Nachricht von Christus (dem Christos) in der Zusammenfassung der Geheimlehren der Mysterienschulen aller Völker [191] bestand, deren aller Ziel die Enthüllung des Geheimnisses des MENSCHEN war. In Christus wurde das Mysterium des Menschen enthüllt». (Dreimal grösster Hermes, engl., von G. R. S. Mead, Bd. I, S. 141)

Wenn also die Tatsache erwiesen ist, dass da eine Folge von Offenbarungen bestand, und dass Christus einer der in langer Reihe sich zeigenden Gottessöhne war, worin unterschied sich dann seine Person und seine Mission von jener der anderen? Wir können und müssen mit Pfleger übereinstimmen, wenn er sagt: «Die Inkarnation Gottes in Christus ist nur eine grössere und vollkommenere Theophanie (Gotteserscheinung, d. Ü). in einer Reihe anderer, weniger vollkommener Theophanien, die den Weg dafür bereiteten durch Umformung der menschlichen Natur, die sie annahmen. ... Inkarnation ist kein Wunder im strengen, groben Sinn des Wortes, ebensowenig wie die Auferstehung, das heisst die innere Einung von Materie und Geist, etwas der allgemeinen Daseinsordnung Fremdes ist». (Geister, die um Christus ringen, engl., von Karl Pfleger, S. 242) Worin unterschied sich somit die Mission Christi von den anderen?

Der Unterschied lag in dem Grad der Entwicklung, den die Menschheit selbst erreicht hatte. In dem von Christus eingeleiteten Zyklus sind die Menschen erst tatsächlich menschlich geworden. Bis zu dieser Inkarnation waren es immer nur einige gewesen, die, nachdem sie Menschlichkeit erreicht hatten, weitergingen, um Göttlichkeit zu offenbaren. Nun aber ist die gesamte Menschheit an dem Punkt, wo sie das tun kann. Obgleich die Menschen von heute vorwiegend tierisch-emotionell sind, haben sie doch durch den Erfolg des Evolutionsvorganges, der zu unserem weitverbreiteten Erziehungssystem und dem allgemein hohen Stand des mentalen Gewahrseins geführt hat, den Punkt erreicht, an dem die Massen selbst, wenn man ihnen entsprechende Ermutigung gibt, in das «Reich Gottes eintreten» können. Wer kann sagen, ob es nicht dieses Begreifen ist, so undeutlich und ungewiss es auch sein mag, das die allgemeine Unruhe und die weitverbreitete Entschlossenheit zu besseren Daseinsbedingungen veranlasst? Dass wir das Reich Gottes in materiellen Begriffen auslegen, ist zuerst unvermeidlich, aber es ist ein hoffnungsvolles und geistiges Zeichen, dass wir heute [192] so geschäftig das Haus reinigen und damit versuchen, das Niveau unserer Zivilisation zu heben. Christus wurde Mensch, als die Menschheit zum ersten Mal ein vollendetes Ganzes war, soweit es die Formseite ihrer Natur mit allen physischen, psychischen und mentalen Eigenschaften betraf, die das menschliche Tier charakterisieren. Er gab uns Kunde davon, was der vollkommene Mensch sein könnte, der die Formseite als den Tempel Gottes ansieht, jedoch das ihm innewohnende Göttliche erkennt und danach strebt, dies zuerst in seinem eigenen Bewusstsein und dann vor der Welt herauszustellen. Dies tat Christus. Immer waren die Mysterien dem einzelnen Menschen enthüllt worden, der sich vorbereitet hatte, in das verborgene Arkanum oder den Tempel einzudringen, doch Christus enthüllte sie der ganzen Menschheit und stellte das Drama des Gottmenschen vor der ganzen Menschheit dar. Dies, der lebendige Christus, war sein Hauptziel. Das haben wir vergessen in der Betonung, die wir auf den Menschen selbst gelegt haben, auf seine Beziehung zu sich selbst als einen Sünder, und zu Gott als den, gegen den er gesündigt hat.

Nochmals, jede grosse Organisation, Religionsgruppe oder jeder Kult irgendwelcher Art hat mit einer Persönlichkeit begonnen, und von dieser Persönlichkeit hat sich die Idee in die Welt hinaus verbreitet und hat mit der Zeit Anhänger gesammelt. Christus brachte auf diese Weise das Reich Gottes auf die Erde herunter. Es hatte in den himmlischen Stätten immer bestanden. Er verursachte seine Materialisierung, so dass es im Bewusstsein der Menschen eine Tatsache wurde.

Bereitschaft für das Reich und das Heraufkommen der Zeit, da Menschen in grosser Zahl in die Mysterien eingeweiht werden könnten, erforderte von ihnen eine Erkenntnis der Unwürdigkeit und Sündhaftigkeit, die nur die Entfaltung des Denkens geben konnte. Das Zeitalter des Christentums ist ein Zeitalter mentaler Entfaltung gewesen, aber auch eine Zeit, in der viel Betonung auf Sünde und Übeltun gelegt wurde. Tiere haben kein Sündenbewusstsein, obschon es bei Haustieren infolge ihrer Beziehung zu den Menschen Anzeichen eines Bewusstseins geben kann. Das Denken erzeugt die Kraft, genau zu untersuchen, zu beobachten, zu unterscheiden und zu erkennen; und so hat seit dem Beginn mentaler [193] Entwicklung für lange Zeit ein zunehmendes Gefühl von Sündhaftigkeit, Zerknirschung und eine beinahe unterwürfige Haltung gegenüber dem Schöpfer bestanden, was bei der Menschheit jenen stark hervortretenden Minderwertigkeitskomplex erzeugte, mit dem es heute die Psychologen zu tun haben. Gegen dieses wachsende Empfinden von Sünde, mit seinen Begleitern der Busse, Sühne und dem Opfer Christi für uns, hat es Auflehnung gegeben, und in dieser wirklich heilsamen Reaktion liegt die normale Tendenz, zu weit zu gehen. Glücklicherweise sind wir niemals imstande, uns allzuweit vom Göttlichen zu entfernen, und es ist der aufrichtige Glaube aller Wissenden, dass wir uns als Menschheit in einen Zustand von grösserer Geistigkeit als je zuvor einschwingen werden. Die Theologie übernahm sich mit ihrem Komplex vom «erbärmlichen Sünder» und mit ihrem Nachdruck auf der notwendigen Reinigung durch Blut. Die Lehre von der Reinigung durch das Blut von Stieren und Widdern (oder von Lämmern) war ein Teil der alten Mysterien und wurde von uns hauptsächlich aus den Mysterien des Mithra übernommen. Diese Mysterien ihrerseits ererbten die Lehre und bildeten daraus ihre Doktrin, die das Christentum in sich aufnahm. Als die Sonne im Zeichen Taurus, des Stieres, stand, wurde das Opfer des Stieres vollzogen, als eine Voraussage dessen, was Christus später zu offenbaren kam. Als die Sonne weiter schritt (in der Präzession der Äquinoktien) in das nächste Zeichen Aries, des Widders, finden wir das Opfer des Lammes, und der Sündenbock wurde in die Wüste getrieben. Christus wurde im nächsten Zeichen geboren, in dem von Pisces, der Fische, und dies ist der Grund, warum wir zum Gedächtnis an sein Kommen am Karfreitag Fisch essen. Tertullian, einer der ersten Kirchenväter, spricht von Christus als dem «Grossen Fisch» und von uns, seinen Nachfolgern, als den «Kleinen Fischen». Diese Tatsachen sind wohlbekannt, wie der folgende Auszug zeigt.

«Die Zeremonien der Reinigung durch Besprengen oder Begiessen des Novizen mit dem Blut von Stieren oder Böcken waren weit verbreitet und in den Riten des Mithra zu finden. Durch diese Reinigung wurde der Mensch «wiedergeboren», und der christliche Ausdruck, gewaschen im Blut des Lammes' ist zweifellos eine Widerspiegelung dieses Gedankens. Die Anspielung darauf ist klar in den Worten des Hebräerbriefes: «Es ist nicht möglich, dass das Blut von Stieren oder Böcken Sünden hinwegnehmen werde». Nach dieser Stelle heisst es weiter: «Habet die Kühnheit, in das [194] Heiligste einzutreten durch das Blut Jesu, auf einem neuen und lebendigen Weg, welchen er für uns geheiligt hat durch die Hülle, nämlich sein Fleisch ... lasst uns näher hinzutreten ... indem wir unsere Herzen besprengt und vom bösen Gewissen gereinigt haben und unsere Leiber gewaschen mit reinem Wasser». Wenn wir hören, dass bei der Mithraischen Einweihungszeremonie der Novize mit verhüllten Augen mutig in ein «Allerheiligstes» in einem geheimnisvollen unterirdischen Raum eintrat, und dass er dort mit Blut besprengt und mit Wasser gewaschen wurde, dann ist es klar, dass der Schreiber der Epistel an diese Mithra-Riten dachte, mit denen damals jedermann vertraut gewesen sein mag». (Das Heidentum in unserer Christenheit, engl., von Arthur Weigall, S. 132, 133)

Christus kam, diese Opfer abzuschaffen, indem er uns deren wahre Bedeutung zeigte; als vollkommener Mensch starb er den Kreuzestod, um uns (in bildlicher Form und durch wirkliche Darstellung) zu zeigen, dass Göttlichkeit sich nur dann offenbaren und wahrhaft zum Ausdruck bringen kann, wenn der Mensch als Mensch gestorben ist, damit der verborgene Christus leben möge. Die niedere fleischliche Natur (wie Paulus sie gern nannte) muss sterben, damit die höhere, göttliche Natur in all ihrer Schönheit sich zeigen kann. Das niedere Selbst muss sterben, damit das Höhere Selbst sich auf Erden kundtun kann. Christus musste sterben, damit die Menschheit ein für allemal lernen sollte, dass durch das Opfer der menschlichen Natur der göttliche Aspekt «gerettet» würde. So fasste Christus in sich die Bedeutung aller vergangenen Weltopfer zusammen. Jene geheimnisvolle Wahrheit, die nur dem verpflichteten und geschulten Eingeweihten offenbart wurde, wenn er bereit war für die vierte Einweihung, wurde von Christus an die Menschenwelt hinausgegeben. Er starb für alle, damit alle leben sollten. Aber dies ist nicht die Lehre vom stellvertretenden Sühneopfer, welche in der durch Paulus gegebenen Auslegung der Kreuzigung vorherrschend ist, sondern die Lehre Christi selbst die Lehre von der göttlichen Immanenz (siehe Joh. XVII) und die Lehre vom Gottmenschen.

Das Christentum hat viele seiner Auslegungen ererbt, und die Lehrer und Interpreten der frühchristlichen Zeit waren nicht freier [195] von der Bindung der alten Glaubenslehren, als wir von den Auslegungen des Christentums während der vergangenen 2000 Jahre. Christus gab uns die Lehre, dass wir sterben müssen, um als Götter zu leben, und deshalb starb er. Er fasste in sich alle Überlieferungen der Vergangenheit zusammen, denn er «erfüllte nicht nur die jüdischen Heiligen Schriften, sondern auch jene der heidnischen Welt, und darin liegt der grosse Anruf des frühen Christentums. In ihm waren ein Dutzend schattenhafte Götter zu einer unmittelbaren Realität verdichtet, und in seiner Kreuzigung wurden die alten Geschichten mit ihrem grausigen Sühneleiden und Opfertode aktuell gemacht und bekamen eine direkte Bedeutung». (Heidentum in unserer Christenheit, engl., von Arthur Weigall, S. 158) Aber sein Tod war auch die Vollendung eines Lebens voller Opfer und Dienst und die logische Folge seiner Lehren. Pioniere und jene, die den Menschen den nächsten Schritt enthüllen, und diejenigen, die erscheinen, um den göttlichen Plan zu erläutern, werden unvermeidlich verstossen, und gewöhnlich sterben sie infolge ihrer mutigen Verkündigungen. Von dieser Regel machte Christus keine Ausnahme. «Fortgeschrittene christliche Denker betrachten jetzt die Kreuzigung unseres Herrn als das höchste Opfer, das er um der Grundsätze seiner Lehre willen darbrachte. Es war die Krönung seines höchst heldenmütigen Lebens, und es bietet der Menschheit solch ein erhabenes Beispiel, dass die Meditation darüber einen Zustand des Einswerdens mit dem Urquell aller Güte hervorbringen kann». (a. a. O., S. 166)

Wie kommt es dann, dass wir heute so eine Betonung auf das Blutopfer Christi und auf den Gedanken der Sünde gelegt haben? Es könnte scheinen, dass dafür zwei Gründe verantwortlich sind:

1. Die ererbte Idee vom Blutopfer. Dr. Rashdall (Die Idee der Sühne, engl., S. 248) sagt dazu: «Die verschiedenen Autoren der kanonischen Bücher waren tatsächlich so an die vorchristlichen Ideen von Sühneopfer und Busse gewöhnt, dass sie diese annahmen, ohne sie bis zu ihren Wurzeln zu verfolgen. Aber diese Unbestimmtheit war nicht im Sinn der frühen christlichen Kirchenväter. Im zweiten Jahrhundert n. Chr. erklärten Irenäus und nach ihm andere die Lehre mit der sogenannten «Loskauf-Theorie», [196] die besagt, dass durch Adams Fall der Teufel rechtmässiger Herr der Menschheit war, und dass Gott keine Möglichkeit hatte, nach dem Gesetz Satans Untertanen ihm wegzunehmen, ohne ein Lösegeld für sie zu zahlen, weshalb er ihm seinen eigenen eingeborenen Sohn im Austausch hingab».

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.