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Von Bethlehem nach Golgatha, Seite 100 ff. (engl.)
Kommentatoren «das, was trennt», so, wie ein Fluss das Land teilt und trennt. In der esoterischen Symbolik bedeutet das Wort «river» (Fluss) häufig Diskrimination, d. i. Unterscheidung. Wir haben gesehen, dass Wasser die emotionelle Natur versinnbildlicht und dass die Reinigung im Jordan durch die Taufe die vollständige Befreiung von allem Fühlen, allen Wünschen und von dem Leben des Verlangens bezeichnet, das der bestimmende Faktor für die meisten Menschen ist. Die erste Einweihung versinnbildlicht die Zueignung des physischen Körpers und des Lebens auf der physischen Ebene an die Seele. Die zweite Einweihung steht für die tatsächliche Kontrolle und Weihe der Wunschnatur, der Natur des Verlangens mit ihren gefühlsmässigen Reaktionen und ihrem machtvollen Wunschleben, an das Göttliche.

Nun tritt ein neuer Faktor ein, die unterscheidende Fähigkeit des Denkens. Vermittels dieser kann der Jünger das mentale Leben unter Kontrolle bringen und es dem Leben des Reiches Gottes weihen, was in der dritten Einweihung vollendet wird. Durch die richtige Anwendung des Denkens ist der Jünger imstande, die rechte Wahl zu treffen und die endlosen Paare der Gegensätze (mit Weisheit) im Gleichgewicht zu halten.

Wir gehen einigermassen unbewusst durch die Einweihung der Geburt. Die volle Bedeutung dessen, dem wir uns unterzogen haben, zeigt sich uns nicht. Wir sind «Kinder in Christo», und wie Kinder leben wir und unterwerfen uns der Disziplin, indem wir allmählich zur Reife wachsen. Aber es kommt eine Zeit im Leben jedes Eingeweihten, wo eine Wahl getroffen werden muss, und Christus stand dieser gegenüber. Ein klarer, sauberer innerer Bruch mit der Vergangenheit muss erfolgen, ehe wir eine Zukunft bewusst unternommenen Dienens ins Auge fassen können und wissen, dass von dieser Zeit an nichts wie früher sein wird.

Diese Einweihung bezeichnete eine ungeheuere Veränderung im Leben Jesu von Nazareth. Bis zu dieser Zeit war er dreissig Jahre hindurch einfach der Zimmermann in der kleinen Stadt [101] und der Sohn seiner Eltern. Er war eine Persönlichkeit und wirkte viel Gutes in einem kleinen Kreis. Aber nach der Reinigung im Jordan, nachdem er alle Gerechtigkeit erfüllt hatte» (Matth. III/15), wurde er der Christus, ging durch sein Land, diente der Menschheit und sprach jene Worte, die für Jahrhunderte unsere westliche Zivilisation geformt haben. Für jeden von uns muss die gleiche grosse Ausdehnung kommen, und dies geschieht, wenn wir fähig sein werden, die zweite Einweihung zu nehmen. Unser Wunschleben wird dann vor die wesentliche Wahl gestellt, die richtig zu handhaben uns nur das Denken befähigen kann.

In Cruden's Concordance wird gesagt, dass der Name Johannes «Was Gott gab» bedeutet, und in den drei Namen, die zusammen in dieser Episode erscheinen: Johannes, Jesus und Christus, ist die ganze symbolische Geschichte des geweihten Aspiranten zusammengefasst. Johannes symbolisiert den im Menschen tief verborgenen göttlichen Aspekt, der den Menschen zur erforderlichen Reinheit antreibt. Jesus versinnbildlicht in diesem Fall den geweihten verpflichteten Jünger oder Eingeweihten, der zu dem Vorgang bereit ist, durch den seine Reinigung besiegelt wird. Christus, der göttliche, immanente Sohn Gottes, der jetzt fähig ist, sich durch Jesus zu offenbaren, denn Jesus hat sich der Taufe durch Johannes unterzogen. Die Unterwerfung und vollständige Reinigung fand ihren Lohn.

Bei dieser Einweihung geschah es, dass Gott selbst seinen Sohn als den Einen bezeichnete, an dem er «sein Wohlgefallen» hätte. Jede Einweihung ist einfach eine Erkenntnis. In manchen mystischen und esoterischen Schulen geht die falsche Idee um, dass Einweihung eine geheimnisvolle Zeremonie einschliesse, bei der mittels des Initiators und des Einweihungsstabes die Umstände im Aspiranten entscheidend gewandelt werden, so dass er hinterher für immer verändert und verschieden ist. Eine Einweihung findet statt, wenn der Mensch durch seine eigene Anstrengung ein Initiat wird. Nachdem er «das Himmelreich mit Gewalt genommen» (Matth. XI/12) und «seine eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern erwirkt» (Philister II/12) hat, wird sein geistiger Zustand von Gleichgesinnten unmittelbar erkannt, und er wird zur Einweihung zugelassen.

Bei der [102] Einweihung ereignen sich zwei Dinge: Der Initiat entdeckt seine Mit-Initiaten, jene, denen er sich zugesellen kann, und er findet auch die Aufgabe, zu der er berufen ist. Er wird seiner Göttlichkeit in einem neuen und wirklichen Sinn gewahr, nicht nur als einer tiefen geistigen Hoffnung, einer hypothetisch angenommenen Möglichkeit und eines Herzenswunsches. Er weiss selbst, dass er ein Sohn Gottes ist, deshalb wird ihm Erkenntnis zuteil. Dies war eindrucksvoll der Fall bei Jesus Christus. Seine Aufgabe mit ihren schrecklichen Verwicklungen tauchte vor seinen Augen auf, und dies mag sicherlich der Grund gewesen sein, weshalb es ihn in die Wüste trieb. Der Drang nach Einsamkeit, das Suchen nach jener Stille, wo Nachdenken und Entschlusskraft einander kräftigen können, war die natürliche Folge dieser Erkenntnis. Er sah, was er zu tun hatte zu dienen, zu leiden und das Reich Gottes zu gründen. Die Bewusstseinserweiterung war unmittelbar und tief. Dr. Schweitzer sagt in diesem Zusammenhang:

«Von Jesu früherer Entwicklung wissen wir nichts. Alles liegt im Dunkel. Nur eines ist sicher: Bei seiner Taufe war das Geheimnis seines Daseins vor ihm enthüllt worden, nämlich dass er der eine war, den Gott zum Messias bestimmt hatte. Mit dieser Offenbarung war er vollendet und unterzog sich keiner ferneren Entwicklung mehr. Denn nun ist er sicher, dass er für das Reich Gottes als der unerkannte verborgene Messias arbeiten und zusammen mit seinen Freunden sich bewähren und reinigen müsse, bis die Messiaszeit, in der er seine glorreiche Hoheit offenbaren würde, mit ihrem am Ende stehenden Leiden da sein wird». (Das Mysterium des Reiches Gottes, von Albert Schweitzer, S. 354).

Für den Menschen Jesus war das vielleicht eine erschütternde Offenbarung. Trübe Vorgefühle von dem zu betretenden Pfad mögen zu Zeiten sein Denken beschäftigt haben, aber die vollen Folgerungen und das Bild des vor ihm liegenden Weges konnten in ihrer ganzen Schwere erst dann in seinem Bewusstsein erwachen, als er sich der zweiten Einweihung unterzogen hatte und seine Läuterung vollkommen war. Er fasste dann das Leben des Dienstes ins Auge und die Schwierigkeiten, die den Pfad jedes bewussten Gottessohnes begleiten. Derselbe Schriftsteller sagt:

«In Jesu messianischem [103] Bewusstsein gewann der Gedanke des Leidens, auf ihn selbst angewendet, eine geheimnisvolle Bedeutung. Die Messiasschaft, deren er in der Taufe bewusst wurde, war nicht ein Besitz noch ein Gegenstand der Erwartung, aber in seiner eschatologischen Vorstellung war es eine Selbstverständlichkeit, dass er durch die Prüfung des Leidens das werden musste, was Gott ihm zu sein bestimmt hatte. Sein Messiasbewusstsein war niemals ohne den Gedanken der Passion. Leiden ist der Weg zur Offenbarung der Messiasschaft». (a. a. O., S. 223)

Christi ganzes Leben war eine lange «via dolorosa», doch es war immer erleuchtet durch das Licht seiner Seele und das Erkennen des Vaters. Obwohl, wie im Neuen Testament berichtet wird, sein Leben in bestimmte Perioden und Zyklen geteilt war, und obwohl die Einzelheiten dessen, was er zu tun hatte, ihm nur nach und nach offenbart wurden, war sein Leben ein grosses Opfer, eine grosse Erfahrung und hatte einen bestimmten Zweck. Diese Bestimmtheit des Ziels und diese Widmung des ganzen Menschen für ein Ideal sind Bedingungen, die den Status der Einweihung anzeigen. Alle Lebensereignisse beziehen sich auf das Vorwärtstragen der Lebensaufgabe. Das Leben bekommt wirkliche Bedeutung. Dies ist eine Lektion, die wir alle, Uneingeweihte und Aspiranten, nun lernen können. Wir können zu sagen beginnen: «Das Leben, wenn ich darauf zurückschaue, ist für mich nicht eine Reihenfolge von Erfahrungen, sondern nur eine grosse Erfahrung, hier und dort erleuchtet durch Augenblicke der Offenbarung». (Das Suchen eines Pilgers nach dem Absoluten, engl., von Lord Conway of Allington, S. 8)

Diese Erleuchtung wächst beständiger, wenn die Zeit fortschreitet. Der alte Hindulehrer Patanjali lehrte, dass die Erleuchtung siebenfältig sei und durch aufeinanderfolgende Stufen fortschreite. (Die Yoga-Sutras des Patanjali, engl., II, 27) Es ist, als ob er sich in Gedanken mit den sieben Erleuchtungen befasste, die zu allen Söhnen Gottes kommen, die sich im Erwachen zu ihren göttlichen Gelegenheiten befinden: die Erleuchtung, die uns zuteil wird, wenn wir uns entscheiden, den Probepfad zu betreten, und uns für die Einweihung vorbereiten. Dann ist das Licht ausgegossen über die ferne Vision, und wir fangen einen flüchtigen Schimmer unseres Ziels ein. Gleich darauf wird das Licht über uns selbst ausgegossen, wir erhalten eine Vision dessen, was wir sind und was wir sein können, und betreten den Pfad der Jüngerschaft, oder in der Ausdrucksweise der Bibel wir beginnen die lange Reise nach [104] Bethlehem. Dann folgen die fünf Einweihungen, die wir studieren. Jede von ihnen bezeichnet ein Zunehmen des Lichts, das auf unseren Weg scheint, und entwickelt jenes innere Strahlen, das alle Gotteskinder befähigt, mit Christus zu sagen: «Ich bin das Licht der Welt» (Joh. VIII/12) und seinem Befehl zu gehorchen, in dem er uns sagt: «Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen damit sie sehen mögen!» (Matth. V/16). Dieses Licht in seinen sieben Stufen offenbart Gott: Gott in der Natur, Gott in Christus, Gott im Menschen. Es ist die Ursache der mystischen Vision, über die soviel geschrieben und gelehrt worden ist und von der die Leben der Heiligen beider Hemisphären immer gezeugt haben.

Man ist verwundert über den ersten Menschen, der den ersten schwachen Schimmer (mit seinem trüben inneren Licht) der vor ihm liegenden unendlichen Möglichkeiten empfing. Er erhaschte einen Schimmer von Gott, und von dieser Minute an wurde das Licht Gottes immer stärker. Es gibt eine alte Legende (und wer kann sagen, dass sie sich nicht auf eine Tatsache gründet?), wonach Jesus von Nazareth der Allererste aus unserer Menschheit war, der in einer dunklen und ganz fernen Vergangenheit diesen Schimmer erhaschte, und dass er, durch die Festigkeit seiner geradlinigen Anstrengung, der Erste unserer Menschheit war, der in das wahre Licht Gottes selbst emporstieg. Vielleicht berührte Paulus diese Wahrheit, wenn er von Christus sprach als dem «Ältesten in einer gewaltigen Familie von Brüdern» (Römer VIII/29). Ob nun diese Legende wahr ist oder nicht, Christus trat ein in das Licht, denn er war Licht, und die Geschichte des Menschen ist eine allmählich zunehmende Erleuchtung gewesen, bis heute das Strahlen überall zu finden ist.

In diesem innewohnenden göttlichen Licht, latent und doch von Gott ausgehend, sah Christus die Vision, und diese Vision offenbarte ihm seine Sohnschaft, seine Messiasschaft und den Weg seines Leidens. Diese Vision ist die Erbschaft und Offenbarung jedes einzelnen Jüngers. Diese mystische Offenbarung kann empfangen werden, und, einmal empfangen, bleibt sie eine Tatsache, oft unerklärlich, aber doch eine bestimmte, klare und unentrinnbare Wirklichkeit. Sie gibt dem Eingeweihten das Vertrauen und die [105] Kraft zum Vorwärtsgehen. Sie ist wirksam in unserer Erfahrung und die Wurzel all unserer zukünftigen Beschaffenheit und unseres Dienens; sie ist unangreifbar. Auf dieser Grundlage bewegen wir uns mutig aus dem Bekannten ins Unbekannte. Sie ist schliesslich unbeschreiblich, denn sie betont unsere Göttlichkeit, ist gegründet auf göttlicher Eigenschaft und strömt von Gott aus. Sie ist ein kurzer Blick in das Reich Gottes und eine Offenbarung des Wegs, der begangen werden muss, um dorthin zu gelangen. Sie ist eine Ausweitung, die es uns ermöglicht, uns vorzustellen, dass das Reich Gottes ein Zustand der Seele ist, «vom Geist kommend und in den Körper zurückgestrahlt». (Die Religion der Liebe, engl., von Grossfürst Alexander von Russland)

Der erste Schritt in dieses Reich geschieht durch die neue Geburt. Der zweite Schritt geschieht durch die Taufe der Reinigung. Es ist ein Vorgang des Wachsens in die Eigenarten des Reichs und die allmähliche Erlangung jener Reife, die den Bürger dieses Reichs kennzeichnet. Christus zeugte hierfür durch die Taufe, als er die Reife erlangte. Er gab uns ein Beispiel, und durch sein triumphierendes Bestehen der drei Versuchungen bewies er die benötigte Reinheit.

Das Kind in Christus, das kleine Kind, der voll erwachsene Mensch, der vollkommene Mensch! Durch die Bethlehem-Erfahrung wird das Kind geboren. Das kleine Kind wächst zur Reife und offenbart sie in seiner Reinheit und Kraft bei der Taufe. Er erweist sich bei der Verklärung als der voll erwachsene Mensch, und er steht am Kreuz als der vollkommene Sohn Gottes. Eine Einweihung ist jener Augenblick, in dem ein Mensch in seinem ganzen Wesen fühlt und weiss, dass Leben Wirklichkeit und Wirklichkeit Leben ist. Für einen kurzen Augenblick wird sein Bewusstsein allumfassend, er sieht nicht nur die Vision und hört das Wort der Erkenntnis, sondern er weiss, dass die Vision von ihm selbst stammt und dass das Wort er selbst ist, der Fleisch wurde.

Das ist der wesentliche Faktor. Eine Einweihung ist ein Lichtstrahl der Erleuchtung, auf den Fluss des Daseins geworfen, und sie hat die Natur einer ganzen Erfahrung. Darin ist nichts Unbestimmtes, und der Eingeweihte ist niemals wieder ganz derselbe in seinem Bewusstsein.

Im Jordanfluss [106] strömte das Licht des Himmels auf Christus, und sein Vater sprach jene Worte, die durch die Zeitalter hindurch ertönten und Antwort bei allen Aspiranten des Reichs hervorgerufen haben. Der Geist Gottes kam als eine Taube herab auf ihn. Die Taube ist immer ein Symbol des Friedens. Aus zwei Gründen war sie bei dieser Einweihung das gewählte Zeichen. Wasser ist, wie wir gesehen haben, das Symbol der emotionellen Natur, die, wenn sie durch Einweihung gereinigt ist, ein friedvoller, klarer Teich wird, fähig, die göttliche Natur in ihrer Reinheit widerzuspiegeln. So kam in Form einer Taube der Friede Gottes auf

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.