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Von Bethlehem nach Golgatha, Seite 79 ff. (engl.)
Welches sind die Erfordernisse und die Möglichkeiten, denen wir gegenüberstehen? Wenn wir vom Studium dieser fünf Entwicklungszustände im Leben Christi keinen Gewinn für uns ziehen, wenn sie eine Entfaltung betreffen, die keine mögliche menschliche Deutung haben kann, dann würde sich das, was durch die Jahrhunderte geschrieben und gelehrt wurde, als nutzlos und vergeblich erweisen. Die üblichen theologischen Auslegungen haben keinen [80] Anreiz mehr für die entwickelte Intelligenz des Menschen. Christus selbst ist immer mächtig, das menschliche Interesse zu wecken und jene an sich zu ziehen, welche die Vision haben, die Wahrheit so zu sehen, wie sie ist, und die Botschaft der Evangelien in einer Form zu hören, wie sie jedes neue Zeitalter verlangt. Es ist Zeitverschwendung, die alte Geschichte vom lebenden Christus sorgfältig durchzuarbeiten, wenn sie für uns keine wesentliche Botschaft enthält, wenn das, was von uns gefordert wird, nichts anderes ist, als die Haltung des Zuschauers und des Menschen, der einfach sagt: «Ja, so ist es». Diese gläubige, jedoch passive Einstellung ist schon zu lange eingenommen worden. Dadurch, dass wir aus einer zu grossen Entfernung auf Christus blicken, waren wir zu sehr beschäftigt mit dem Erkennen dessen, was er erreicht hat, dass darüber unsere eigene Rolle, die wir zu spielen haben, schliesslich und unvermeidlich vergessen wurde. Wir haben ihn alles für uns tun lassen. Wir haben versucht, ihn nachzuahmen, und er wünscht nicht, nachgeahmt zu werden. Er möchte uns dazu bringen, dass wir ihm, uns selbst und der Welt den Beweis bringen, dass die Göttlichkeit, die in ihm ist, auch in uns lebt. Wir müssen entdecken, dass wir sein können, wie er ist, denn wir haben ihn gesehen. Er hatte grenzenloses Vertrauen in uns und in die Tatsache, dass «wir alle Kinder Gottes sind», denn «Einer ist unser Vater», und sein Ruf ergeht an uns, den Pfad der Heiligkeit zu betreten und jene Vollkommenheit zu erreichen, zu der sein Leben uns herausfordert und für die er uns zu wirken gebot.

Man fragt sich manchmal, ob es gut für die Menschen gewesen ist, dass sie die Ideen des Paulus angenommen haben, wie sie durch die Übersetzungen über Jahrhunderte gegeben sind. Christus verweilte sehr wenig bei dem Gedanken der Sünde, diese aber wird bei Paulus betont, und die Richtung, die er der Christenheit gab, ist vielleicht zum grossen Teil verantwortlich für den vorherrschenden Minderwertigkeitskomplex des durchschnittlichen Christen, eine Minderwertigkeit, die Christus in keiner Weise lehrte. Er ruft uns auf zur Heiligkeit des Lebens und ermahnt uns, in seine Fussspuren zu treten; aber nicht, den Spuren zu folgen oder die Auslegung seiner Worte anzunehmen, die einer seiner Jünger vorschlägt, mag dieser noch so hochgeachtet und wertvoll sein.

Was ist diese Heiligkeit, zu der er uns aufruft, wenn wir den ersten Schritt auf die neue Geburt zugehen? Was ist ein heiliger Mensch? Ganzheit, Einheit, Vereinigung, Vollständigkeit, dies ist [81] der Stempel eines vollkommenen Menschen. Wenn man einmal die Vision des Göttlichen gesehen und mit offenen Augen bewahrt hat, was kann man tun? In dieser Frage ist unser Problem ausgesprochen. Was ist der nächste Schritt, die unmittelbare Aufgabe eines Menschen, der weiss, dass in ihm die Neue Geburt noch nicht stattgefunden hat, der aber die Bereitschaft in sich fühlt, von Galiläa über Nazareth nach Bethlehem zu gehen?

Dies erfordert an erster Stelle Anstrengung. Es bedeutet Initiative, Aufwendung von Energie, die Überwindung von Trägheit, den Willen, sich selbst zu entäussern, so dass die einleitende Wanderung unternommen werden kann. Es bedeutet Aufmerken und Gehorsam gegenüber der beharrlichen Forderung der Seele, sich Gott näher zuzuwenden und die Göttlichkeit stärker auszudrücken; und dennoch «... wird jedes Individuum an einem gewissen Punkt hin und her gezerrt zwischen dem herrlichen Drängen nach vorwärts zur Verständigung, und dem Verlangen, zurückzugehen zur Sicherheit!» (W. H. Sheldon: Psychologie und prometheischer Wille, engl., S. 47).

Denn auf dem vorgezeichneten Weg zum Zentrum sind Schwierigkeiten und Gefahren. Viel ist zu bewältigen und manchem ist gegenüberzutreten. Die niedere Natur (der Marienaspekt) wirkt dem Ausströmen entgegen und zieht die Trägheit und Stabilität der notwendigen Tätigkeit vor, daraus entsteht relative und zeitweilige Unsicherheit.

Die neue Geburt ist kein mystischer Traum, noch ist sie eine liebliche Vision von irgend etwas, das möglich, aber nicht wahrscheinlich ist. Sie ist nicht einfach ein symbolischer Ausdruck irgendeines letzten Ziels, das in einer ungewissen Zukunft vor uns liegt, oder in einer anderen Form des Daseins und eines endgültigen Himmels, den wir erlangen können, wenn wir zurückfallen in den gedankenlosen Glauben und die blinde Annahme von allem, was uns die Theologie sagen kann. Relativ leicht zu glauben, das ist die Linie des geringsten Widerstands für die meisten. Es ist schwer, den Weg zu jenem Stadium der Erfahrung zu erkämpfen, wo das göttliche Programm für den Menschen klar wird und die Möglichkeiten, die Christus für uns dramatisierte, zu etwas werden, das uns keine Ruhe gibt, bis wir sie durch das Experiment der Einweihung in eigene Erfahrung umgewandelt haben. Die neue Geburt ist ein ebenso natürliches Ereignis und ebenso ein Ergebnis des Entwicklungsprozesses, wie die Geburt eines Kindes in die Welt des physischen Lebens. Immerwährend durch die Zeitalter haben die Menschen den grossen Übergang vollzogen und werden damit fortfahren, indem sie die Tatsache dieser Erfahrung beweisen. Dies [82] ist etwas, was wir alle zu dieser oder einer anderen Zeit ins Auge fassen müssen.

Zwei Erkenntnisse müssen in der Gedankenwelt des Aspiranten von heute auftauchen: erstens das Vorhandensein der Seele, einer lebendigen Wesenheit, die erkannt werden kann und muss durch den Vorgang des Zur-Geburt-Bringens auf der Ebene des täglichen Lebens, zweitens der Entschluss, die Neu-Ausrichtung der ganzen Natur zu erreichen, so dass eine engere Identifikation mit jener Seele möglich wird, bis eine vollständige Einheit erreicht worden ist. Wir beginnen zu sehen, was getan werden muss, wir beginnen die rechte Haltung einzunehmen, die es möglich machen wird. Die zwei Teile unserer wesentlichen Dualität, Seele und Körper, Christus und Maria, überschattet vom Heiligen Geist, das Materielle und das Geistige, stehen einander gegenüber, kommen sich näher und näher, bis eine vollständige Vereinigung erlangt und Christus geboren worden ist durch die Mitwirkung der Mutter. Doch die Annahme dieser göttlichen Idee und die Orientierung des Lebens, um die Idee zu einer Tatsache zu machen, sind die ersten und unmittelbaren Schritte.

Dies lehrte Christus und bat den Vater darum:

«Ich bete aber nicht allein für diese (die Jünger), sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf dass sie alle eins seien, gleich wie du, Vater, in mir und ich in dir, dass auch sie in uns eins seien, auf dass die Welt glaube, du habest mich gesandt. Ich in ihnen, und du in mir, auf dass sie vollkommen seien in uns» (Joh. XVII/2023).

Dies ist die Lehre von der Einswerdung; Gott immanent im Universum der kosmische Christus. Gott immanent in der Menschheit, offenbart durch den historischen Christus. Gott innewohnend im individuellen Menschen, der innewohnende Christus, die Seele.

Wie kann diese Wahrheit von der Seele und der neuen Geburt erfahren werden, so einfach und praktisch, dass ihre Bedeutung sichtbar wird und uns so in den Stand setzt, das Notwendige zu tun? Vielleicht durch die folgenden Feststellungen:

1. Verborgen in jedem menschlichen Wesen ist das «Inkarnierte [83] Wort», der Fleisch gewordene Sohn Gottes. Dies ist «Christus in uns, die Hoffnung auf Herrlichkeit», aber bis jetzt für die Masse der Menschen nur eine Hoffnung. Christus ist bis jetzt nicht sichtbar geworden, er ist verborgen und verhüllt durch die Form. Maria ist zu sehen, nicht der Christus.

2. Wie das Rad des Lebens (die Galiläa-Erfahrung) uns von einer Lektion zur anderen trägt, so kommen wir der innewohnenden Wirklichkeit und verborgenen Gottheit immer näher. Aber das Christkind ist noch verborgen im Mutterleib der Form.

3. Wenn die Zeit da ist, wird die Persönlichkeit physisch, emotionell und mental verschmolzen in ein lebendiges Ganzes. Die Jungfrau Maria ist bereit, ihren Sohn zu gebären.

4. Die lange Wanderung geht zuende, und das verborgene Christkind wird bei der ersten Einweihung geboren.

Diese Wahrheit berührt Dr. Inge mit folgenden Worten: «Macarius, der Methodius folgte, lehrt, dass der Gedanke der Fleischwerdung die Vereinigung des Logos mit frommen Seelen einschliesst, an denen er Wohlgefallen hat. In jeder von ihnen ist ein Christus geboren. So stellten diese Theologen neben die Ideen von Erlösung und Opfer Christi für uns die Gedanken der Heiligung und inneren Umwandlung des Christus in uns, und sie betrachteten die letzteren als einen ebenso wirklichen und integralen Teil der Erlösung wie den ersten. Aber die Lehre von der göttlichen Immanenz im menschlichen Herzen wurde niemals ganz zur zentralen Wahrheit der Theologie, bis zur Zeit der mittelalterlichen Mystik. Es ist Meister Eckehart , der sagt: «Der Vater spricht das Wort in die Seele, und wenn der Sohn geboren ist, wird jede Seele Maria». (W. R. Inge: Die Paddock-Vorlesungen, engl., S. 66).

Wir sind zur Neuen Geburt aufgerufen. Unsere Persönlichkeiten sind jetzt mit Kraft belebt. Die Stunde ist da!

Die menschliche Seele muss den Weckruf der Christusseele vernehmen und erkennen, dass «Maria gesegnet ist, nicht, weil sie Christus leiblich trug, sondern weil sie ihn geistig gebar, und hierin vermag ein jeder ihr gleich zu werden» (Meister Eckehart).

III. Kapitel

Die zweite [85] Einweihung. ... Die Taufe

im Jordan

Leitgedanke:

«Die Zeit ist günstig, um das christliche Leben ernsthaft und praktisch zu verwirklichen. ... In einer Zeit der Katastrophen findet ein Prozess asketischer Läuterung statt; ohne einen solchen kann es kein geistiges Leben geben, weder für die Gesellschaft noch für den Einzelnen. ...» (Freiheit des Geistes, engl., von Nicholas Berdyaev, S. 46)

Drittes Kapitel

Die zweite Einweihung. ... Die Taufe im Jordan.

1.

«Wo immer [87] etwas wahrgenommen und empfunden wird, da besteht die Erfahrung der Seele, und wo immer Denken und Fühlen nicht mehr unterscheidbar sind, da ist die Seele. Seele bedeutet Einssein, Einheit, Vereinigung zwischen innerem Wünschen und äusserer Wirklichkeit. Wenn sich der Mensch auf das Wahrnehmen des Universums zubewegt, auf die Austauschbarkeit zwischen dem, was er als Wunsch aus dem Inneren empfindet, und dem, was er als die äussere Führung wahrnimmt, und wenn beides sich ausweitet, geht die Seele ihrer Grösse entgegen». (Kursiv von mir, A. A. B).

(Psychologie und prometheischer Wille, engl., von W. H. Sheldon, S. 130)

Die erste Einweihung hat stattgefunden. Christus ist in Bethlehem geboren worden. Die Seele ist zum äusseren Ausdruck gekommen, und nun schreitet diese Seele, Christus, (als der historische Vertreter alles dessen, was eine Seele sein kann), der individuelle Eingeweihte der Grösse zu. Die Mission des Erlösers beginnt endgültig zu dieser Zeit, aber um deretwillen, welche nachfolgen werden, muss er den Ton der Reinigung erklingen lassen und übereinstimmen mit den rituellen Erfordernissen und der allgemeinen Denkrichtung seiner Zeit. Der Eingeweihte, der die erste Stufe genommen hat, muss die Betonung auf die Läuterung der niederen Natur legen, die, das ist wesentlich, der zweiten Einweihung vorangehen sollte. Die Taufe des Johannes war das Symbol dieser Reinigung. Christus unterwarf sich der Taufe, indem er die Einwände des Johannes beiseiteschob mit seinem: «Lass es jetzt also sein! Es gebührt uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen!» (Matth. III/15)

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.