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Vom Intellekt zur Intuition, Seite 136 ff. (engl.)
Stadium der Ekstase Platz zu machen, wenn die Dinge dem Menschen aus den Händen genommen werden und er zum Instrument einer Macht wird, die grösser als er selbst ist. Bleibe standhaft in dir selbst, bis du ohne dein Dazutun aus dir herausgezogen wirst». [*U7]

Später spricht der Verfasser in demselben Kapitel von der atemlosen Aufmerksamkeit, dem hart erkämpften und schwer ertragenen Warten auf göttliche Offenbarung. Patanjali, der alte Weise Indiens, meint das gleiche, wenn er sagt, dass, wenn «der Denkstoff in das absorbiert wird, was die Realität (oder dich in der Form verkörperte Idee) darstellt und von einem Getrenntsein oder vom persönlichen Selbst nichts weiss», dies den Menschen in das Stadium der Kontemplation bringt und er in das Bewusstsein der Seele eintritt. Er entdeckt, dass es zu allen Zeiten die Seele war, die ihn zur Vereinigung mit ihr selbst lockte. Wie aber? Ein anderer Hindu-Lehrer sagt, dass «die Seele die Mittel dazu besitze. Das Denkvermögen ist dieses Hilfsmittel. Wenn es seine Aufgabe als Befreier erfüllt hat, hat es das Seine getan und stellt seine Tätigkeit ein». [*U44]

In der Kontemplation kommt ein höherer Wirkungsfaktor hinzu. Es ist DIE SEELE, DIE KONTEMPLIERT. Das menschliche Bewusstsein stellt seine Tätigkeit ein und der Mensch wird, was er in Wirklichkeit ist eine Seele, ein Fragment der Göttlichkeit, seines wesentlichen Einsseins mit der Gottheit bewusst. Das Höhere Selbst wird aktiv, und das niedere, oder persönliche Selbst ist vollkommen ruhig und still, während die wahre geistige Wesenheit in ihr eigenes Reich kommt und die Kontakte wahrnimmt, die von diesem geistigen Phänomenalreich ausstrahlen.

Die Welt der Seele wird als Wirklichkeit erfahren und gesehen; die übersinnlichen (transzendentalen) Dinge werden als Tatsachen in der Natur erkannt; das Einssein mit der Gottheit wird ebenso klar als Tatsache im natürlichen Entwicklungs-Verlauf erkannt, wie es die Vereinigung des Lebens im physischen Körper mit diesem Körper ist.

Das Bewusstsein des Menschen ist daher nicht mehr in diesem wartenden Denkvermögen konzentriert, sondern ist über das Grenzland in das Reich des Geistes hinübergeglitten und der Mensch wird buchstäblich zur Seele, die auf ihrer eigenen Ebene funktioniert und «die Dinge des Reiches Gottes» wahrnimmt; die imstande ist, Wahrheit aus erster Hand zu ermitteln und in voll erwachtem Bewusstsein um ihr eigenes Wesen, ihre Vorrechte und Gesetze weiss. Während der wahre, spirituelle Mensch in dieser Weise in seinem wirklichen Rang und in seiner richtigen Welt tätig ist, werden das Denkvermögen und das Gehirn ruhig und positiv, auf die Seele ausgerichtet gehalten, und entsprechend der Leichtigkeit, mit der dies geschieht, ist auch die Fähigkeit, das von der Seele Wahrgenommene zu registrieren und zu verstehen.

In der Meditation bemühen wir uns, Eindrücke vom innewohnenden Gott, dem Höheren Selbst, zu empfangen und dem physischen Gehirn über das Denkvermögen zuzuleiten. In der Kontemplation treten wir in einen höheren Zustand ein und bemühen uns, dem physischen Gehirn das zu übermitteln, was die SEELE SELBST WAHRNIMMT, wenn sie nach aussen blickt und die neuen Wahrnehmungsgebiete betrachtet.

Beim Durchschnittsmenschen beschäftigt sich die Seele (als wahrnehmender Beobachter) mit den drei Welten menschlicher Bestrebungen und blickt daher auf den physischen, emotionellen und mentalen Seinszustand. Die Seele identifiziert sich äonenlang mit jenen Formen, durch die ein Kontakt hergestellt werden muss, wenn die niederen Bewusstseinszustände erfahren werden sollen. Wenn der Mensch später die Herrschaft über das Denkvermögen erlangt hat und in der Lage ist, dieses der Seele als Übermittlungs-Instrument anzubieten, kann sich auch ein ungeheures Gebiet geistiger Wahrnehmung entfalten. Die Seele kann dann ihrerseits zum Vermittlungs-Organ werden, und kann über das Denkvermögen, und von diesem zum physischen Gehirn einige Erkenntnisse und Grundideen des Geist-Aspektes weitergeben. Studierende würden gut daran tun, sich die Worte aus der Geheimlehre (Secret Doctrine) ins Gedächtnis zu rufen:

«Materie ist das äussere Medium für das Offenbarwerden von Seele auf dieser Daseinsebene, und die Seele das Manifestations-Instrument des Geistes auf einer höheren Ebene; diese drei bilden eine Dreiheit, die durch die Lebensenergie, die sie alle durchdringt, zur Einheit verbunden ist». [*U45]

Das ist in der akademischen Sprache des Okkultisten die Erkenntnis des Mystikers. Kardinal Richelieu nennt Kontemplation jenen Zustand, «in dem der Mensch Gott sieht und erkennt, ohne die Vorstellungskraft zu benützen und ohne logische Folgerungen zu ziehen»; Tauler drückt dies wie folgt aus:

«Gott wünscht in den höheren Fähigkeiten im Gedächtnis, im Intellekt und im Willen zu verweilen und in diesen nach göttlicher Art und Weise zu wirken. Das ist Sein wahrer Aufenthaltsort, Sein Tätigkeitsfeld; gerade da findet er Sein Ebenbild. Hier müssen wir Ihn suchen, wenn wir Ihn auf dem kürzesten Wege zu finden wünschen. Dann wird der Geist hoch über allen Fähigkeiten in die Leere unendlicher Einsamkeit versetzt, von der kein Sterblicher in angemessenen Begriffen sprechen kann. ... Wenn diese Menschen dann wieder zu sich kommen, finden sie sich im Besitze eines ganz klaren Wissens über Dinge, das lichtvoller und vollkommener ist als das Wissen anderer». [*U46]

Kontemplation wurde als ein psychischer Torweg beschrieben, der von einem Bewusstseinsstadium zum anderen führt. Jeremy Taylor nennt ihn den «Übergang von intensiver Meditation zu jener Kontemplation, die zur Vision der Wunder Gottes kommt, wenn die menschliche Seele in das Reich göttlichen Lichtes eintritt». 39 François Maleval, der im siebzehnten Jahrhundert lebte und schrieb, drückt das sehr schön aus; er sagt:

«Dieser Akt (Kontemplation) ist auch vollkommener als logisches Denken, weil beim logischen Denken die Seele spricht, während sie sich bei diesem Akt erfreut. Logisches Denken (Folgern) ... überzeugt die Seele durch seine Prinzipien, hier aber wird die Seele eher erleuchtet als überzeugt, sie sieht und erlebt eher, als dass sie untersucht. Logisches Denken befasst sich mit der Betrachtung eines Wortes, eines Lehrsatzes, eines Gespräches; dieses einfache Anschauen Gottes aber, das alles Vernunftdenken als überholt und bekannt annimmt, betrachtet seinen Gegenstand in Gott selbst». ... [*U47]

Durch diesen Torweg der Vision geht der Mensch und erkennt sich als die Seele. Von dem überlegenen Standpunkt der Seele aus erkennt er sich als den Beobachter, der sowohl die Welt geistiger Wirklichkeiten als auch die Welt täglicher Erfahrung wahrnehmen kann; wenn er es wünscht, kann er in beide Richtungen blicken.

Das Problem besteht nun darin, die gleiche Leichtigkeit der Wahrnehmung, wie wir sie auf den weltlichen Ebenen erlernt haben, auch auf den geistigen Ebenen zu erlangen; und einer der wichtigsten Punkte, den man dabei beachten muss, ist, dass in beiden Fällen die Dreiheit von Seele, Denken und Gehirn ihre Rolle spielen muss, aber mit einer anderen Einstellung und Aufmerksamkeit. Das Problem wird also einfach zu einer Frage konzentrierter Einstellung. Das Gehirn ist in einer praktisch unterbewussten Art den Instinkten und Gewohnheiten gegenüber tätig, die unser Leben und unsere Wünsche auf der physischen Ebene leiten. Durch richtige Erziehung lernt es nun, auch gegenüber Eindrücken vom Denkvermögen empfänglich zu werden; anstatt nur ein Registrier- oder Berichtsapparat für Sinneswahrnehmungen und Gefühle zu sein, lernt es auf Gedankeneindrücke zu reagieren. Das Denkvermögen wiederum besitzt die instinktive Neigung, alle von aussen kommenden Informationen aufzunehmen, kann aber in der Empfänglichkeit der Seele gegenüber und darin geschult werden, die von dieser höheren Quelle kommenden Informationen zu registrieren. Mit der Zeit können wir die Gewandtheit und Übung erlangen, sowohl das Gehirn als auch das Denkvermögen aktiv oder passiv zu benutzen, und ein vollkommenes Zusammenspiel zwischen diesen beiden, ja schliesslich ein solches zwischen der Seele, dem Denkvermögen und dem Gehirn zustandebringen. Wir können nun all das, was in den betrachteten drei Stadien geschah, in die Worte Patanjalis zusammenfassen:

«Die schrittweise Bezwingung (das ist Konzentration) der Tendenz des Denkvermögens, von einem Objekt zum andern zu schweifen, und die Kraft der Konzentration auf ein einziges Ziel (das ist Meditation) bewirken die Entfaltung der Kontemplation». [*U32]

Wenn diese drei Stadien gleichzeitig durchgeführt werden, ist wie uns gesagt wird «diese dreifache Kraft der Aufmerksamkeit, Meditation und Kontemplation weit innerlicher (geistgemässer) als die vorher beschriebenen Mittel geistigen Wachstums». Es ist interessant, dass Maleval in seiner zweiten Abhandlung, Gespräch III das gleiche sagt, denn er verbindet Glaube, Meditation und Kontemplation zu einem synthetischen Akt. Die Wissenden des Ostens wie auch des Westens denken also ähnlich.

Kontemplation wurde von Evelyn Underhill in ihrem äusserst nützlichen Buch «Mystik» als «die Pause zwischen zwei Aktivitäten» erklärt. Während dieser Pause wird eine neue Erkenntnis und Seinsweise eingeführt. Dies ist vielleicht einer der einfachsten und praktischsten Wege, um Kontemplation zu verstehen. SIE IST DIE PAUSE, IN DER DIE SEELE TÄTIG IST. Dieser Tätigkeit der Seele geht das voraus, was wir ein aufwärts gerichtetes Vorgehen nennen könnten. Das physische Gehirn ist in Ruhe versetzt und darin beständig gehalten worden; der Gefühls- oder Empfindungsapparat wurde gleicherweise beruhigt und die Registrierung von Informationen aus seinem gewöhnlichen Wahrnehmungsgebiet wurde ihm nicht länger gestattet; das Denkvermögen wurde auf das Licht, das aus dem Reiche der Seele flutet, konzentriert und energisch passiv gehalten. Wir verweigern jeglicher Mitteilung aus der Welt der gewöhnlichen Phänomene den Durchgang. Das kam durch rechte Konzentration und Meditation zustande. Danach folgt die Pause (oder das Zwischenspiel), in welcher der Mensch sich als die Seele erkennt, die im Ewigen weilt, frei von den Begrenzungen der Form. Diese Zwischenphase ist notwendigerweise zuerst kurz, verlängert sich jedoch entsprechend dem Fortschritt in der Kontrolle. Den Schlüssel zum ganzen Vorgang bildet die aufrechterhaltene Konzentration und Aufmerksamkeit des Denkvermögens, «während die Seele, der geistige Mensch, der Wahrnehmende, kontempliert».

In einem früheren Buche habe ich mich ausführlich mit dem Gebrauch des Denkvermögens als dem Instrument der Seele befasst und will hier einen Absatz daraus wiederholen:

«Es sollte indes klar sein, dass der Beobachter auf seiner eigenen Ebene schon immer dessen gewahr war, was jetzt erkannt wird. Der Unterschied liegt in der Tatsache, dass das Instrument, das Denkvermögen, sich nun unter Kontrolle befindet. Dem Denker ist es daher möglich, das Gehirn über das kontrollierte Denkvermögen - mit dem, was wahrgenommen wird, zu beeindrucken. Der Mensch auf der physischen Ebene nimmt gleichzeitig auch wahr, so dass wahre Meditation und Kontemplation zum ersten Male möglich werden. Anfangs wird dies nur für einen Augenblick der Fall sein. Ein Aufblitzen intuitiver Wahrnehmung, ein Augenblick der Vision und Erleuchtung, und alles ist wieder vorbei. Das Denkvermögen fängt wieder an, neue Formen zu bilden und eifrig tätig zu werden, die Vision ist dem Blickfeld entschwunden, der hohe Augenblick vorbei und das Tor in das Seelenreich scheint sich plötzlich wieder geschlossen zu haben. Und doch wurde Zuversicht gewonnen; ein Schimmer der Wirklichkeit wurde vom Gehirn erfasst und die Garantie künftiger Vollendung erkannt». [*U32]

Die zweite Aktivität betrifft eine zweifache Funktion des Denkvermögens. Nachdem es stetig im Licht gehalten wurde, berichtet und registriert es nun die Ideen, Eindrücke und Gedanken, die ihm durch die kontemplierende Seele mitgeteilt wurden, formuliert sie zu Worten und Sätzen, baut sie zu Gedankenformen aus und konstruiert klare mentale Vorstellungen! Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines guten mentalen Apparates. Ein geschultes Denkvermögen, ein gut gerüstetes Gedächtnis und eine sorgfältig gepflegte Denkweise erleichtern der Seele sehr die Gewinnung unverfälschter Berichte und eine genaue Registrierung ihrer Erkenntnis. Dieser mentalen Tätigkeit folgt dann die Übertragung der gewonnenen Mitteilung auf das wartende, ruhende Gehirn.

Wenn die Seele gelernt hat, ihr Instrument mit Hilfe des Denkvermögens und des Gehirns zu leiten, wird zwischen den beiden in zunehmendem Masse ein direkter Kontakt und eine Wechselwirkung möglich und immer stärker, so dass der Mensch sein Denken nach Belieben auf irdische Angelegenheiten richten und ein tüchtiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft sein, oder es himmlischen Dingen zuwenden und in seinem wahren Wesen als Sohn Gottes funktionieren kann. Wenn dies der Fall ist, benützt die Seele das Denkvermögen als Vermittler, und das physische Gehirn wird geschult, für das, was übertragen wird, empfänglich zu sein. Der wahre Sohn Gottes kann in beiden Welten zugleich leben; er ist Bürger der Welt und des Reiches Gottes. Ich kann dieses Kapitel nicht besser beschliessen, als mit einigen Worten Evelyn Underhill's:

«Das volle geistige Bewusstsein des wahren Mystikers ist nicht nach einer, sondern nach zwei scheinbar entgegengesetzten, doch in Wirklichkeit sich ergänzenden Richtungen entwickelt. ... Einerseits ist er sich dieser aktiven Welt des Werdens, dieses tiefen und ursprünglichen Lebens des Alls, aus dem sein eigenes Leben entsprungen ist, intensiv bewusst und weiss sich eins mit ihm.

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.