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Vom Intellekt zur Intuition, Seite 120 ff. (engl.)
Struktur und dem Funktionieren eines bestimmten Organes ab, das die verschiedenen Sinneseindrücke empfängt und miteinander verbindet, und das ferner die Spuren früherer Eindrücke teilweise bewahrt und sie indirekt wieder in Aktion treten lässt. Dieses Organ ist das Gehirn mit seinen Verästelungen und Hilfsorganen. Die Vollkommenheit des strukturellen Aufbaus und der Arbeitsweise dieses Organes ist bestimmend dafür, bis zu welchem Grad es uns gelingen kann, in einem wohlbedachten Versuch eine Darstellung des gesamten Komplexes hervorzurufen, indem wir die uns zur Verfügung stehenden speziellen Formen sinnlicher Wahrnehmung benützen. ...

«Das Gehirn ermöglicht uns Intuition und eine intellektuelle Wahrnehmung der Welt in ihrer vielfältigen Zusammensetzung. Die Art und Weise, wie dies zustandekommt, hängt von der ausserordentlich komplizierten inneren Struktur dieses Organes und dessen wechselseitiger Beziehung zu den anderen Teilen des Ganzen ab, einer Beziehung, die viele Abstufungen aufweist». [*U37]

Wenn unbewusste Vorstellung und sinnliche Wahrnehmung samt der daraus folgenden vernunftgemässen Erklärung und dem darauf einsetzenden Mentalprozess ihren Ursprung im Gehirn haben, dann hat Dr. Sellars recht, wenn er in seinem Buche: EVOLUTIONÄRER NATURALISMUS sagt, dass man das Denkvermögen als eine «physische Kategorie» ansehen kann, und dass «wir damit jene Nervenprozesse meinen sollten, die ihren Ausdruck in einem intelligenten Verhalten finden». [*U38]

Dieser Gedanke aber befriedigt die Mehrzahl der Denker keineswegs, und die meisten von ihnen die anderen Schulen als den rein materialistischen angehören setzen etwas Höheres als bloss Materie voraus und betrachten das Denkvermögen als vom Gehirn verschieden; sie vertreten die Hypothese, dass das Denken eine subjektive, substanzielle Wirklichkeit sei, die das Gehirn als ihr letztes Ausdrucksmittel benützen und es beeindrucken kann, um jene Begriffe und Intuitionen zum Ausdruck zu bringen, die ein Mensch bewusst verwenden kann. Das, was wir hier betrachten, ist keineswegs eine übernormale Fähigkeit oder ein besonderes Instrument einiger Begabter; das Denkvermögen sollte von allen gebildeten Menschen verwendet werden, und am Ende des Erziehungsprozesses (der in den schöpferischen Jahren weiterläuft) sollte der Mensch im Besitz einer Fähigkeit sein, die er versteht und nach Belieben anwendet. Dr. McDougall führt in PSYCHOLOGIE, DIE WISSENSCHAFT VOM VERHALTEN aus, dass unsere (gewöhnlich unbewusste) mentale Aktivität entweder unternormal, normal oder übernormal sein kann. [*U39] Im ersteren Falle haben wir den Idioten oder Schwachsinnigen; im zweiten Falle den intelligenten Durchschnittsbürger, dessen Denken ein Zuschauer oder eigentlich ein Filmapparat ist, der alle Vorkommnisse registriert; und endlich finden wir jene Seelen, deren Bewusstsein erleuchtet ist und deren Denkvermögen das wahrnimmt, was den meisten verborgen ist. Mit dieser letzten Klasse haben wir aber bis jetzt nichts zu tun; sie ist das Produkt der Endstadien der Meditation-Kontemplation und Illumination. Konzentration und Meditation aber betreffen eindeutig die Vielen, die Normalen.

Im Osten und auch von vielen Menschen des Westens wird das Denkvermögen als vom Gehirn getrennt und von diesem verschieden angesehen. Dr. C. Lloyd Morgan zitiert in HERVORTRETENDE EVOLUTION Descartes, der feststellt, dass es «tatsächlich körperliche Substanz (res extensa) und mentale oder Denksubstanz (res cogitans) gibt; zu ihrem Dasein aber bedürfen beide der Übereinstimmung mit Gott. ... Abgesehen von dieser gemeinsamen Abhängigkeit von Gott ist keine der beiden Substanzen von der anderen abhängig». [*U35] Er fasst seinen eigenen Standpunkt in einem anderen Buch LEBEN, DENKEN UND GEIST wie folgt zusammen:

«Geist ist vom Leben und Denkvermögen keineswegs trennbar, und diese auch nicht von ihm. Was uns zur reflektiven Kontemplation gegeben ist, ist ein Weltplan natürlicher Ereignisse. Ich glaube, dass dieser Weltplan eine Manifestation göttlicher Absicht ist. ... Auch wir sind Manifestationen des Geistes, der sich in uns "offenbart". Jeder von uns IST Leben, Denken und Geist ein Beispiel für Leben als ein Ausdruck des Weltenplanes, für Denken als ein andersartiger Ausdruck dieses Weltenplanes und für Geist insoweit, als die Substanz dieses Weltplanes in uns offenbar wird. ... Diese Offenbarung ist nur eine teilweise, da ein jeder von uns nur ein individuelles Beispiel für das ist, was in vollständiger Manifestation universal ist». [*U19]

Gott offenbart seine Absicht durch die Aktivität der Form. In gleicher Weise offenbart Er sich durch die Tätigkeit des Denkens, das seinerseits das auf Empfang eingestellte Gehirn beeindruckt. Später wiederum wird das Denkvermögen für eine Erleuchtung empfänglich, die vom Geistaspekt ausstrahlt, und das wollen wir kurz betrachten. Wir nähern uns hier sehr dem orientalischen Standpunkt, der einen Denkstoff annimmt, der von aussen her durch die Sinne, die Gefühle und andere Denker zur Tätigkeit veranlasst wird. Diese intensive Tätigkeit des Denkstoffes muss durch Konzentration und Meditation zielbewusst unwirksam gemacht werden, wenn das Denkvermögen in jenen Zustand versetzt werden soll, in dem es auf ein anderes Wahrnehmungsgebiet gerichtet und konzentriert werden kann. Für den Esoteriker besteht das Ziel der Meditation (in den späteren Stadien) darin, sein Denken dahin zu bringen, dass es auf keinerlei äussere Tätigkeiten mehr reagiert, ganz gleich, ob sie von hoher oder niederer Art sind; er sollte vielmehr anfangen Eindrücke aufzunehmen, die von jenem sich ständig manifestierenden Faktor herkommen, den wir (mangels besserer Bezeichnung) das Denken Gottes, das Universale Denken nennen. Dieses Denkvermögen zeichnet sich durch einen Sinn für Ganzheit und Synthese aus.

Die ganze Geschichte der Menschheitsentwicklung kann vom Gesichtspunkt dieser Grundidee der Existenz eines grossen Planes betrachtet werden; und man kann beobachten, wie sich das Hauptaugenmerk darauf richtet, dass im Menschen ein Bewusstsein über ein Universum heranwächst, das die Offenbarung eines grossen Lebens und einer Gottheit ist, und innerhalb dessen die Menschheit ihre Rolle spielt. Ludwig Fischer lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass alle unsere Fähigkeiten «auf das mysteriöse und unbewusste Etwas gegründet sind das unser intellektuelles Leben zur Gänze beherrscht»; und er weist auf das notwendige Vorhandensein von etwas hin, das er das nicht-rationale Element in den Antworten nennt, die wir auf die vielseitigen Fragen des Alltags geben. Seine Schlussfolgerungen hinsichtlich der grundlegenden Situation, der ein Mensch im Zusammenhang mit dem Denken und Fortschreiten in höhere, über der Vernunft liegende Reiche ins Auge sehen muss, sind wahr und gewichtig. Er sagt:

«Es gibt nur einen Weg des Vorwärtsschreitens. Diesen Weg weist die Intuition von Denkern mit einer überdurchschnittlichen instinktiven Feinfühligkeit; die analytische Vernunft folgt, festigt die Position und macht die Strasse für die übrige Menschheit gangbar. Der Vormarsch ins Unbekannte beginnt mit einer Hypothese, und eine solche ist nichts anderes, als ein mehr oder weniger nicht-rationales, intuitiv erlangtes Gebilde. Einmal aufgestellt, wird die Hypothese samt all ihren stillschweigenden Folgerungen mit dem Erfahrungswissen verglichen, so dass sie - wenn möglich - erprobt und vernunftgemäss erklärt werden kann». [*U37]

Wir haben nun in unserem Studium der Gedankenkontrolle jene Stufe erreicht, von der aus wir nur mehr auf Grund einer Hypothese weitergehen können. Es ist aber nur für den materialistischen Denker eine Hypothese, denn die erreichten Schlussergebnisse und der erfasste Erkenntnisbereich sind von vielen Tausenden aller Zeiten als Wahrheit und bewiesene Tatsache schriftlich niedergelegt worden.

Wir haben hier eine alte, erprobte Methode umrissen, derzufolge - wie behauptet wird - das Denkvermögen erfasst und nach Belieben benützt werden kann, und wir haben einen Weg gewiesen, wie jene Faktoren, die bis jetzt die gedankliche Aufmerksamkeit an sich gerissen haben, ausgeschaltet werden können und wie die Erschliessung eines neuen Wahrnehmungsgebietes möglich wird. Bevor wir die Unterweisungen fortsetzen, wäre es gut, wenn wir die Hypothese, auf der wir nun weiterbauen wollen, definieren würden. Sie kann folgendermassen beschrieben werden:

Es gibt ein Reich der Seele, oft das Reich Gottes genannt, das in Wirklichkeit nur ein anderes Naturreich, ein fünftes Reich, ist. Der Eintritt in dieses Reich ist ein ebenso natürlicher Vorgang, wie es der Übergang des evolvierenden Lebens von einem Naturreich in ein anderes im Verlauf der Evolution gewesen ist. Wenn die Sinne und all das, was sie übermitteln, in dem «gemeinsamen Sinn» vereinigt werden, - eine Bezeichnung, die Mystiker wie Meister Eckehart dem Denkvermögen gaben bereichern sie dieses Denkvermögen und eröffnen ihm viele Gewahrseinszustände. Wenn aber diese Tätigkeiten unwirksam gemacht werden können, und wenn das reichhaltige und sensitive Denkvermögen auf sich selbst eingestellt werden kann, wird es zu einem feinfühligen Apparat (einem sechsten Sinn, wenn man will) der «die Dinge des Reiches Gottes» in sich aufnimmt und dem Menschen in tiefer Meditation Bewusstseinszustände und Erkenntnisbereiche eröffnet, die ihm bisher verschlossen waren, die aber genau so einen Teil des Ganzen und des Weltinhaltes bilden, wie irgendein anderes Forschungsgebiet. Das also ist unsere Hypothese, auf der wir weiterbauen wollen. Instinktive Wahrnehmung im Menschen ist intellektueller Erkenntnis gewichen. Wäre es nun nicht möglich, dass diese intellektuelle Wahrnehmung ihrerseits durch ein intuitives Gewahrwerden übertroffen und verdrängt werden könnte?

Zur Erläuterung des Themas dieses Buches dürften sich an dieser Stelle einige grundlegende Thesen als notwendig und wertvoll erweisen. Es sind deren drei:

Erstens: Wir stellen fest, dass wir in dem langen Evolutionsprozess, der den Menschen aus dem tierischen Stadium in das menschliche gebracht hat, nun jene Stufe erreicht haben, auf welche der, Mensch eigenbewusst oder selbst-bezogen ist. Er steht im Mittelpunkt seiner eigenen Welt, und das Universum dreht sich um ihn. Alles Geschehen bezieht sich auf ihn und seine Angelegenheiten, sowie auf den Nutzen des Lebens und der Umstände für ihn, als den wichtigen Faktor.

Zweitens: In dem Masse, als der Mensch an Erkenntnis und intellektueller Bewusstheit zunimmt, arbeiten Gehirn und Denkvermögen harmonisch zusammen. Das erstere wird einfach zum Werkzeug oder Instrument der geschulten Instinkte und des kontrollierten Denkens. Dieses Denken schöpft aus dem, was «der Inhalt des Unterbewussten» genannt wurde, aus dem aktiven Gedächtnis, und aus der Umwelt das, was zur Weiterführung des Lebensprozesses in einer bedürfnisreichen Welt erforderlich ist. Der Mensch wird zu einem leistungsfähigen und nützlichen Wesen und nimmt seinen Platz im Menschheitskörper als bewusste Zelle ein. Er beginnt, Gruppenbeziehungen zu erkennen. Aber es bleibt noch mehr zu tun übrig.

Drittens: Seit dem frühesten Stadium menschlicher Existenz bis zu dem des hochgradig harmonisch funktionierenden Menschen gab es immer ein Bewusst-Sein von etwas Anderem, von einem jenseits menschlicher Erfahrung liegenden Faktor, einem Ziel oder einem Suchen nach einer Gottheit. Dieses subtile und undefinierbare Gewahrsein kommt unvermeidlich zum Vorschein, bringt den Menschen ständig weiter voran und drängt ihn zur Suche nach dem, was ihm anscheinend weder das Denken (so wie er es kennt) noch die Umstände und die Umwelt zu geben vermögen. Man kann dies die Suche nach Gewissheit, ein Erstreben mystischer Erfahrung oder einen religiösen Impuls nennen. Wie immer wir es auch nennen mögen, es ist unfehlbar da.

Diese drei Thesen beschreiben in groben Umrissen den Weg, den der Mensch in seinem Bewusstsein gegangen ist. Sie schildern die Situation, in der wir heute eine grosse Anzahl menschlicher Wesen antreffen - tüchtig, intellektuell, gut informiert, verantwortungsvoll, gleichzeitig aber auch unzufrieden. Sie blicken fragend in die Zukunft oder sehen die Unvermeidbarkeit des Todes vor sich; sie möchten gerne zu einem umfassenderen Bewusstsein kommen und über geistige Dinge und die letzte Wirklichkeit Gewissheit erlangen. Dieser Drang nach einem umfassenderen Verstehen und Wissen zeigt sich heute in grossem Masse, und das evolutionäre Wachstum, wie es bereits besteht, hält offensichtlich weiter an; das muss auch so sein, wenn ein weiterer Bewusstseinsbereich oder -Zustand zu den bereits erreichten hinzukommen soll.

Gerade hier, an diesem Punkte, bieten alle grossen Weltreligionen dem Menschen einen Erkenntnisweg und eine Entfaltungsmöglichkeit, die das Werk der Entwicklung beschleunigen kann und wird. Dr. Otto sagt in DIE IDEE ÜBER DAS HEILIGE, dass der Mensch «durch Nachdenken und Aussprache über die Sache vermittels des eigenen Denkvermögens weitergeführt und geleitet werden muss, bis er jenen Punkt erreicht, wo das "Numenon" sich in ihm zwangsweise zu regen beginnt und ins Leben und Bewusstsein tritt». [*U40]

Das Wort «Numenon» stammt wie man uns sagt vom lateinischen Wort «numen» und bedeutet übernatürliche, göttliche Macht; es bedeutet «ein besonderes, nicht auf Vernunft beruhendes, religiöses Wahrnehmen oder Erfassen, sowie den Gegenstand dieser Wahrnehmung auf allen Ebenen, von den ersten, dunklen Regungen an, wo man Religion kaum als vorhanden bezeichnen kann, bis zu den höchsten Formen geistiger Erfahrung». [*U40]

Sein Übersetzer, Dr. Harvey, Professor der Philosophie am Armstrong College, fügt hinzu, dass sich im Menschen ein «zunehmendes Erkennen eines Objektes,

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.