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Vom Intellekt zur Intuition, Seite 84 ff. (engl.)

Das Herz der Welt ist Licht, und in diesem Licht werden wir Gott schauen. In diesem Licht finden wir uns selbst, in ihm werden alle Dinge offenbar. Patanjali sagt, dass «wenn die Mittel zur Vereinigung ständig angewandt würden und Unreinheit überwunden ist, eine Aufhellung stattfindet, die bis zur vollen Erleuchtung führt. Das Denken strebt dann nach immer mehr Erleuchtung über die wahre Natur des Selbstes». [*U32]

Als Ergebnis der Meditation strahlt dann das Licht auf. Diese «Erleuchtung geht schrittweise vor sich und entfaltet sich Stufe um Stufe». [*U32]

Damit aber wollen wir uns später näher befassen.

Durch Meditation entfalten sich als Folge aller vorangehenden Faktoren die Kräfte der Seele. Jedes Vehikel, durch das sich die Seele äussert, trägt latent in sich gewisse eigene Wirkungskräfte, die Seele aber, der Quell all dieser Wirkungskräfte, besitzt sie in ihrer reinsten und edelsten Form. Das physische Auge z.B. ist das Organ des körperlichen Sehens. Hellsehen ist das gleiche Wirkungsvermögen, das sich in der Welt der Illusion, des Empfindens und Fühlens manifestiert, also in der Welt, die wir als die psychische ansehen. In der Seele aber tritt dieselbe Fähigkeit als reine Wahrnehmung und unfehlbare geistige Vision zutage. Die höheren Entsprechungen der niederen physischen und psychischen Anlagen werden durch Meditation zu wirksamer Tätigkeit gebracht und treten also an die Stelle der niederen Ausdrucksformen.

Diese Kräfte entfalten sich normal und auf natürlichem Wege. Dies geschieht aber nicht deshalb, weil sie gewünscht und bewusst entfaltet werden, sondern weil in dem Masse, als der innere Gott die Kontrolle übernimmt und Seine Körper beherrscht, Seine Kräfte und Fähigkeiten auf der physischen Ebene in Erscheinung treten und die möglichen Anlagen sich dann als erkannte Wirklichkeiten erweisen.

Der wahre Mystiker befasst sich nicht mit den Kräften und Fähigkeiten, sondern allein mit dem Besitzer dieser Anlagen. Er konzentriert sich auf das Selbst und nicht auf die Wirkungskräfte dieses Selbstes. In dem Masse, wie er immer mehr mit der Wirklichkeit, die er selbst ist, verschmilzt, werden die Kräfte der Seele normal, sicher und nutzbringend sich zu entfalten beginnen. Diesen Vorgang gibt Meister Eckehart mit folgenden Worten wieder:

«Die niederen Kräfte der Seele sollten ihren höheren, und ihre höheren Gott angepasst werden; ihre äusseren Sinne den inneren, und diese der Vernunft; das Denken der Intuition, Intuition dem Willen, und alles zusammen der Einheit ...».

[*U31]

Die Worte Dr. Charles Whitby's, des Übersetzers des Buches René Guénon's: Der Mensch und sein Werdegang, passen zu diesem Kapitel über die Ziele des Meditationsprozesses. Er bezieht sich auf das

« ... überwältigende Zeugnis der gegenseitig bestätigten Übereinstimmung der westlichen, der Hindu-, Moslem- und fernöstlichen esoterischen Traditionen in allen wesentlichen Punkten. Die Wahrheit, die wir so voreilig als unerreichbar bezeichnen, erwartet uns hier in unveränderter, unwandelbarer Majestät, vor flüchtigen, spöttischen Blicken wohl verschleiert, aber ernsten, unvoreingenommenen Suchern in immer grösserem Ausmasse sichtbar. Nach Plotin steigt die Kontemplation, die im Wesentlichen das Leben eines jeden Individuums und der Gesamt-Menschheit ausmacht, allmählich und in einer natürlichen, unvermeidlichen Stufenfolge von der Natur zur Seele empor, von der Seele zum reinen Intellekt, vom Intellekt zum höchsten "Einen". Wenn dem so ist, kann oder eigentlich muss früher oder später dem gegenwärtig herrschenden Vorurteil des fortschrittlicheren Repräsentanten westlicher Gedanken und Wissenschaft gegenüber psychischen oder quasi-psychischen Dingen eine gleich ernste Aufmerksamkeit für Dinge höherer und sogar höchster Bedeutung folgen». [*U33]

Daraus kann man ersehen, dass die Forderungen nach Meditation sehr gewichtig sind, und die Zeugenschaft der Mystiker und Eingeweihten aller Zeiten bestätigt diese Befürwortung. Die Tatsache, dass andere Vollendung erlangt haben, ermutigt und interessiert uns wohl, aber das allein genügt nicht, solange wir uns nicht selbst zu einem endgültigen Schritt entschliessen. Dass es eine Technik und eine Wissenschaft der Vereinigung gibt, die auf der richtigen Handhabung des Mentalkörpers und seinem rechten Gebrauch beruhen, mag zutiefst wahr sein; diese Erkenntnis jedoch ist zwecklos, solange der gebildete Denker nicht die Folgerungen daraus zieht. Er muss sich über die darin inbegriffenen Werte klar werden und darauf ausgehen, die Tatsache des Denkvermögens, dessen zweifache Beziehung (einerseits zur Seele, andererseits zur äusseren Umgebung) und schliesslich seine Fähigkeit zu beweisen, dieses Denkvermögen nach Belieben und eigener Wahl gebrauchen zu können. Dies bedingt die Entwicklung des Denkvermögens zur Einheitsschau oder zum gesunden Menschenverstand und die Beherrschung der Denkkraft in bezug auf die Welt irdischen Lebens, der Emotionen und Gedanken. Dazu gehört auch die Fähigkeit, sein Denkvermögen nach Belieben auf die Welt der Seele richten zu können und es als Mittler zwischen Seele und physischem Gehirn fungieren zu lassen. Die erste Beziehung wird durch gesunde Methoden äusserer Erziehung und Bildung entwickelt und gefördert; letztere wird durch Meditation, eine höhere Form des Erziehungsprozesses, ermöglicht.

Kapitel V

Stadien der Meditation

«Was würdest du da drinnen tun, o Seele, mein Bruder?

Was würdest du da drinnen tun?

Versiegle Tür und Fenster, dass niemand uns sieht,

Auf dass wir allein sein können

(Allein von Angesicht zu Angesicht

An diesem Flammen-durchlohten Platz!)

Wenn erstmals wir beginnen

Miteinander zu sprechen».

Evelyn Underhill.

Wir haben nun kurz die Ziele studiert, die wir uns in der Absicht setzen, das Denkvermögen auf die Seele auszurichten und durch die so zustandegebrachte Vereinigung mit einer höheren Seinswelt in Verbindung zu treten. Wir versuchen, die durch eine lange Reihe von Lebensexperimenten und Erfahrungen geschaffene Ausrüstung uns nutzbar zu machen. Ob wir nun die Arbeit vom Standpunkt des mystisch Devoten oder von dem des intellektuellen Aspiranten aufnehmen, so gibt es da gewisse grundlegende Erfordernisse, die den endgültigen Übungen vorausgehen müssen. Die knappen Worte Reverend R.J. Campbells legen sowohl unsere Darstellung als auch unsere Aufgabe fest. Er sagt:

«Um das Wesen unseres Selbstes klar erkennen zu können, mussten wir aus unserem ewigen Heim in Gott herauskommen, damit wir inmitten der Illusionen von Zeit und Sinnen kämpfen und leiden können. Wir müssen überwinden, bevor wir in die ewige Wahrheit, die hinter allem Schein liegt, eingehen können. Durch diese Überwindung haben wir das Fleisch zu meistern und den Geist zu verherrlichen, die Welt zu verachten, um sie zu retten, und das Leben zu verlieren, um es zu finden».

Nun wollen wir die Situation und die Verfahren betrachten, denen wir uns unterwerfen müssen, wenn das Ziel jemals erreicht werden soll. Die vorbereitenden Erfordernisse brauchen nur gestreift zu werden, denn sie sind bereits allgemein bekannt und werden auch von jedem Anfänger teilweise erfüllt, denn sonst würde er ja im unendlich langen Streben nach Wahrheit nicht auf dieser Entwicklungsstufe angelangt sein. Wir sind uns unserer Dualität sowie einer Gegnerschaft dieser beiden uns bestimmenden Aspekte bewusst. Wir empfinden auch eine tiefe Unzufriedenheit mit dem physischen Leben als Ganzem und über unsere Unfähigkeit, die göttliche Wirklichkeit, von der wir hoffen, dass sie existiert, zu erfassen und zu verstehen. Diese aber bleibt für uns eine Sache des Glaubens, während wir doch Gewissheit verlangen. Das Sinnesleben scheint uns auf dem Pfad zu unserem Ziel nicht weit genug zu führen. Wir führen ein unbeständiges Leben; manchmal werden wir von unseren hochfliegenden Wünschen auf einen Gipfel von Wundern getragen, gerade lange genug, um eine Vision der Schönheit zu erhaschen, und dann werden wir wieder in den Abgrund unserer täglichen Umgebung, unserer animalischen Natur und der chaotischen Welt geworfen, in die uns unser Schicksal gestellt hat. Wir erahnen eine Gewissheit, die uns aber immer wieder entschlüpft; wir streben einem Ziele zu, das ausserhalb unser selbst zu liegen scheint und das sich unseren eifrigsten Bemühungen entzieht; wir mühen, kämpfen und ängstigen uns ab, um zu einer Erkenntnis zu gelangen, für welche die Heiligen gezeugt haben und wofür die Wissenden der Menschheit noch fortwährend Zeugnis ablegen. Wenn unser Wille stark genug ist und unsere Entschlossenheit in stetiger und unwandelbarer Ausdauer wurzelt, und wenn die alten Regeln und Formen geistig erfasst sind, können wir unser Problem von einem neuen Gesichtspunkt aus angehen und anstatt emotioneller Anstrengung und fieberhaften Verlangens unsere mentale Ausrüstung verwerten.

Aber auch die Herztätigkeit findet ihren Platz und Patanjali sagt in seinen wohlbekannten Aphorismen, die Hunderte von Wissenden bei ihrem kühnen Unternehmen geleitet haben:

«Die praktischen Massnahmen, die zur Vereinigung mit der Seele führen, bestehen zunächst in glühender Aspiration, sodann in geistiger Lektüre und zuletzt in völligem Gehorsam dem Meister gegenüber». [*U32]

Das Wort «Aspiration» stammt vom lateinischen «ad» = «zu, hin» und «spirare» = «atmen, hauchen, gegen etwas hinhauchen», wie Webster es erklärt. Das Wort «spirit» stammt aus derselben Wurzel. Aspiration muss der Inspiration vorausgehen. Vor dem Einatmen durch den höheren Aspekt muss erst ein Ausatmen des niederen Selbstes erfolgen. Vom Standpunkt östlicher Mystik schliesst Aspiration die Idee des Feuers in sich. Sie ist brennendes Verlangen und feurige Entschlossenheit, die dem Aspiranten schliesslich dreierlei einträgt. Sie wirft über seine Probleme helles Licht und ist der läuternde Ofen, durch den das niedere Selbst gehen muss, damit alle Schlacken ausgebrannt werden; sie beseitigt ausserdem alle Hindernisse, die ihn zurückhalten könnten. Dieselbe Vorstellung von Feuer zieht sich durch alle Bücher über christliche Mystik, und viele Bibelstellen ähnlicher Art kommen einem dabei in den Sinn. Die Bereitwilligkeit, das Kreuz zu tragen», «durch das Feuer zu gehen», «täglich zu sterben» (es ist ganz gleich, welche Art der Symbolik angewendet wird) das sind die Hauptmerkmale des wahren Aspiranten. Bevor wir uns auf den Weg der Meditation begeben und in die Fussstapfen der unzähligen Gottessöhne treten, die uns vorausgegangen sind, müssen wir die Höhen und Tiefen abschätzen und für den mühsamen Aufstieg und das ungestüme Streben alle unsere Kräfte anspannen, Wir müssen mit J.C. Earle sagen:

«Ich wandere durch das Tal und gehe mutig auf den Steilhang los.

Ich trage das Kreuz; das Kreuz trägt mich.

Licht führt mich zum Lichte. Ich weine

Vor Freude darüber, was ich zu sehen hoffe,

Wenn ich die steile Höh' endlich erklommen habe;

Denn nach jedem schmerzenden Schritt komm' ich

Zu immer neuen Welten voll Licht

Und dringe noch tiefer ein in Gottes Tiefen». [*U34]

Wir beginnen nun mit einer gefühlsmässigen Vorstellung über unser Ziel und gehen von da aus weiter durch das Feuer der Disziplinierung bis zu den Höhen intellektueller Gewissheit. Dies veranschaulicht uns die Bibel sehr schön durch die Erzählung über Shadrach, Meschach und Abed-Nego. Wir lesen da, dass diese drei in einen brennenden Ofen geworfen wurden; trotzdem bestand die Folge dieser scheinbaren Tragödie darin, dass sich mitten aus der Form eine vierte Identität loslöste, deren Erscheinung einem Sohn Gottes glich. Diese drei Jünglinge sind das Symbol des dreifachen niederen Menschen. Der Name Meschach bedeutet «agil, beweglich», eine Fähigkeit des unterscheidenden Denkvermögens, des Mentalkörpers. Shadrach bedeutet «Freude am Weg», die Umwandlung des Emotionalkörpers und das Hinwenden des Verlangens zum Weg. Abed-Nego bedeutet «ein Diener der Sonne» und betont damit die Tatsache, dass die einzige Funktion des physischen Körpers darin besteht, der Diener des Sohnes (der Sonne), des Egos oder der Seele zu sein (vgl. Daniel III, 23/24). Es gibt kein Entkommen aus dem feurigen Ofen, die Belohnung aber ist der Prüfung angemessen.

Die Bedeutung des zweiten Erfordernisses, des geistigen «Lesens» (oder Deutens) muss gleichfalls erfasst werden. Die Herkunft des englischen Wortes «read»

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.