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Vom Intellekt zur Intuition, Seite 76 ff. (engl.)
Sir James Jeans einen Schimmer davon erhascht, als er sagte:

«Phänomene erreichen uns maskiert im Gefüge von Zeit und Raum; sie stellen chiffrierte Botschaften dar, deren letzte Bedeutung wir nicht eher verstehen sollen, als bis wir herausgefunden haben, wie wir sie aus ihrer Zeit-Raum-Umhüllung herausschälen müssen». [*U30]

Der Mensch ist ein Punkt göttlichen Lichtes, verborgen in einer Anzahl Hüllen, wie Licht in einer Laterne verborgen ist. Diese Laterne kann entweder geschlossen und finster, oder offen und strahlend sein. Sie kann entweder ein den Menschen scheinendes Licht, oder ein verhülltes Ding und daher für andere nutzlos sein. In dem grundlegenden Werk über Meditation, den Yoga Sutras von Patanjali, die ich in meinem Buche «Das Licht der Seelen» frei übertragen und kommentiert habe, wird uns versichert, dass durch richtige Disziplin und Meditation «das, was das Licht verdunkelt, allmählich entfernt wird» und dass, «wenn die geistige Intelligenz ... sich im Denkvermögen (mind-stuff) widerspiegelt, Wahrnehmung des Selbstes erlangt wird». [*U31]

Zu irgend einem Zeitpunkt in der Geschichte eines jeden Menschen tritt eine bedeutungsvolle Krise ein, wenn durch richtig angewandte Intelligenz das Licht empfunden werden und mit dem Göttlichen unweigerlich ein Kontakt erfolgen muss. Das betont Patanjali, wenn er sagt: «Die Übertragung des Bewusstseins von einem niederen Vehikel in ein höheres ist ein Teil des schöpferischen und evolutionären Werdeganges». [*U32]

Langsam und schrittweise wird direkte Erkenntnis möglich, und die hinter jeder Form verborgene Herrlichkeit kann offenbar werden. Das Geheimnis besteht darin, zu wissen, wann diese Zeit gekommen ist und den Moment dieser Gelegenheit zu erfassen. Meister Eckehart sagt:

«Wenn die Seele all ihrer Hüllen entblösst wäre, würde sich Gott ihr ganz unverhüllt zeigen, sich selbst gebend, nichts zurückbehaltend. Solange aber die Seele nicht all ihre Schleier - wie dünn diese auch sein mögen - von sich geworfen hat, ist sie nicht fähig, Gott zu schauen». [*U31]

So lehren also Ost und West die gleichen Grundideen in der gleichen Symbologie. Meditation stellt daher einen ordnungsgemässen Vorgang dar, durch den der Mensch Gott findet. Sie ist ein wohlerprobtes und viel gebrauchtes Verfahren, das unfehlbar das Göttliche enthüllt. Die bedeutsamen Worte sind hier: «ordnungsgemässer Vorgang». Es sind da bestimmte Regeln zu befolgen, gewisse, ganz klare Massnahmen zu treffen und gewisse Entwicklungsstadien durchzumachen, bevor ein Mensch die Früchte der Meditation ernten kann. Sie ist auch - wie wir gesehen haben - ein Teil des evolutionären Prozesses und ist wie alles in der Natur langsam aber sicher und in ihren Ergebnissen unfehlbar. Für den, der willens ist, sich den Regeln zu unterwerfen und nach dieser Methode zu arbeiten, gibt es keine Enttäuschung. Meditation verlangt Selbstkontrolle in allen Belangen, und wenn die Meditationsarbeit selbst nicht von den anderen Erfordernissen des «ordnungsgemässen Vorganges» (wie Selbstbeherrschung und aktiver Dienst) begleitet ist, wird sie ihr Ziel verfehlen. Fanatismus wird nicht verlangt. Dies kommt in der Bhagavad Gita klar zum Ausdruck:

«Diese innerliche Vereinigung wird aber nicht demjenigen zuteil, der ein Fresser ist oder sich durch übermässiges Fasten schädigt; auch nicht jenem, der zuviel schläft oder fortwährend wachend ist. Wer mässig isst, sich der Erholung widmet, geregelt arbeitet, schläft und wacht, für den wird Meditation zum Zerstörer aller Leiden». [*U28]

Meditation kann mit vollem Recht als ein Teil des natürlichen Entwicklungsprozesses angesehen werden, der den Menschen auf dem Pfad der Evolution von einem kaum über dem Tierzustand liegenden Niveau bis zu seiner gegenwärtigen Position mentaler Errungenschaft, wissenschaftlicher Leistung und göttlicher Rastlosigkeit geführt hat. Sein Bewusstseinszentrum hat sich ständig verlagert und seine Aufmerksamkeit hat sich ständig auf immer grössere Kontaktbereiche konzentriert. Der Mensch ist bereits aus dem rein tierischen und körperlichen Seinszustand in den intensiver Gefühls- und Sinneswahrnehmung übergegangen; in diesem Stadium befinden sich derzeit Millionen. Millionen anderer aber schreiten darüber hinaus und entfalten sich in einem höheren Wahrnehmungsbereich, den wir die Welt der Gedanken nennen. Eine andere, zahlenmässig viel kleinere Gruppe wieder geht in eine Sphäre über, wo ein universaler Kontakt möglich wird. Diese nennen wir die Wissenden der Menschheit. Durch alle angewandten Methoden zieht sich der goldene Faden göttlicher Absicht, und die Art und Weise, nach der die Transferierung des menschlichen Bewusstseins in das der Seelen-Erkenntnis und Seelen-Wahrnehmung zustande kommt, ist eben die Meditation.

Dieser Vorgang der Entschleierung des Selbstes durch Verneinung der Formseite des Lebens und der daraus folgenden Unfähigkeit der verschiedenen Hüllen, dieses Selbst weiter zu verbergen, kann sowohl als Transmutation (Umwandlung) wie auch als Transferierung (Übertragung) des Bewusstseins bezeichnet werden.

Transmutation ist die Änderung und Umleitung der Energien des Denkvermögens, der Gefühle und der physischen Natur, so dass sie der Offenbarung des wirklichen Selbstes und nicht bloss zur Offenbarung der psychischen und körperlichen Natur dienen.

Wir wissen z. B., dass wir fünf Hauptinstinkte besitzen, die wir mit allen Tieren gemeinsam haben. Wenn diese Instinkte zu selbstsüchtigen und persönlichen Zwecken gebraucht werden, steigern sie das körperliche Leben, stärken die Form- oder materielle Natur und tragen so immer mehr zur Verhüllung des Selbstes, des geistigen Menschen, bei. Sie müssen daher in ihre höheren Entsprechungen umgewandelt werden, denn jede tierische Eigentümlichkeit hat ihr geistiges Urbild. Der Instinkt der Selbsterhaltung muss schliesslich der Erkenntnis der Unsterblichkeit weichen, und der Mensch wird «immer im Ewigen weilend» die Erde bewohnen und seine Bestimmung erfüllen. Der Instinkt, der das niedere Selbst veranlasst, sich vorzudrängen und seinen Weg aufwärts zu erzwingen, wird sich später einmal in ein Herrschen des höheren oder geistigen Selbst verwandeln. Das Selbstbewusstsein des kleinen oder niederen Selbstes wird dem des höheren Selbstes Platz machen. Sexualität als animalischer und alle tierischen Formen machtvoll beherrschender Instinkt wird einer höheren Anziehungskraft weichen und wird in ihrer edelsten Form die bewusste Anziehung und Vereinigung der Seele mit ihrem Instrument zustandebringen, während der Herdeninstinkt in Gruppenbewusstsein verwandelt werden wird. Ein fünfter Instinkt, der Drang zu fragen und zu forschen, das Kennzeichen aller Denker auf hoher oder niederer Ebene, wird der intuitiven Wahrnehmung und Einsicht Platz machen; auf diese Weise wird das grosse Werk seiner Vollendung zugeführt werden, und der spirituelle Mensch wird seine Schöpfung, das menschliche Wesen, beherrschen und dessen Eigenschaften und Merkmale in den Himmel erheben.

Durch Meditation wächst die spirituelle Erkenntnis im Denken, und ausgehend vom gewöhnlichen Wissen erweitern wir ständig unser begriffsmässiges Verstehen, bis Wissen in Wahrheit übergeht. Das ist dann direkte Erkenntnis Gottes durch mentale Fähigkeit, so dass wir das werden, was wir sind und unser göttliches Wesen manifestieren können. Tagore definiert an einer Stelle Meditation als «das Eindringen in eine grosse Wahrheit, bis wir in ihrem Besitz sind»; Wahrheit und Gott sind sinnverwandte Begriffe. Das Denken sagt man erkenne zweierlei: die äussere Welt mittels der fünf Sinne und des Gehirns, und die Seele und ihre Welt durch das, was wir ein nach innen gerichtetes Denken und dessen intensive Konzentration auf ein neues und ungewöhnliches Kontaktgebiet nennen können. Dann «wird der Denkstoff (chitta), der sowohl den Erkennenden (das Selbst) als auch das Erkennbare widerspiegelt, allwissend ... er wird zum Instrument des Selbstes und fungiert als einigendes Organ». [*U32]

Dem wahrhaft Meditierenden werden dann alle Dinge offenbar. Er wird die verborgenen Dinge der Natur, die Geheimnisse des Lebens des Geistes verstehen. Er wird auch wissen, wieso er weiss. Auf diese Weise bringt Meditation die Vereinigung oder Einswerdung zustande.

Der Mystiker des Westens mag von Eins-Sein sprechen, während sein orientalischer Bruder von Raja-Yoga, von Vereinigung und Befreiung spricht; beide aber meinen das gleiche. Sie meinen, dass das Denken und die Seele (der Christus in uns oder das Höhere Selbst) als Einheit, als harmonisches Ganzes funktionieren und so den Willen des innewohnenden Gottes in vollkommener Weise zum Ausdruck bringen. René Guénon bringt in seinem Buch: Der Mensch und sein Werdegang über das Wort «Vereinigung» folgende interessante Kommentare, deren Anführung hier am Platz ist:

«Die Erkenntnis dieser Identität kommt durch Yoga zustande, also durch die innige und wesentliche Vereinigung des Seins mit dem göttlichen Prinzip oder, wenn man es vorzieht, mit dem Universellen. Die richtige Bedeutung des Wortes Yoga ist tatsächlich «Vereinigung» und nichts anderes. ... Es sollte beachtet werden, dass man diese Erkenntnis nicht so genau als eine «Errungenschaft» oder als das «Zustandebringen eines vorher nicht existenten Resultates» (nach Shankaracharya) ansehen sollte, denn obwohl die in Rede stehende Vereinigung in dem hier gemeinten Sinne in Wirklichkeit noch nicht vollzogen wurde, besteht sie nichtsdestoweniger der Anlage oder vielmehr dem Wesen nach; es bedarf lediglich dessen, dass der Mensch tatsächlich ein Bewusstsein darüber erlangt, was seit Ewigkeit wirklich besteht». [*U33]

Durch den ordnungsgemässen Stufenweg des Meditationsprozesses kommt allmählich und stetig eine Beziehung zwischen der Seele und ihren Instrumenten zustande, bis einmal die Zeit kommt, da sie buchstäblich eins werden. Dann dienen die Hüllen einfach dazu, das Licht des innewohnenden Gottessohnes zu offenbaren; der physische Körper steht unter der unmittelbaren Herrschaft der Seele, denn das erleuchtete Denkvermögen übermittelt dem physischen Gehirn, wie wir später sehen werden, Seelenerkenntnis; die gereinigte emotionelle Natur spiegelt einfach die Liebes-Natur der Seele wider, so wie das Denkvermögen die Absichten Gottes widerspiegelt. Auf diese Weise werden die bisher unorganisierten und unterschiedlichen Seiten des menschlichen Wesens vereint und vereinheitlicht und werden zu einander und zur Seele, ihrem Schöpfer, ihrer Energiequelle und bewegenden Kraft in harmonische Beziehung gebracht.

Diese Wissenschaft der Vereinigung bedingt die Disziplinierung des Lebens und ein experimentelles System harmonischen Zusammenwirkens. Ihre Methode ist die der konzentrierten Aufmerksamkeit, Gedankenkontrolle oder Meditation und ist eine Entwicklungsart, durch die wir die Vereinigung mit der Seele erreichen und innerer Bewusstseinszustände gewahr werden.

Dies finden wir in den bekannten Worten Brownings zusammengefasst:

«Wahrheit liegt tief in uns; sie entspringt nicht

Aus äusseren Dingen, was immer ihr auch glauben mögt.

In unserem Innersten

Wohnt Wahrheit in Fülle; und rundherum

Wall um Wall, das grobe Fleisch umschliesst sie.

# ... doch um zu erkennen,

Muss man den Weg nach aussen hin öffnen,

Damit das eingekerkerte Leuchten herausströmen kann,

Nicht aber versuchen, ein Licht hereinzubringen,

Das angeblich draussen ist». [*U25]

Die ganze Wissenschaft der Meditation dient dazu, den Menschen zu befähigen, in äusserer Manifestation das zu werden, was er innerer Wirklichkeit nach ist, und ihn dazu zu bringen, sich mit seinem Seelenaspekt und nicht nur mit seinen niederen Haupteigenschaften zu identifizieren. Es ist ein rasches Verfahren zur Entfaltung des logisch denkenden Bewusstseins, das aber in diesem Falle selbst auferlegt und veranlasst sein muss. Durch Meditation wird das Denkvermögen als Instrument zur Beobachtung ewiger Zustände benützt und wird mit der Zeit zum Instrument der Erleuchtung, durch das die Seele oder das Selbst dem physischen Gehirn Wissen übermittelt.

Meditation führt endlich auch zur Erleuchtung. Meister Eckehart sagt in seinem Buch der im vierzehnten Jahrhundert geschriebenen Predigten:

«Drei Arten von Menschen erschauen Gott. Die erste erschaut ihn im Glauben; sie weiss von ihm nicht mehr, als sie durch ein Getrenntsein herausfinden kann. Die zweite erblickt Gott im Licht der Gnade, jedoch nur als Erfüllung ihres Verlangens, Süsse, Andacht (Devotion), Innerlichkeit und andere derartige Dinge zu gewähren. ... Die dritte erschaut ihn im göttlichen Lichte». [*U31]

Dies ist das durch Meditation sich offenbarende Licht, mit dem wir zu arbeiten lernen.

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.