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Vom Intellekt zur Intuition

Dieses Buch befasst sich nun mit dieser Art von Wahrnehmung. Es ist zwar kein neues Thema, da es die Grundlage der grossen Religionen bildet, es ist aber neu in der Klarheit des Vorschlages für eine Methode, mittels der man zu dieser Wahrnehmung - und noch zu mehr - gelangt.

Es ist bezeichnend für die heutige Zeit, dass - während früher solche Bewusstseinsausweitungen unbestimmt als Wunschziele, Verlangen nach Wohlergehen, nach Gott, nach hohen Eigenschaften, als der Wunsch, in einen ekstatischen Zustand zu versinken, um passiv auf die Wiederkehr dieses Zustandes zu warten, klassifizierbar waren - man sie jetzt mehr als freiwillige Erfahrung ansieht, zu der man durch ein Verfahren kommt, das genau so klar und bestimmt ist wie das, durch das man zu irgend einer anderen Erkenntnis gelangt. Erziehung ist nicht Inspiration, sondern ein Werdegang. Diese fortschreitende Bewusstseinserweiterung wird als Erziehung betrachtet. Tatsächlich aber dürfte die Erziehung bis jetzt wohl nur eine Vorbereitung für einen neuen, genau so rigorosen Entwicklungsprozess wie der beste der alten gewesen sein, um in einen neuen Erkenntnisbereich einzudringen.

Wenn der Nobelpreisträger Dr. Arthur Compton daher sagt, dass es Gedanken gäbe, die überhaupt keiner Gehirntätigkeit entspringen, könnte er damit meinen, dass es Gedanken gibt, deren Entstehung nicht gehirnbedingt (cerebral) ist so wie wir das Gehirn jetzt kennen, oder die nicht dem Denkvermögen entstammen so wie wir das Denkvermögen jetzt kennen.

Gewiss stehen Wissenschaftler und auch andere Denker hinsichtlich des Wesens des Denkvermögens und seines Instrumentes, des Gehirns miteinander im Widerspruch. Dieses Buch berichtet nun über einige dieser verschiedenen Ansichten, z. B. dass das Denkvermögen eine separate Entität sei; ein Mechanismus, dessen integrierende Teile Gehirn und Nervensystem sind; dass es eine «Art höheren, nicht physischen Gebildes, zu ernstem wissenschaftlichem Studium tauglich und seinen eigenen Störungen unterworfen» sei; dass es ferner eine «Gestaltung des Selbst mit eigenem Leben», ein Schutzmechanismus, ein Reaktionsapparat sei. Dies klingt wie die seinerzeitigen Vermutungen der Menschen über das Wesen des Blutes, bevor Harvey seine Theorie darlegte, oder wie die über die Gestalt der Erde, bevor Kolumbus Amerika entdeckte. Für den Autor dieses Buches bedeutet das Wort Denkvermögen (mind) « ... einen Aspekt des Menschen und zwar einen, der jetzt in einer Richtung - auf die äussere Welt der Gedanken und Vorgänge - reagiert, der aber ebenso in einer anderen Richtung - auf die Welt der feineren Energien und des geistigen Seins - reagieren könnte».

Dies ist die Grundidee, welche dieser Meditationsstudie, eigentlich einer Studienarbeit über das Wesen des Denkvermögens, wie es sich in neuen Funktionen manifestiert, zugrundeliegt; des Denkvermögens, das als eine Art «inneren Laboratoriums» bezeichnet werden kann, das eine Verbindung mit neuen Energien herstellt und neues Gewahrwerden entwickelt. Ein Fünftel der beiden Hälften des menschlichen Gehirns ist alles, was wir bis jetzt benützen. Was aber ist's mit den anderen Gehirnregionen, wenn sie zu funktionieren beginnen werden? ... Wenn aber das Gehirn als Einheit funktioniert, wie manche Psychologen jetzt zu beweisen versuchen, dann ist diese Einheit von einer vollkommenen Entwicklung noch sehr weit entfernt.

«Die Übertragung des Bewusstseins von einem niederen Bewusstseinsträger in einen höheren ist ein Teil des schöpferischen und evolutionären Prozesses», versichert Patanjali. Oder, wie ein Kuratoriumsmitglied einer grossen Universität neulich sagte: «In der Menschenrasse bildet sich ein neues Gehirn. Wir können um jeder Situation gerecht zu werden - das alte Gehirn benützen, oder aber wir können uns schon das neue zunutzemachen. Das heisst, wir können, wenn wir dazu fähig sind!» Diese Möglichkeit wurde - in Ermangelung eines besseren Ausdrucks - als jener Vorgang bezeichnet, durch den wir «zur direkten Erkenntnis» gelangen können.

Unzählige hartköpfige Menschen kamen im Lauf der Zeit zu der Erkenntnis, dass das, was man sehen kann, die Form, nicht die Gesamtheit der Erscheinungswelt ist; dass es da - innerhalb oder ausserhalb oder sonstwo - eine Realität geben müsse, von der die Form nur eine Manifestation sei. Wenn nun aber die Form nicht die Gesamtheit der Erscheinungswelt ist, so können auch die physischen, intellektuellen und psychischen Kräfte nicht die Gesamtheit menschlicher Kontakt- und Reaktionsfähigkeiten ausmachen. Auch sie werden uns nur im «Rahmen von Zeit und Raum» und durch ihre Vertrautheit offenbar. Es gibt aber «Entsprechungen» dieser Anlagen und Kräfte. Und diese höheren Entsprechungen niederer, bekannter Kräfte müssen miteinander in Übereinstimmung gebracht (koordiniert) werden; dann wird sich das menschliche Bewusstsein erheben, um jenes traumgleiche Gewahrsein, in dem wir jetzt leben, zu übersteigen.

Diese Koordinierung ist es, die wie man sagt durch Meditation erreicht wird. Durch Meditation werden wir innerer, oder auf alle Fälle anderer Bewusstseinszustände gewahr, wir treten in sie ein und funktionieren dort.

«Das erstrebte Ziel der Wissenschaft der Meditation», sagt der Autor dieses Buches, «besteht darin, den Menschen zu befähigen, in äusserer Manifestation das zu werden, was er in innerer Wirklichkeit ist, und ihn zu veranlassen, sich mit seinem "inneren" Aspekt und nicht bloss mit seinen äusseren, niederen Charakter-Eigentümlichkeiten zu identifizieren»; mit jenem «tieferen Sein», von dem Keyserling spricht.

Daraus kann man ersehen, dass der Schrei nach «moralischem» Leben ein primitiver Schrei ist, das Wunschziel derer, die eine Menge Resultate sehen, ihre Bedeutung aber nicht erkennen. «Aspiration ja, die ist billig», sagte einst ein Lehrer. Aber erkannte Kräfte mit unerkannten zu koordinieren, in neue Energiebereiche einzudringen und tatsächlich neue Energie zu entfalten, das ist der Entwicklungsverlauf, über dessen Methode bereits viel bekannt ist. Gegen Aspiration als Begleiterscheinung dazu kann kein Einwand erhoben werden. Aber Aspiration allein genügt nicht. Das Programm besteht vielmehr darin, eine Methode nämlich die der Meditation anzuwenden, die, wie es scheint, so klar und genau ist wie die für Gesangsübungen, ferner sein Leben planvoll zu gestalten, seine Betätigungen zu regeln und sich wieder auf eine positive Lebensführung einzustellen.

Eine solche Methode würde mit den «Ausweichprozessen» der Phantasie und des Wachträumens genau so wenig vergleichbar sein als es die ersten Erkenntnisse Edisons und Bells waren. Sie würde keine negative, sondern eine machtvolle positive Wirkungsart sein. Andeutungen von geordneten Bewegungen von Protonen und Elektronen oder die gesetzmässigen Bahnen der Sterne, das sichere Wissen um die Existenz von Elementen, die noch nicht im Verzeichnis der Elemente vorkamen können nicht als Phantasie bezeichnet werden. Frau Baileys siebenjährige Erfahrung mit mehr als dreitausend Studierenden brachte ihr die Überzeugung, dass das Erziehungssystem des Westens eine Technik einschliessen müsste, die bisher noch nicht Bestandteil eines formellen Lehrplanes war.

Die von Frau Bailey umrissene Technik mag dem Laien als endgültig oder nicht endgültig erscheinen. Auch über die in dieser Meditationstechnik zu unternehmenden Schritte brauchen wir nicht zu sprechen. Was immer ein solches Verfahren jetzt bietet, so ist es doch wahrscheinlich, dass, wenn einmal von der Psychologie einige weitere veraltete Anschauungen beseitigt werden, dieses Verfahren geändert oder vielleicht durch ein anderes ersetzt werden muss. Es könnte sich die Erkenntnis durchsetzen, dass es eine neue Methode mentaler Entfaltung, das heisst Erziehung, gibt, und dass zu dieser Entfaltung auch der Meditationsprozess gehört.

«Diese Neuorientierung des fortgeschrittenen Menschen» sagt Frau Bailey «muss ihren Platz in unserer Massen-Erziehung finden.»

Mit anderen Worten, es wird notwendig sein, eine Vereinigung zwischen dem Selbst und seinen Instrumenten zustande zu bringen, wenn der Mensch jemals eine dauernde Befriedigung in seinem Leben finden soll.

Zona Gale

Kapitel I

Einführende Gedanken

«Die wissenschaftliche Methode ist daher - abgesehen von ihrem engherzigen, agnostischen [*U1] und nützlichkeits-bezogenen Standpunkt an sich unvollständig und ungenügend; sie bedarf zu ihrer Ergänzung einer metaphysischen Lehre, um mit der Wirklichkeit in Berührung zu kommen».

Joseph Maréchal, S. J.

Das gegenwärtige weitverbreitete Interesse an der Meditation beweist das Vorhandensein eines Weltbedürfnisses, das klares Verstehen verlangt. Wo immer wir einer allgemeinen Tendenz nach einer besonderen Richtung hin begegnen, die deutlich und unverwandt ein Ziel verfolgt, kann mit Sicherheit angenommen werden, dass daraus das hervorgehen wird, was die Menschheit für ihre Weiterentwicklung braucht. Dass Meditation von denen, die nur ungenau definieren, als eine Art Gebet angesehen wird, ist leider wahr. Es kann jedoch bewiesen werden, dass man bei richtigem Verstehen des Meditationsprozesses und seiner rechten Anpassung an die Bedürfnisse unserer modernen Zivilisation die gegenwärtige Krise im Erziehungswesen beheben und die Methode finden wird, wodurch die Tatsache der Seele jenes lebendigen Etwas, das wir mangels einer besseren Bezeichnung «Seele» nennen festgestellt werden kann.

Der Zweck dieses Buches besteht darin, sich mit dem Wesen und der wahren Bedeutung der Meditation und mit ihrer Anwendung auf breiter Basis auch im Westen zu befassen. Es wird angedeutet, dass die Meditation schliesslich die gegenwärtigen Methoden der Gedächtnisschulung verdrängen und sich als machtvoller Faktor im modernen Erziehungswesen erweisen könnte. Dieses Thema hat seit tausenden von Jahren bei den Denkern im Osten und Westen starke Beachtung gefunden, und diese Einheitlichkeit des Interesses ist an sich schon von Bedeutung. Die nächsten Entwicklungen, welche die Menschenrasse auf dem Wege ihres sich entfaltenden Bewusstseins vorwärts bringen werden, müssen sicherlich in einer Zusammenfassung liegen. Das Wachstum menschlicher Erkenntnis muss durch Verschmelzung östlicher und westlicher Methoden mentaler Schulung zustande gebracht werden. Dies hat bereits zusehends Fortschritte gemacht und Denker beider Hemisphären beginnen einzusehen, dass diese Verschmelzung zu sehr bedeutungsvollen Erkenntnissen führt. Edward Carpenter sagt:

«Wir scheinen eine Zeit erreicht zu haben, in der durch unser, um den Erdball kreisendes Wissen eine grosse Synthese aller menschlichen Gedanken ganz natürlich und unvermeidlich Platz greift. ... Aus diesem Zusammentreffen von Elementen erstehen bereits die dunklen Umrisse einer Philosophie, welche die menschlichen Gedanken sicherlich für lange Zeit beherrschen wird». [*U2]

Hierin liegt die Herrlichkeit und Hoffnung der Menschheit und der überragende Triumph der Wissenschaft. Wir sind nun ein Volk. Das Erbe irgend einer Rasse ist auch anderen Rassen zugänglich; die besten Gedanken der Jahrhunderte stehen allen zur Verfügung; die alten Techniken und die neuen Methoden müssen einander begegnen und sich abwechseln. Jede wird ihre Art der Darlegung ändern und Anstrengungen machen müssen, um den zugrunde liegenden Geist zu verstehen, der eine Reihe besonderer Redewendungen und gedanklicher Vorstellungen hervorgebracht hat; doch wenn die notwendigen Zugeständnisse gemacht werden, wird daraus ein Wahrheitsgebäude erstehen, das den Geist des Neuen Zeitalters verkörpert. Moderne Denker erkennen dies klar, und Dr. Overstreet führt aus, dass:

«östliche Philosophie auf das westliche Denken vermutlich nur geringen Einfluss hatte, und zwar hauptsächlich wegen ihrer Art und Weise. Es besteht aber guter Grund zur Annahme, dass wenn der Einfluss westlichen Denkens, besonders die praktische Zielstrebigkeit sich im Osten bemerkbar macht, eine neue philosophische Art und Weise angenommen werden wird und dass die tiefgründige Geistigkeit östlichen Denkens in einer für das westliche Denken annehmbaren Weise zum Ausdruck kommen wird». [*U3]

Bisher haben beide Schulen gegensätzliche Tendenzen gezeigt, und trotzdem war die Suche nach Wahrheit die gleiche; das Interesse an dem, was ist und an dem, was sein kann, beschränkt sich nicht auf eine der beiden Gruppen, und die Faktoren, mit denen beide zu arbeiten hatten, waren die gleichen. Obwohl das Denkvermögen des östlichen Denkers zu schöpferischer Vorstellung und das des westlichen Geistesarbeiters zu schöpferischer wissenschaftlicher Leistung führen mag, so ist doch die Welt, in die sie eindringen, sonderbarerweise die gleiche; das Instrument, das sie zur Gedankenbildung benützen, wird im Westen «Denkvermögen» und im Osten «Denkstoff» (chitta) genannt; beide benützen die symbolische Sprache, um ihre Ergebnisse auszudrücken und beide erreichen jenen Punkt, wo es vergeblich ist, intuitiv erschaute Möglichkeiten in Worte zu fassen.

Dr. Jung, einer jener Menschen, die versuchen, diese bisher einander entgegengesetzten Elemente zusammenzubringen, streift diese Tatsache in seinem

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.