Netnews Homepage     Zurück     Vorwärts      Index      Inhaltsverzeichnis
Vom Intellekt zur Intuition, Seite 5 ff. (engl.)
Kommentar über ein altes chinesisches Schriftstück;. Er sagt darin:

«Westliches Bewusstsein ist keineswegs Bewusstsein im allgemeinen, sondern eher ein geschichtlich bedingter und geographisch begrenzter Faktor, der nur einen Teil der Menschheit darstellt. Die Erweiterung unseres eigenen Bewusstseins sollte aber nicht auf Kosten anderer Bewusstseinsarten erfolgen, sondern sollte durch die Entfaltung jener Elemente unserer Psyche fortschreiten, die denen einer fremden Psyche analog sind, geradeso wie der Osten nicht ohne unsere Technik, Wissenschaft und Industrie bestehen kann. Die europäische Invasion des Ostens war eine Vergewaltigung grössten Ausmasses und hat uns die Pflicht auferlegt noblesse oblige , das östliche Denken zu verstehen. Das ist vielleicht notwendiger, als wir im Augenblick erkennen». [*U4]

Dr. Hocking von der Havard-Universität bringt die gleiche Idee zum Ausdruck, wenn er sagt:

«Es scheint alles dafür zu sprechen, dass wir eine bessere physische Zukunft der Menschheit durch gesunde mentale Hygiene erhoffen können. Nachdem das Zeitalter der Scharlatane - und zum Teil sogar durch ihre eigene Hilfe - vorüber ist, zeigt sich die Möglichkeit einer ständig sich erweiternden Selbst-Beherrschung und zwar in dem Masse, wie das geistige Verständnis für eine solche Disziplin wie Yoga sich mit den nüchternen Elementen westlicher Psychologie und einem gesunden ethischen System verbindet. Eines ohne das andere taugt nicht viel».

Jene, die beide Schulen studiert haben, berichten, dass die mystischen Gedankenbilder des Ostens (und auch die unserer westlichen mystischen Exponenten) nur ein Schleier sind, hinter den zu dringen dem mit intuitiver Wahrnehmung Begabten stets gelungen ist. Die Wissenschaft des Westens mit ihrer Betonung der Formnatur hat uns gleicherweise in das Reich der Intuition geführt und es scheint, als ob sich diese beiden Geistesrichtungen vereinen könnten, und dass es für jede von ihnen möglich sein sollte, von Unwesentlichem abgesehen - zu einer Verständigungsgrundlage zu gelangen. Auf diese Weise bereiten sie eine Annäherung an das zentrale Mysterium des Menschen vor, das auf alten und bewiesenen Wahrheiten beruht. Dr. Jung nimmt diesen Gedanken wiederum wie folgt auf:

«Wissenschaft ist das beste Werkzeug des westlichen Denkvermögens, und damit können mehr Türen geöffnet werden als mit blossen Händen. Sie gehört zu unserem Verstehen und verdunkelt nur dann unsere Einsicht, wenn sie das durch sie vermittelte Begreifen für das Begreifen überhaupt hält. Es ist aber gerade der Osten, der uns ein anderes, weiteres, tieferes und höheres Begreifen lehrt, nämlich das Begreifen durch das Leben selbst. Letzteres kennt man eigentlich nur noch undeutlich, als ein blosses, fast schemenhaftes Sentiment aus der religiösen Ausdrucksweise, infolgedessen man auch gerne das östliche "Wissen" in Anführungszeichen setzt und in das obskure Gebiet des Glaubens und Aberglaubens verweist. Damit ist aber die östliche "Sachlichkeit" gänzlich missverstanden. Es sind nicht sentimentale, mystisch übersteigerte, ans Krankhafte streifende Ahnungen von asketischen Hinterwäldlern und Querköpfen, sondern praktische Einsichten ..., die zu unterschätzen wir keinen Anlass haben». [*U4]

Im Training des Denkvermögens liegt das Schwierige der Situation. Das menschliche Denkvermögen ist offensichtlich ein Instrument, das wir in zweierlei Richtungen benützen können. Eine dieser Richtungen führt nach aussen. Das Denkvermögen registriert in dieser Funktionsweise unsere Kontakte mit der physischen und mentalen Welt, in der wir leben, und erkennt Gefühls- und Sinneszustände. Es ist der Registrierapparat für unsere Empfindungen, unsere Reaktionen und all das, was uns über die fünf Sinne und das Gehirn zugeleitet wird, und bringt dies zueinander in Beziehung. Es ist dies ein Erkenntnisgebiet, dem umfassendes Studium zuteil wurde und auf dem von Psychologen hinsichtlich des Begreifens der Gedankenbildung viel Bahnbrechendes geleistet wurde. «Denken», sagt Dr. Jung, «ist eine der vier grundlegenden psychologischen Funktionen. Es ist jene psychologische Funktion, die gemäss ihren eigenen Gesetzen dargelegte Gedanken in begrifflichen Zusammenhang bringt. Es ist eine Tätigkeit bewusster Vorstellung sowohl aktiver wie auch passiver Art. Aktives Denken ist ein Willensakt, passives ein Vorkommnis». [*U6]

Wie wir später sehen werden, ist es der Denkapparat, der in die Meditation einbezogen wird und der darin geschult werden muss, dieser ersten Funktion des Denkvermögens die Fähigkeit hinzuzufügen, sich auch in eine andere Richtung zu wenden und mit gleicher Leichtigkeit die innere oder unerfassbare Welt zu registrieren. Diese Fähigkeit zur Umstellung wird es dem Denkvermögen ermöglichen, die Welt der subjektiven Wirklichkeiten, der intuitiven Wahrnehmung und der abstrakten Ideen zu erspüren. Das ist das hohe Erbe des Mystikers, scheint aber bis jetzt dem Durchschnittsmenschen noch nicht begreiflich zu sein.

Das Problem, dem die Menschheit heute sowohl auf dem Gebiet der Wissenschaft als auch auf dem der Religion gegenübersteht, erwächst aus der Tatsache, dass die Anhänger beider Geistesrichtungen feststellen, dass sie vor dem Tor einer metaphysischen Welt stehen. Ein Entwicklungszyklus hat sein Ende erreicht. Der Mensch als denkende, fühlende Wesenheit scheint nunmehr eine ziemliche Erkenntnis über das Instrument, mit dem er zu arbeiten hat, erlangt zu haben. Er frägt sich: Welchen Gebrauch soll ich davon machen? Wohin wird mich das Denkvermögen, das ich langsam beherrschen lerne, führen?

Was hält die Zukunft für den Menschen bereit? Etwas - fühlen wir -, das von grösserer Schönheit und Gewissheit ist als alles, was wir bisher kannten. Vielleicht wird es ein universelles Erlangen jener Erkenntnis sein, zu welcher der einzelne Mystiker gekommen war. Unser Gehör ist durch den Lärm unserer modernen Zivilisation unempfindlich geworden, und doch erfassen wir manchmal jene Obertöne, die von einer immateriellen Welt Zeugnis geben. Unser Blick ist durch den Nebel und Rauch dessen, was uns unmittelbar vor Augen liegt, verdunkelt, und doch erhellen manchmal Lichtblitze klarer Vision einen subtileren Seinszustand, lüften den Nebel und lassen «die Herrlichkeit, die niemals über dem Meer oder Land war» hereinströmen. Dr. Bennett von der Yale-Universität bringt diese Idee in sehr schöner Weise zum Ausdruck. Er sagt:

«Ein Schleier fällt von den Augen und die Welt erscheint in neuem Lichte. Dinge sind nicht länger mehr alltäglich. Es ersteht die Gewissheit, dass dies die wirkliche Welt ist, deren wahrer Charakter durch menschliche Blindheit bisher verborgen war.

Nicht wo die kreisenden Welten dämmern

Und unser dumpfer Verstand sich verlor

Das Wehen der Schwingen, wenn wir nur lauschten,

Trifft unser irdisch-verschlossenes Tor.

Die Engel behalten die ewigen Plätze.

So spannt eure Kräfte und schwingt euch empor!

An euch ist's - euren entfremdeten Augen

Entgeht all der köstlichen Dinge Flor.

Die Erfahrung ist zuerst quälend, verlockend. Gerüchte über eine neue Welt tauchen auf und der Geist sehnt sich brennend nach der Reise über fremde Meere. Die bekannte Welt muss zurückgelassen werden. Das grosse Erlebnis der Religion beginnt. ...

Irgendwo muss es Gewissheit geben. Ein wachsendes Universum mag eine offene Zukunft bieten; der aber, der das Wachstum des Universums behauptet, stellt eine unabänderliche Tatsache über dessen Aufbau fest, und diese Tatsache ist die ewige Garantie für die Möglichkeit und Stichhaltigkeit des Experimentes. ...

Der Mensch ist eine Brücke. Sogar der Übermensch ist - wie sich herausstellt - auch eine Brücke, wenn wir einmal darauf kommen, das er nur das Symbol des rastlos tätigen Ideals ist. Unsere einzige Zuversicht besteht darin, dass die Tore der Zukunft immer offen stehen». [*U7]

Vielleicht besteht das Problem darin, dass die Tore in die Zukunft sich in eine immaterielle Welt zu öffnen scheinen, in ein Reich, das unberührbar, metaphysisch und übersinnlich ist. Wir haben die Hilfsquellen der materiellen Welt fast erschöpft, wir haben aber noch nicht gelernt, in einer nicht-materiellen Welt zu wirken. Wir leugnen sogar zuweilen deren Existenz. Wir sehen der unvermeidlichen Erfahrung, die wir Tod nennen, entgegen, unternehmen aber trotzdem keine vernünftigen Schritte, uns zu vergewissern, ob es darüber hinaus nicht doch ein Leben gibt. Der Fortschritt der Evolution hat eine mit gefühlsmässigem Reaktionsapparat und vernünftigem Denkvermögen ausgestattete, wundervolle Menschenrasse hervorgebracht. Wir besitzen die Ansätze eines Sinnes, den wir Intuition nennen, stehen mit dieser Ausstattung vor den Toren der Zukunft und fragen: «Zu welcher Wirkung sollen wir diesen zusammengesetzten, komplizierten Mechanismus, den wir ein menschliches Wesen nennen, bringen?» Haben wir unsere volle Entwicklung erreicht? Gibt es vielleicht Unterschiede über den Sinn des Lebens, die bisher unserer Aufmerksamkeit entgangen sind? Und geschah dies, weil wir bis jetzt unerkannte, latente Kräfte und Fähigkeiten besitzen? Ist es möglich, dass wir einer unermesslichen Welt voll Leben und Schönheit mit ihren eigenen Gesetzen und Erscheinungen blind gegenüberstehen? Mystiker, Seher und Denker aller Zeiten und beider Hemisphären haben die Existenz einer solchen Welt bezeugt.

Mit dieser Ausrüstung, die wir die Persönlichkeit nennen können, steht der Mensch die Vergangenheit hinter sich in einer chaotischen Gegenwart und vor einer Zukunft, in die er nicht blicken kann. Er kann aber nicht stehen bleiben; er muss vorwärts gehen, und all die riesigen Organisationen der Erziehung, der Wissenschaft, der Philosophie und Religion tun ihr Möglichstes, um ihm klar zu machen, welchen Weg er gehen soll, und sie bieten ihm auch Lösungen für seine Probleme.

Untätiges und Kristallisiertes zerfällt schliesslich, und wo Wachstum aufgehalten wird, werden Missbildungen vorkommen und Rückschritte zu verzeichnen sein. Jemand hat gesagt, dass die Gefahr, die wir vermeiden müssen, die einer «zerfallenden Persönlichkeit» sei. Wenn die Menschheit keine entwicklungsfähigen Anlagen mehr hat, wenn der Mensch seinen Höhepunkt erreicht hat und nicht mehr weiterkommen kann, dann sollte er diese Tatsache erkennen, seinen Abstieg beginnen und so leicht und schön als möglich untergehen. Es ist aber ermutigend, festzustellen, wie im Jahre 1850 die verschwommenen Umrisse dieser Pforte in das Neue Zeitalter unklar erkannt wurden und wie sehr sich die damaligen Denker dafür einsetzten, dass der Mensch es ja nicht versäumen sollte, seine Lektion zu lernen und vorwärts zu gehen. Lest die Worte Carlyles und beachtet, wie diese für die heutige Zeit passen:

«In den Tagen, die nun über uns hinweggehen, beginnen sogar Narren über deren Bedeutung nachzusinnen; wenige Generationen Menschen haben eindrucksvollere Tage erlebt. Tage endloser Trübsal, Zerstörung, Verschiebung, Verworrenheit schlimmster Art. ...

Wir werden viel Hoffnung notwendig haben, da der Ruin so ausgesprochen ... allgemein ist. Es muss eine neue Welt geben, wenn es eine Welt überhaupt geben soll. Dass die Menschen in Europa jemals wieder in die alten kläglichen Gewohnheiten zurückfallen und diese unentwegt und beharrlich fortsetzen können diese geringe Hoffnung besteht jetzt nicht mehr. Diese Tage allgemeinen Sterbens müssen Tage allgemeiner Wiedergeburt werden, wenn der Zusammenbruch nicht vollkommen und endgültig sein soll. Es ist eine Zeit, die den stumpfesten Menschen zur Betrachtung seines Ursprungs und seiner Bestimmung bringt». [*U8]

Wenn wir auf die siebzig oder mehr Jahre zurückblicken, seitdem Carlyle diese Worte schrieb, dann wissen wir, dass die Menschheit unbedingt Fortschritte gemacht hat. Das elektrische Zeitalter wurde eingeführt, und die Wunder wissenschaftlicher Grosstaten unserer Zeit sind uns allen bekannt. Wir können daher in dieser neuen Krise mit Optimismus und guten Mutes vorwärtsgehen, denn die Pforten in das Neue Zeitalter zeigen sich mit weit grösserer Klarheit. Vielleicht ist es auch wahr, dass der Mensch erst jetzt seine Reife erreicht und im Begriffe ist, sein Erbe anzutreten und in sich selbst Kräfte und Talente, Fähigkeiten und Neigungen zu entdecken, die ihm ein lebendiges und nützliches Menschentum und ewigen Fortbestand gewährleisten. Wir beenden nun das Stadium, in dem der Mechanismus hervorgehoben wurde, also die Gesamtsumme der Zellen, die den Körper und das Gehirn mit ihrer automatischen Reaktion auf Vergnügen, Schmerz und Gedanken darstellen. Wir wissen viel über den Menschen, die Maschine. Wir sind der mechanistischen Schule der Psychologen für ihre Entdeckungen über den Apparat, durch den ein menschliches Wesen mit seiner Umgebung in Berührung kommt, zu grossem Dank verpflichtet. Es gibt aber Menschen unter uns, Menschen, die nicht bloss Maschinen sind. Wir haben das Recht, unsere äusserste Leistungsfähigkeit und unsere potentielle Grösse an den Errungenschaften der Besten von uns zu beurteilen; diese «Grossen» sind keine «wunderlichen» Produkte göttlicher Laune oder blinden evolutionären Dranges, sondern sind selbst die Garantie für die schliessliche Vollendung des Ganzen.

Irving Babbitt bemerkt, dass es im Wesen des Menschen etwas gäbe, «das ihn von Tieren einfach dadurch unterscheide, dass er eben Mensch sei, und dass dieses Etwas von Cicero als "Sinn für Ordnung, Anstand und Mass in Taten und Worten" definiert wird». Babbitt fügt hier hinzu (und das ist der bemerkenswerte Punkt),

Netnews Homepage     Zurück     Vorwärts      Index      Inhaltsverzeichnis
Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.