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Die Seele und ihr Mechanismus, Seite 29 ff. (engl.)

Unter diesen Umständen braucht ein intelligenter Laie, selbst wenn er nicht wissenschaftlich in der Medizin oder in akademischer Psychologie ausgebildet worden, jedoch mit Geduld und einem dicken Wörterbuch ausgerüstet ist, nicht zu zögern, sich an den Gegenstand der Drüsen und ihrer Sekretionen und Wirkungen heranzuwagen und sich nach eifrigem Studium des verfügbaren Materials einen Überblick zu verschaffen und darüber zu berichten. Eine solche Übersicht mag tatsächlich für die allgemeine Öffentlichkeit dadurch von wirklichem Wert sein, dass er sie mit einem fertigen Überblick über einen wichtigen Forschungszweig versorgt. Es mag selbst für den Ausgebildeten eine wesentliche Hilfe [31] sein, nicht nur, um ihn in den Stand zu setzten, den Eindruck in Erfahrung zu bringen, den die technische Literatur auf andere macht, sondern auch besonders, weil ein neuer Denker, der nicht durch wissenschaftliche Daten behindert ist, häufig eine bessere Perspektive des gesamten Gebietes erlangt. Dies würde besonders dann der Fall sein, wenn derjenige, welcher eine solche Übersicht macht und darüber Bericht erstattet, seit langem in dem alten Glauben und den uralten Überzeugungen des Ostens über den allgemeinen Gegenstand der Psychologie erfahren ist.

Wenn ich das System der endokrinen Drüsen betrachte, habe ich nicht die Absicht, es in seinem gewöhnlichen psychologischen Begriffen und Wirkungen, wie z.B. seiner Beziehung zum Wachstum des Körpers, zum Haar, Herzen, Blut und zu den Geschlechtsorganen, zu beschreiben. All dies kann aus irgendeinem medizinischen Buch in Erfahrung gebracht werden, selbst aus denen, die im vorigen Jahrhundert veröffentlicht worden sind. Es ist vielmehr meine Absicht, das zu ermitteln, was fortgeschrittene und moderne Forscher, Mediziner und Psychologen aus einem Studium der Drüsen folgern und worin ihrem Urteil nach ihre Wirkung auf menschliches Verhalten bestehen, und die Ansprüche zu überprüfen, die so häufig erhoben werden, dass die geheimnisvollen inneren Sekretionen für die Handlungen, Emotionen und die Mentalität des Menschen - kurz gesagt, für den Menschen selbst verantwortlich sind. «Verstehen Sie die Drüsen,» sagen sie, «und Sie erblicken den Menschen.»

Wenn ich die Drüsen in diesem Sinn betrachte, werde ich grösstenteils aus den verfügbaren Büchern zitieren, nicht nur, weil es dann wahrscheinlicher ist, dass ich als jemand spreche, der Autorität besitzt, sondern auch, weil man auf diese Weise die gegebene Ansicht frischer und lebendiger reflektiert.

Diese [32] Bücher und die ausgebildeten Forscher gebrauchen insgesamt eine Terminologie, die für den allgemeinen Leser unverständlich ist. Die Sekretion der Schilddrüse ist beispielsweise als «tri-iodo-tri-hydro-exygindole-propionic acid» bezeichnet worden. Soweit wie möglich werde ich solche schwierigen Ausdrücke vermeiden.

Ehe wir die Drüsen selbst betrachten, ist es angebracht, dass wir uns darüber entscheiden, was wir unter «Psychologie» verstehen. Wenigstens im Westen hat sie, wie bereits erwähnt, ihre von dem Logos oder Gesetz, der Psyche oder Seele abgeleitete Bedeutung verloren. Eine moderne und klare Definition wurde von Leary gegeben:

«Die Wissenschaft des menschlichen Verhaltens schliesst, im weitesten Sinn des Wortes Verhalten, alles ein, was Menschen tun, was Menschen haben. In diesem Sinn des Verhaltens wird das Verhalten der ganzen integrierten Persönlichkeit erforscht.

Die Psychologie befasst sich mit dem Organismus als Ganzem, als integriertes und orientiertes Individuum im Kontakt mit anderen Individuen in einer komplizierten äusseren Umgebung, teils physisch und teils sozial, kurz gesagt, als Persönlichkeit.

Das menschliche Verhalten lässt sich, psychologisch gesprochen, auf physiologische Tatsachen und Befunde reduzieren, dann auf biologische und weiter auf biochemische, chemische und schliesslich unvermeidlich auf physikalische, die mit der Bewegung der Materie zu tun haben.» (Leary, D. B.: Modern Psychology: Normal and abnormal, S. 10, 14, 18.)

Die Psychologie ist daher die Wissenschaft der Tätigkeit des [33] Menschen als lebender Organismus, in der Umgebung, in der er sich befindet - die Wissenschaft des Wechselspiels zwischen dem Menschen und jener Umgebung. Es ist die Wissenschaft des menschlichen Benehmens aber nicht im ethischen Sinn des richtigen oder falschen Verhaltens. Es ist die Wissenschaft menschlichen Verhaltens der Persönlichkeit. Aber was liegt hinter diesem Verhalten? Hocking sagt: «Das Ich ist in der Tat ein Verhaltenssystem. Aber es ist ein System zweckbetonten Verhaltens, das aus einer beharrlichen Hoffnung hervorgeht. Das innerste Wesen des Ich's ist seine Hoffnung.» (Hocking, Wm. E.: Self, Its Body and Freedom, S. 46.)

Diese Hoffnung, dass das Leben zu etwas Grösserem gemacht werden könnte, als es je zuvor gewesen ist, ist in der Tat eine beharrliche Hoffnung - wir wissen jedoch, dass wir diese Realisation selbst herbeiführen müssen, wenn sie verwirklicht werden soll. Daher das zielbewusste Verhalten, von dem Hocking spricht.

Auf diesem Gebiet menschlichen Verhaltens und der Persönlichkeit gibt es drei Hauptfaktoren. Zunächst die Umgebung. Diese ist viel mehr als einfach eine vorhandene Tatsache oder eine Reihe von Tatsachen oder einfach eine Bühne, auf der das Drama sich abspielt. Sie ist als «alles, was nicht der Organismus ist, ob kulturell, sozial, physisch oder was sonst noch, das tatsächlich oder nachweisbar vorhanden ist,» bezeichnet worden (Leary, D. B.: Modern Psychology: Normal and abnormal, S. 45.)

Zweitens haben wir den menschlichen Apparat, besonders den Reaktionsapparat, den wir demnächst ausführlicher besprechen werden. Schliesslich haben wir Benehmen oder das Ergebnis der [34] Wechselbeziehung zwischen der Umgebung und dem Reaktionsapparat, und in einer gewissen Umgebung und mit einem gewissen Reaktionsapparat sind, wie behauptet wird, gewisse Verhaltenslinien unfehlbar das Wechselspiel dieser drei Resultate im menschlichen Verhalten.

Wir befassen uns hier naturgemäss mit dem zweiten Hauptfaktor, dem Reaktionsapparat.

In diesem Apparat rechtfertigen gewisse Aspekte des Mechanismus genauere Aufmerksamkeit als andere, nämlich das Nervensystem und das System der Hormondrüsen, die beide im menschlichen Körper in enger Zusammenarbeit funktionieren.

Durch das Nervensystem, das vielleicht der verwickeltste und wunderbarste Teil des menschlichen Gerüstes ist, kommen wir in Kontakt mit unserer Umgebung, der äusseren Welt, und sind dadurch fähig, in ihr zu funktionieren. Durch dieses System nehmen wir das Greifbare wahr, und durch das Nervennetzwerk, auch durch Rückenmark und Gehirn werden wir der Informationen gewahr, die uns ununterbrochen übermittelt werden. Botschaften werden die Millionen von Telegraphenlinien unserer Nerven entlang zum zentralen Kraftwerk unseres Gehirns geleitet und dann auf geheimnisvolle Weise zu Information umgewandelt. Auf diese Information reagieren wir. Eine entgegengesetzte Tätigkeit wird in die Wege geleitet, und wir werden zu Tätigkeit angeregt.

Zugleich mit dieser Wiedergabe hereinkommender und hinausgehender Nervenenergie gehen parallele Tätigkeiten im System der Hormondrüsen vor sich (und im Muskelsystem), und das Ineinandergreifen der Tätigkeit ist so gross, dass, wenn die Hormondrüsen [35] nicht normal funktionieren, keine hinreichende Reaktion auf die telegraphierte Auskunft erfolgt und keine Umwandlung von einem Energietyp zum anderen stattfindet.

Der ganze Reaktionsapparat und die Mechanik dieses Umstandes ist folgendermassen zusammengefasst worden:

«Ein Organismus ist eine Transformations-Vorrichtung, welche die hereinkommende Energie aus der Umgebung, die durch die Rezeptoren empfangen worden ist, in ausgehende Energie in Form von Arbeit der Muskeln und Drüsen umwandelt und gleichzeitig selbst als Transformations-Vorrichtung von innen stammende Stimuli in dieser oder anderer Art verändert, wobei beide Gruppen von Stimuli und beide Formen der Energieabgabe in vollkommener Tat oder vollkommenem Verhalten des Organismus zusammenarbeiten.» (Leary, D. B.: a. a. O., S. 33)

Das Nervensystem und die Muskeln könnten etwa als der physische Reaktionsapparat und als das Mittel, durch das physische Reaktion auf die Umgebung erfolgt, bezeichnet werden; das Nervensystem und die Hormondrüsen könnten jedoch als intelligenter und emotioneller Reaktionsapparat und als Mittel, durch das tatsächlich Reaktion zustandekommt, bezeichnet werden.

Es wird behauptet, dass dieses letztere Wechselspiel zwischen dem Apparat und der Umgebung Benehmen und Verhalten hervorruft, dass Gefühls- und Gedankentätigkeit ihren Sitz im System der Drüsen mit innerer Sekretion haben und dass sogar das Wesen eines Menschen dadurch erklärt wird!

«Es ist wahrscheinlich wahr», fährt Leary fort, «dass wir [36] schliesslich, wenn die gegenwärtige Spekulation durch angemesseneres und auf besserer Grundlage beruhendem Wissen ersetzt worden ist, den Sitz des Temperamentes in den endokrinen Hormondrüsen oder in Verbindung mit ihnen finden werden.» (Leary, D. B., a. a. O., S. 189)

Rubin sagt: «Wir kommen nun rasch zu der Überzeugung, dass alles, was wir sind, und alles, was wir je zu sein hoffen, grösstenteils davon abhängt, ob wir mit normalen Hormondrüsen geboren worden sind oder nicht.» (Rubin, H. H.: Your Mysterious Glands, (Deine geheimnisvollen Drüsen), S. 10). Leary sagt: «Die Emotionen hängen enger mit inneren Rezeptoren und ungestreiften Muskeln und endokrinen Drüsen zusammen», als mit Instinkten. (Leary, D. B.: Modern Psychology: Normal and abnormal, S. 61.)

Cobb sagt uns:

«... nur dreieinhalb Gran der Sekretion der Schilddrüse stehen zwischen Intelligenz und Schwachsinn. Es ist ein grauenhafter Gedanke, sich vorzustellen, dass das Fehlen eines chemischen Stoffes ein Versagen der Entwicklung des Denkaspektes und Körpers eines Menschen zur Folge haben kann.» (Cobb, I. G.: The Glands of Destiny, (Die Drüsen des Schicksals), S. 5)

Cobb sagt uns in seiner Einführung auch:

«Die Tätigkeit der Drüsen bei der Bestimmung des körperlichen Aufbaus ist unbestreitbar; und der mentale Horizont - die "Verhaltenskomplexe" - des einzelnen scheint von seinem physischen Wohlbefinden abhängig zu sein; und das physische Wohlbefinden hängt zweifellos von der erfolgreichen Tätigkeit und Wechselwirkung der verschiedenen Drüsensekretionen ab. ...

Obwohl wir erst am äussersten Rand des Gegenstandes sind, sind wir hinreichend fortgeschritten, um uns vorzustellen, dass, ebenso wie durch eine gewisse Anordnung der Hormondrüsen gewisse Verhaltensweisen im Körper gebildet werden, auch der [37] Denkaspekt seinen Anteil aus derselben Quelle empfängt.» (Cobb, I. G.: a. a. O., S. 3, 6.)

J. S. Huxley sagt in einem vor kurzem gehaltenen Vortrag: Es scheint klar, dass Temperament, das ein noch bedeutenderer Faktor ist als reiner Intellekt, um Erfolg zu erzielen, grossenteils eine Frage des Gleichgewichts der verschiedenen Drüsen mit innerer Sekretion - der Schilddrüse, der Hypophyse und der übrigen - ist. Es kann gut sein, dass die angewandte Psychologie der Zukunft entdecken wird, wie das Temperament abgeändert werden kann.» (Cobb, I. G.: a. a. O., S. 11, 12)

Hinsichtlich dieser Frage des Temperaments bemerkt Hocking:

«Es besteht nicht der geringste Grund dafür, an der Tatsache der starken Wirkung auf das Temperament zu zweifeln, die seitens der Drüsen mit innerer Sekretion, wie der Schilddrüse oder der interstitiellen Drüsen oder der Nebenniere, ausgeübt werden. Die Stimulierung von gewissen Drüsen oder das Einspritzen ihrer Produkte oder die Ernährung mit ihnen mag Veränderungen hervorrufen, die früher für ein Wunder gehalten worden sein würden. Durch das Eingeben von Schilddrüsenhormon mag ein Kretin zu etwas gebracht werden, was der Normalität ähnelt; wenn die Verabreichung aufhört, kehrt er zu seinem ursprünglichen Zustand zurück. Wenn die Dosierung erhöht wird, wird bedauerlicherweise weder er noch irgendjemand anders von der Normalität zum Genie emporgehoben, wir rufen nur eine andere Form von Abnormität hervor. Und bis jetzt rechtfertigen keine chemischen Entdeckungen irgendwelche aussichtsreichen Hoffnungen, den normalen Menschen zu vervollkommnen. Es gibt

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.