Netnews Homepage     Zurück     Vorwärts      Index      Inhaltsverzeichnis
Erziehung im Neuen Zeitalter, Seite 87 ff. (engl.)
einer neuen Betonung bedürfen. Ich bin bestrebt gewesen, aufzuzeigen, dass gerade jetzt eine günstige Gelegenheit da ist, denn alles muss wieder aufgebaut werden, nachdem so vieles in der Welt zerstört worden ist. Der Krieg hat uns gezeigt, dass unser Lehrwesen nicht richtig gewesen ist. Daher sollte ein besseres Erziehungswesen ausgearbeitet und die Möglichkeiten menschlichen Lebens in einer solchen Weise dargestellt werden, dass die Schranken fallen und die Vorurteile verschwinden können, und dass dem sich entwickelnden Kind eine Schulung geboten wird, die es dem Heranwachsenden später ermöglicht, mit anderen Menschen harmonisch und voll guten Willens zu leben. Das kann geschehen, wenn Geduld und Verständnis entwickelt werden und wenn die Erzieher erkennen, dass dort, «wo visionäres Erschauen fehlt, die Menschen zugrunde gehen.»

Ein internationales Erziehungssystem, das auf einer gemeinsamen Tagung von weitsichtigen Lehrern und pädagogischen Autoritäten eines jeden Landes auszuarbeiten wäre, ist heute ein überaus dringendes Erfordernis und würde für die Erhaltung des Weltfriedens ein grosser Aktivposten sein. Dahingehende Massnahmen sind bereits im Gange: Heute schon treffen sich Gruppen von Erziehern und diskutieren die Schaffung eines besseren Systems, das die Gewähr dafür bietet, dass den Kindern in allen Ländern der Welt (angefangen von den Millionen Kindern, die heute nach Bildung verlangen) die Wahrheit ohne Voreingenommenheit oder Vorurteil gelehrt wird. Die Weltdemokratie wird sich verwirklichen, wenn die Menschen tatsächlich als gleichwertig [88] angesehen werden; wenn Knaben und Mädchen gelehrt werden, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Mensch ein Asiate, ein Amerikaner, ein Europäer, ein Brite, ein Jude oder ein Heide ist, sondern nur darauf, dass jeder eine bestimmte geschichtliche Vergangenheit verkörpert, die es ihm ermöglicht, zum Wohle des Ganzen etwas beizutragen, und dass das wichtigste Erfordernis guter Wille ist und ein stetes Bemühen, rechte menschliche Beziehungen zu pflegen und zu fördern. Eine einige Welt wird zur Tatsache werden, wenn den Kindern in aller Welt gelehrt wird, dass die Religionszugehörigkeit meistens vom zufälligen Geburtsort abhängt. Wenn ein Mensch in Italien geboren ist, wird er wahrscheinlich römisch-katholisch sein; wenn er als Jude geboren ist, wird er dem mosaischen Glauben folgen; wenn er in Asien zur Welt kam, wird er wahrscheinlich ein Mohammedaner oder Buddhist sein oder einer Hindusekte angehören; und wenn er in anderen Ländern geboren ist, dürfte er wohl im protestantischen Glauben grossgezogen worden sein usw. - Der Schüler wird verstehen lernen, dass religiöse Verschiedenheiten hauptsächlich die Folge menschlicher Streitigkeiten über rein menschliche Auslegungen der Wahrheit sind. Auf diese Weise werden unsere Uneinigkeiten und Verschiedenheiten allmählich aus dem Weg geschafft werden, und die Idee der einen Menschheit wird an ihre Stelle treten.

In Zukunft muss die Auswahl und Schulung der Lehrer viel gründlicher und sorgfältiger geschehen. Ihre intellektuelle Ausbildung und ihr Fachwissen werden sicherlich von Wichtigkeit sein, aber für noch wichtiger wird man das Erfordernis halten, dass sie vorurteilsfrei sind und alle Menschen als Glieder einer grossen Familie ansehen. Der Erzieher der Zukunft wird noch viel mehr als heute ein geschulter Psychologe sein müssen. Neben dem Fachunterricht wird er seine Hauptaufgabe darin sehen, in den Schülern seiner Klasse ein echtes Verantwortungsgefühl wachzurufen; ganz gleich, welches Fach er lehren mag - Geschichte, Erdkunde, Mathematik, Sprachen, die verschiedenen Zweige der Wissenschaft oder der Philosophie -, er wird alles auf die WISSENSCHAFT RECHTER MENSCHLICHER BEZIEHUNGEN abstimmen und bestrebt sein, den sozialen Organismus in einer wahrheitsgemässen Perspektive zu zeigen.

Wenn die jungen Leute der Zukunft - bei Anwendung der vorgeschlagenen Prinzipien - zivilisiert, kultiviert und für das Weltbürgertum aufgeschlossen sind, dann wird die Welt voller Menschen sein, die aufgeweckt und schöpferisch sind, die einen richtigen [89] Sinn für Werte haben und das Weltgeschehen mit einer vernünftigen und konstruktiven Geisteshaltung verfolgen. Es wird noch manches Jahr vergehen, bis es dazu kommt, doch ist es keinesfalls unmöglich, wie es ja die Geschichte der Menschheit bewiesen hat.

Der gesunde Menschenverstand sagt uns indes, dass eine solche Integrierung nicht für jeden Schüler möglich ist, der am Unterricht unserer Lehrer teilnimmt. Alle können aber ganz unabhängig von ihren ursprünglichen Fähigkeiten in der WISSENSCHAFT RECHTER MENSCHLICHER BEZIEHUNGEN geschult und somit für das erstrebte Ziel des kommenden Erziehungswesens interessiert werden. Anzeichen dafür sind schon da und dort zu bemerken, doch wird dieser Punkt bei der Ausbildung von Lehrern oder bei der Beeinflussung der Eltern nicht genügend betont. Viel, sogar sehr viel, ist bereits von aufgeklärten Kreisen in aller Herren Länder geleistet worden; sie studierten die Erfordernisse für das Bürgerrecht, sie erforschten die rechten Sozialbeziehungen (die kommunalen, nationalen und internationalen) und beeinflussten viele Organisationen, die bestrebt sind, in den breiten Menschenmassen ein Gefühl der Verantwortung für menschliches Glück und Wohlergehen grosszuziehen. Die wirkliche Arbeit in dieser Richtung sollte indes in frühester Kindheit begonnen werden, damit das Bewusstsein des Kindes (das ja so leicht beeinflusst werden kann) gleich von vornherein eine uneigennützige Einstellung seinem Nächsten gegenüber annehmen kann. Wenn die Eltern den guten Willen dazu haben, kann diese Arbeit in sehr einfacher Weise begonnen werden; später geht man dann Schritt für Schritt weiter, wenn die Eltern und Lehrer in ihrem eigenen Leben das verwirklichen, was sie lehren. Schliesslich wird unter diesen Bedingungen eine Zeit kommen, wenn in der späteren Jugendzeit eine nötige und im voraus geplante Krise im Leben des jungen Menschen herbeigeführt wird; er wird dann in schicksalsbedingter Weise jene Beständigkeit erlangen, die es ihm ermöglicht, seine Aufgabe rechter Beziehungen durch berufliches Dienen zu erfüllen.

Jetzt muss zuerst eine Überbrückungsarbeit geleistet werden, es muss eine Brücke zwischen dem heute Bestehenden und den Möglichkeiten der Zukunft geschlagen werden. Falls es uns gelingt, in den nächsten 150 Jahren nach dieser Methode die vielen Spaltungen oder Entzweiungen in der menschlichen Familie zu überbrücken und den Rassenhass und die separatistische Einstellung der Völker und Gruppen aus der Welt zu schaffen, dann werden [90] wir eine Welt verwirklicht haben, in der Krieg eine Unmöglichkeit sein wird; die Menschheit wird erkennen, dass sie eine grosse Familie ist und nicht eine kämpfende Masse von Völkern und Gruppen, die miteinander in ständigem Konkurrenzkampf liegen, um von anderen möglichst viele Vorteile zu ergattern, und die dadurch ständig Vorurteile und Hass grossziehen. Wir haben ja gesehen, dass gerade das die Geschichte der Vergangenheit war! Der Mensch begann seine Entwicklung als ein abgesondertes Tier; zuerst nur von den Instinkten der Selbsterhaltung und des Nahrungs- und Geschlechtstriebes angetrieben, ging er dann durch die Stadien der Sippschaft, des Stammes und Volkes und ist jetzt an einem Punkt angelangt, wo er ein noch höheres Ideal begreift: das Ideal der internationalen Einheit oder der reibungslosen Zusammenarbeit der einen Menschheit. Dieser ständig wachsende Idealismus erringt immer mehr seinen ihm zukommenden Platz im menschlichen Bewusstsein trotz aller feindlich-separatistischen Tendenzen. Darauf ist zum grossen Teil das jetzt herrschende Durcheinander und das Zustandekommen der Vereinten Nationen zurückzuführen. Er hat die einander widerstreitenden Ideologien hervorgebracht, die in der Welt zum Ausdruck kommen wollen; er hat das dramatische Hervortreten der sogenannten «nationalen Erlöser», der Weltpropheten und Weltarbeiter, der Idealisten, Opportunisten, Diktatoren, Forscher und Menschenfreunde herbeigeführt. Diese einander widersprechenden und bekämpfenden Ideologien sind eine gesunde Erscheinung, ob wir nun mit ihnen einverstanden sind oder nicht. Sie erwachsen aus dem menschlichen Verlangen - einem dringenden und rechten Verlangen - nach besseren Zuständen, nach mehr Licht und Verständnis, nach besserer Zusammenarbeit, nach Sicherheit, Friede und Überfluss anstelle von Schreckensherrschaft, Furcht und Hunger.

Es fällt dem modernen Menschen schwer, sich ein Zeitalter vorzustellen, in dem das menschliche Denken frei von rassischem, nationalem und separatistisch-religiösem Bewusstsein sein wird. Dem vorgeschichtlichen Menschen fiel es ebenso schwer, sich ein Zeitalter vorzustellen, in dem das Nationalbewusstsein vorherrschen würde; und es ist gut, wenn wir uns das vor Augen halten. Die Zeit, in der es der Menschheit möglich sein wird, universell zu denken, liegt noch in ferner Zukunft; aber die Tatsache, dass wir darüber reden, es wünschen und planen können, ist sicherlich eine Gewähr dafür, dass es nicht unmöglich ist. Die Menschheit ist in ihrer Entwicklung immer von Stufe zu Stufe vorangeschritten, von einem ruhmvollen Höhepunkt zum anderen. Wir sind heute auf dem Weg zu einer viel besseren Zivilisation als die Welt sich [91] jemals geschaut hat; dieser Weg führt zu Lebensbedingungen, die eine viel glücklichere Menschheit verbürgen, die das Ende nationaler Streitigkeiten und der Klassenunterschiede (aufgrund von Geburt oder Reichtum) herbeiführen und ein volleres und reicheres Leben für alle gewährleisten werden.

Es ist natürlich klar, dass noch viele Jahrzehnte vergehen müssen, bevor eine solche Sachlage zur Tatsache wird; aber es wird sich nur um Jahrzehnte und nicht um Jahrhunderte handeln, wenn die Menschheit die Lehren aus dem Krieg ziehen kann und wenn die reaktionären und konservativen Kreise in jeder Nation daran gehindert werden können, die Zivilisation auf das alte, schlechte Geleise zurückzuleiten. Ein Anfang kann sofort gemacht werden. Einfachheit sollte unsere Losung sein, denn gerade die Einfachheit wird unserer alten materialistischen Lebensweise den Todesstoss versetzen. Zusammenwirkender guter Wille ist sicherlich die erste Idee, die den breiten Massen vor Augen gehalten und in unseren Schulen gelehrt werden sollte, um dadurch eine neue und bessere Zivilisation zu gewährleisten. Liebendes Verstehen, in intelligenter Weise zur Anwendung gebracht, sollte das Kennzeichen der kultivierten und weiseren Gruppen sein; und sie sollten auch bestrebt sein, die Welt der inneren Bedeutung mit der Welt des äusseren Bemühens in Beziehung zu bringen - zum Nutzen der breiten Massen. Weltbürgertum als Ausdruck des guten Willens und gegenseitigen Verstehens sollte überall das Ziel der aufgeklärten Menschen und das Kennzeichen des geistigen Menschen sein. Diese drei verbürgen die rechten Beziehungen zwischen Erziehung, Religion und Politik.

Alle derzeit geleistete Arbeit ist zweifellos eine Übergangsarbeit und daher äusserst schwierig; sie bedeutet ein Brückenschlagen vom Alten zum Neuen. Die damit verknüpften Schwierigkeiten wären fast unüberwindlich ohne die Tatsache, dass in den nächsten zwei Generationen solche Egos oder Seelen zur Verkörperung gelangen werden, die mit dem Problem bestens vertraut sind. Gestützt auf diese Tatsache sollten diejenigen unter euch, die sich um das heutige Erziehungswesen sorgen und sich von der Grösse des aufgezeigten Zukunftsbildes und der Aufgabe bedrückt fühlen, das Erwünschte auch nur annähernd zu verwirklichen, Vertrauen haben und zuversichtlich sein. Klares Denken, viel Liebe und ein Gefühl für einen echten Vergleich (beachtet diesen Ausdruck) werden viel dazu beitragen, um die erforderliche Grundlage zu schaffen und die Tore der Zukunft weit [92] offenzuhalten. In der Zwischenzeit findet eine ausbalancierende Entwicklung statt, und der moderne Erzieher sollte ihr die nötige Aufmerksamkeit schenken.

Vielleicht kann ich hier die Natur dieses Entwicklungsganges andeuten. Ich habe in diesem Buch und auch schon anderswo gesagt, dass sich die Seele im Körper an zwei Stellen verankert:

1. Ein Energiefaden, den wir den Lebens- oder Geistesaspekt nennen, ist im Herzen verankert. Bekanntlich benutzt er den Blutkreislauf als Verteiler; vermittels des Blutstromes trägt die Lebensenergie erneuernde Kraft und koordinierende Energie zu allen physischen Organen und hält den Körper «heil und ganz» zusammen.

2. Ein Energiefaden, den wir den Bewusstseinsaspekt oder die Erkenntnisfähigkeit der Seele nennen, ist im Kopfzentrum verankert. Er kontrolliert den Reaktionsmechanismus, den wir das Gehirn nennen; durch dieses leitet er jede Tätigkeit und veranlasst Bewusstwerdung im ganzen Körper vermittels des Nervensystems.

Diese zwei Energiefaktoren, die vom Menschen als Leben und Wissen, oder als Lebensenergie und Intelligenz erkannt werden, sind die beiden Pole im Dasein des Kindes. Die vor ihm liegende Aufgabe besteht darin, den mittleren oder ausgleichenden Aspekt bewusst zu entwickeln, nämlich Liebe oder Gruppenbeziehung, damit das Wissen dem Gruppenbedürfnis und -interesse untergeordnet und die Lebensenergie bewusst und absichtlich in die Gruppe als Ganzes gelenkt werde. Dadurch wird ein richtiges Gleichgewicht geschaffen in der Erkenntnis, dass der Weg des Dienens eine wissenschaftliche Methode zur Erzielung dieses Gleichgewichts ist. In der jetzigen Übergangsperiode sollten die Erzieher daher drei Dinge im Auge behalten:

1. Das Wissen, [93] der Bewusstseinsaspekt oder der Sinn des Gewahrseins im Kind ist so umzulenken, dass es von frühester Kindheit an begreift, dass alles ihm Gelehrte oder von ihm Gelernte mehr zum Wohle anderer als zum eigenen Nutzen zu verwenden ist. Es wird deshalb in zweckbewusster Vorausschau geschult werden. Weltgeschichts-Kenntnisse werden ihm vom Gesichtspunkt der menschlichen Bewusstseinsentfaltung und nicht, wie es heute geschieht, einfach als Tatsachen materieller oder auf Angriff eingestellter Errungenschaften beigebracht werden. Wenn das Kind zwischen Vergangenheit und Gegenwart eine wechselseitige Beziehung sehen lernt, dann wird sich auch seine Fähigkeit entwickeln, die verschiedenen Aspekte seines Lebens auf verschiedenen Ebenen systematisch zu verknüpfen, zu vereinigen und zu überbrücken.

Netnews Homepage     Zurück     Vorwärts      Index      Inhaltsverzeichnis
Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.