Netnews Homepage     Zurück     Vorwärts      Index      Inhaltsverzeichnis
Verblendung - ein Weltproblem, Seite 45 ff. (engl.)

Die Autoritätsverblendung ist in den meisten Fällen eine Massenerscheinung. Sie wurzelt in Massenpsychologie und ist eines der Anzeichen dafür, dass die Menschheit noch in den Kinderschuhen steckt; in diesem Stadium werden die Menschen vor sich selbst geschützt durch irgendwelche Vorschriften, Gesetze oder Machtworte, die von einer staatlichen Führung, von einer Oligarchie oder von der Diktatur eines Einzelnen ausgehen. Allem Anschein nach zwängt das die Menschheit in starre Formen hinein und macht ihr Leben und Wirken gleichförmig. Diese völlige Gleichschaltung wird [46] dadurch erreicht, dass man den Furchtkomplex nährt, unter dem die Menschheit zurzeit leidet; und diese Furcht ist eine der ausgiebigsten Quellen der Verblendung, die es gibt. Man könnte sie mit Recht als den Ursprung aller Verblendung auf diesem Planeten betrachten. Furcht war seit jeher die Triebfeder für die Zustände, welche die Verblendung auf der Astralebene hervorgebracht hat, jedoch nicht die Illusionen in den mentalen Bewusstseinsbereichen.

Wenn die Autoritätsverblendung sich auf das geistige Bewusstsein eines Menschen überträgt, dann ergeben sich Zustände wie z.B. die Periode der Inquisition in ihren schlimmsten Formen oder die Autorität einer Kirche, die das Hauptgewicht auf Organisation, Obrigkeit und Busse legt oder aber die unbestrittene Autorität eines Lehrers. In ihrer höchsten Ausdrucksform bedeutet sie die Anerkennung, dass der Sonnenengel (die Seele oder das Ego) das Recht hat, zu herrschen. Zwischen diesen beiden Extremen, nämlich der Kindheit der Rasse und der Seelenfreiheit einer mündig gewordenen Menschheit, liegen viele Zwischenstufen und Abarten dieser Verblendung. Was lässt sich nun im weiteren Verfolg unserer Betrachtung in bezug auf den Jünger und die besondere Art der Verblendung sagen, die ihm zu schaffen macht? Der Jünger hat sich vom Zwang orthodoxer Lehre und vom beherrschenden Einfluss eines Lehrers einigermassen freigemacht. Er ist (soweit er das beurteilen kann) frei von solcher Kontrolle. Da er aber seine wesentliche Schwäche und den Reiz der Persönlichkeit kennt, ist er vor sich selbst auf der Hut und gegen den Zwang alter Vorschriften gewappnet; er lernt mehr und mehr auf eigenen Füssen zu stehen, eigene Entschlüsse zu fassen und Wahrheit selbst zu unterscheiden. Er lernt, seinen Weg selbst zu wählen. Wie alle jedoch, die noch keine höheren Einweihungen durchgemacht haben, kann er sich (mit der Zeit) leicht in seine Freiheit verlieben und damit automatisch der Verblendung seines Freiheitsideals verfallen eines Ideales, das er selbst geschaffen hat. Er wird zum Gefangenen der Freiheit. Er verwirft jede Vorschrift ausser derjenigen, die er [47] die «Richtschnur seiner eigenen Seele» nennt, wobei er vergisst, dass sein Seelenkontakt immer noch unbeständig ist. Er beansprucht das Recht, allein zu stehen. Er schwelgt in seiner neu entdeckten Freiheit. Er vergisst dabei, dass er nach Verwerfung der Autorität einer Lehre oder eines Lehrers zunächst einmal lernen muss, die Autorität der Seele oder der Seelengruppe anzuerkennen, mit der er durch Karma, Strahl, eigene Wahl durch die unvermeidlichen Wirkungen der Einswerdung verbunden ist. Nachdem er auf den Rat eines anderen Weggenossen auf dem Pfad verzichtet hat und seine Augen teilweise geöffnet wurden, versucht er jetzt, diesen Pfad bis zum Ziel zu durchwandern, vergisst aber dabei, dass er den Pfad gemeinsam mit anderen beschreitet und dass es gewisse «Regeln für den Wanderer» gibt, die er beherrschen muss und zwar in Übereinstimmung mit anderen. Für das individuelle Gesetz hat er das Gruppengesetz eingetauscht, aber er kennt dieses Gruppengesetz noch nicht so wie er es kennen sollte. Er geht seinen Weg allein, so gut er kann und schwelgt in der Freiheit selbsterrungener Autorität. Er nimmt sich fest vor, keine Autorität oder Führung zu dulden.

Diejenigen unter uns, die ihn aus lichteren Höhen des Menschenaufstiegs beobachten können, sehen jedoch, wie er sich langsam in Nebelschwaden und in einer Verblendung verliert, die sich mehr und mehr um ihn verdichtet, während er zum «Gefangenen des Freiheitsnebels» wird und im Gefühl der Unabhängigkeit schwelgt, die er für eine Tatsache hält. Sobald er klarer sieht und sein Denkvermögen sich mehr entwickelt und entfaltet hat, wird er wissen, dass er sich dem Gesetz der Gruppe fügen wird und muss und dass lediglich die Herrschaft der niederen Natur gegen die der Seele vertauscht werden muss. Es ist die Herrschaft der Gruppe, die sich unter dem Gesetz der Gruppe auswirkt. Aus der Masse der nach dem Pfad Suchenden hat er sich zum Pfad selbst durchgekämpft. Er ist deshalb den Massen voraus, aber er ist nicht allein, selbst wenn er sich allein wähnt. Er wird viele andere entdecken, die mit ihm denselben Weg wandern und ihre Zahl wird sich im Lauf [48] der Zeit immer mehr vergrössern. Er muss lernen, sich den Regeln der Zusammenarbeit, des Zusammenwanderns und der Gruppenerkenntnis zu unterwerfen, bis er herausfindet, dass er ein Mitglied der Neuen Gruppe der Weltdiener ist und den Bedingungen und Regeln untersteht, nach denen sie arbeiten. Er lernt, mit ihnen auf dem Pfad zu reisen und dabei wird er sich allmählich der Motive und Methoden ihres gewählten Dienstes bewusst; er beginnt, ganz automatisch und natürlich, dem höheren Rhythmus zu folgen und den Gesetzen zuzustimmen, die das Gruppenleben und das Gruppenbewusstsein bestimmen. Schliesslich findet er den Eingang zu den stillen Stätten, wo die Meister der Weisheit weilen; mit Ihnen zusammen wirkt er im Gruppenrhythmus, wobei er den Gesetzen des geistigen Bereiches gehorcht, welche die subjektiven Gesetze Gottes sind.

Immer wieder wird er sich auf dem Pfad gegen eine Kontrolle auflehnen und in die Verblendung seiner vermeintlichen Freiheit zurückfallen. Tatsächlich besteht ein Freisein von der Kontrolle der Persönlichkeit. Ebenso besteht ein Freisein von der Kontrolle durch Persönlichkeiten. Es gibt aber niemals irgendein Freisein vom Gesetz des Dienens und von der ständigen wechselseitigen Einwirkung zwischen Mensch und Mensch und zwischen Seele und Seele. Wirklich frei sein heisst im klaren und ungehemmten Seelenlicht dazustehen; und das ist Gruppenbewusstsein im wahrsten und eigentlichsten Sinn.

Wenn also jemand von Ungewissheit und Unruhe geplagt wird und den Wunsch und das Verlangen hat, frei und ohne autoritären Zwang seinen Weg zu gehen, dann sehe er sich vor, dass er nicht der Verblendung unterliegt und sich etwa darnach sehnt, vom Einfluss seiner Gruppe freizuwerden; und dann prüfe er sich, ob er nicht vielleicht - als sensitive Seele - bloss einen Ausweg sucht. Ich gebrauche dabei «Ausweg» im Sinn der modernen Psychologie. Er sollte sich unbedingt erst einmal fragen: Ist meine persönliche Behaglichkeit und die Sorglosigkeit meines Denkens von solch entscheidender Bedeutung für mich und für andere, dass ich ihretwegen berechtigt bin, die Geschlossenheit der Gruppe zu opfern? [49] Ist meine eigene innere Befriedigung eine hinreichende Entschuldigung dafür, das geplante Gruppenvorhaben zu verzögern? Denn um eine Verzögerung wird es sich bestimmt handeln. Wie immer die Entscheidung ausfallen mag, sie wird ihrerseits bestimmenden Einfluss und dementsprechende Rückwirkungen auf die Gruppe haben.

Was ist dieser okkulte Gehorsam, liebe Brüder, von dem man so viel spricht? Nicht das, was viele okkulte Gruppen daraus machen. Es handelt sich nicht um die Kontrolle einer äusseren Organisation, die sich sogenannten okkulten Aufgaben widmet. Es geht auch nicht um die Befolgung von Vorschriften eines Lehrers, welchen Rang er auch einnehmen mag. Okkulter Gehorsam besteht nicht darin, dass man etwa das Gefängnis einer Ideenreihe gegen das einer anderen austauscht, die vielleicht weittragender oder bedeutsamer ist. Ein Gefängnis ist ein Gefängnis, ob es nun eine kleine Zelle ist oder eine einsame Insel von grosser Ausdehnung, von der ein Entkommen unmöglich ist.

Die Autorität, für die wir Lehrer auf der Innenseite des Lebens empfänglich sind und auf welche meine jetzigen Schüler (als Einheiten innerhalb einer Gruppe) eben zu reagieren beginnen, ist ihrem Wesen nach zweifach. Worauf reagieren sie?

1. Auf die langsam aufdämmernde Erkenntnis des «jenseitigen Lichtes», im symbolischen Sinn. Dieses Licht ist in seiner Anziehungskraft auf den Einzelnen verschieden. Trotzdem ist es EIN LICHT. Aber die Erkenntnis dieses Lichtes enthüllt neue Gesetze, neue Verantwortungen, neue Pflichten und Obliegenheiten und neue Beziehungen zu anderen. Diese sind eine unumgängliche Autorität. Keiner kann dieser Autorität entrinnen, obwohl er ihr in Zeit und Raum vorübergehend den Gehorsam verweigern darf.

2. Auf die Autorität der Vorschriften des Weges, deren Beachtung jedem obliegt, wenn er vom Probepfad auf den Pfad der Jüngerschaft übergeht. Und doch ist es EIN WEG. Auf diesem «wie eine Messerschneide schmalem Pfad» lernt man Selbstzucht und Taktgefühl und jene Wunschlosigkeit, die man gemeinsam mit seinen Mitjüngern erfährt.

Was [50] sind nun, kurz zusammengefasst, diese Wegvorschriften? Sechs der einfachsten Regeln will ich aufführen, wobei ich zu beachten bitte, dass sie nicht willkürlich von einem autoritären Direktorium aufgestellt wurden, wie etwa von mehreren Gruppenlehrern (von denen natürlich auch ich einer sein könnte), sondern dass sie vielmehr der Niederschlag von Zuständen sind, die auf dem Pfad selbst vorkommen. Sie tragen das Siegel der Vollmacht jeder individuellen Seele und sie sind das Ergebnis der Erfahrungen von Millionen von Wanderern auf diesem Pfad.

Ich will diese sechs Regeln (so wie ich sie schon einem anderen Aspiranten mitgeteilt habe) [vgl. Jüngerschaft im Neuen Zeitalter, Seite 583 - 584] in l altertümlicher und symbolischer Form wiedergeben; ich übersetze sie, so gut ich kann, aus den uralten Urkunden, die in der Halle der Weisheit aufbewahrt werden und allen ernsthaften Jüngern zur Verfügung stehen.

DIE SECHS REGELN DES PFADES

(Wegvorschriften)

I. Der Weg wird im vollen Licht des Tages beschritten; der Pfad wird erhellt durch das Licht jener, die wissen und führen. Nichts kann dann verborgen bleiben und bei jeder Biegung muss sich der Wanderer über sich selbst Rechenschaft ablegen.

II. Auf dem Weg enthüllt sich das Verborgene. Jeder sieht und weiss um die Gemeinheit eines jeden anderen. (Ich finde keine andere Übersetzung, lieber Bruder, für das alte Wort, das die bislang unerkannte Dummheit, Niedertracht und krasse Unwissenheit, den Egoismus bezeichnet, welche die besonderen Merkmale des Durchschnittsaspiranten bilden). Trotz dieser grossen Enthüllung gibt es jedoch kein Umkehren, keine gegenseitige Verachtung und kein Wanken auf dem Weg. [51] Der Weg geht vorwärts ins Tageslicht.

III. Auf diesem Weg wandert man nicht allein. Es gibt keine Hast, keine Eile. Und doch ist keine Zeit zu verlieren. Mit diesem Wissen bemüht sich jeder Pilger, vorwärts zu kommen und er findet sich von seinen Mitmenschen umgeben. Einige gehen ihm voraus; er folgt ihnen nach. Andere bleiben zurück; für sie ist er der Schrittmacher. Er wandert nicht allein.

IV. Dreierlei muss der Pilger vermeiden: Das Tragen einer Kapuze, eines Schleiers, der sein Gesicht vor anderen verbirgt; das Mitnehmen eines Wasserkruges, dessen Inhalt nur für den eigenen Bedarf genügt; und das Schultern eines Stabes ohne Krücke, an der andere sich festhalten können.

V. Jeder Pilger auf dem Weg muss das mit sich führen, was er braucht: einen Feuerbehälter, um damit seine Mitmenschen zu erwärmen; eine Lampe, die ihre Strahlen auf sein Herz richtet und seinen Mitmenschen das Wesen seines verborgenen Lebens anzeigt; eine Börse mit Gold, das er nicht auf dem Weg verstreut, sondern mit anderen teilt; ein versiegeltes Gefäss, in dem er all seine Bestrebungen trägt, um sie dem zu Füssen zu legen, der darauf wartet, ihn am Tor zu begrüssen - ein versiegeltes Gefäss.

VI. Der Pilger muss bei seiner Wanderung auf dem Weg das offene Ohr haben, die gebende Hand, die schweigende Zunge, das geläuterte Herz, die goldene Stimme, den eilenden Fuss und das offene Auge, welches das Licht sieht. Er weiss, er wandert nicht allein.

Die Machtillusion ist vielleicht eine der ersten und ernstesten Prüfungen, die ein Aspirant bestehen muss. Sie ist auch eines der besten Beispiele für diesen «grossen Irrtum» und deshalb weise ich [52] besonders auf diese Illusion hin mit der Bitte, sich dagegen besonders sorgfältig zu wappnen. Nur sehr selten entgeht ein Jünger den Wirkungen dieses Irrtumes der Illusion, denn merkwürdigerweise beruht er auf durchaus gesundem Erfolg und rechten Motiven. Daraus erklärt sich die leicht irreführende Natur des Problems. Man könnte es etwa so erklären:

Durch rechtes Bemühen gelingt es einem Aspiranten, mit seiner Seele oder seinem Ego Fühlung aufzunehmen. Durch Meditation, gute Absicht und richtige Technik, zusammen mit dem Wunsch, zu dienen und zu lieben, erreicht er Gleichschaltung. Er wird dann der Ergebnisse seiner erfolgreichen Arbeit gewahr. Sein Denken ist erleuchtet. Ein Gefühl der Macht fliesst durch seine Träger. Er empfindet und erkennt, wenigstens zeitweise, den Plan. Der Notstand in der Welt und die Fähigkeit der Seele, diesen Notstand zu lindern, durchfluten sein Bewusstsein. Seine selbstlose Hingabe und rechte Absicht verstärken den gelenkten Zustrom geistiger Energie. Er weiss. Er liebt. Er bemüht sich, zu dienen und er ist bei allen dreien mehr oder weniger erfolgreich. Das Ergebnis von all dem ist, dass er mehr vom Gefühl seiner Macht und von seiner Rolle als Helfer der Menschheit in Anspruch genommen wird als von dem Bestreben, nun einen gesunden Sinn für richtige Proportionen und für geistige Werte zu entwickeln. Er überschätzt seine Erfahrung und sich selbst. Anstatt seine Anstrengungen zu verdoppeln und dadurch

Netnews Homepage     Zurück     Vorwärts      Index      Inhaltsverzeichnis
Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.