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Die unvollendete Autobiographie, Seite 118 ff. (engl.)
an dem Morgen im Pfarrhaus ankamen, fand ich darin einen Umschlag mit zehn Dollar «für Unvorhergesehenes», die er mitgeschickt hatte, falls es mir an Bargeld mangeln sollte, und die er mir auf die Rechnung schrieb, weil er wusste, dass ich kein Almosen annehmen würde. Er bat mich auch um den Schlüssel zu unserem Briefkasten, um nach meiner Post sehen zu können. Ich fühlte mich damals und fühle mich auch heute noch tief in seiner Schuld. Ich brauchte über zwei Jahre, um seine Rechnung abzuzahlen, aber beglichen wurde sie; und jedesmal, wenn ich ihm wieder fünf Dollar anzahlte, bekam ich ein Dankschreiben von ihm, als ob ich ihm einen Gefallen getan hätte.

Abgesehen davon, dass ich in England aufgewachsen war, wo es keine antisemitische Stimmung gab, und wo das Negerproblem besser als in den Vereinigten Staaten verstanden wird, habe ich allen Grund, Angehörigen dieser beiden leidenden Minoritäten gegenüber tief dankbar zu sein. Das Problem der Neger hielt ich immer für viel einfacher und leichter lösbar als das der Juden.

Das Judenproblem habe ich von jeher für nahezu unlösbar gehalten. Ich sehe auch heute noch keinen anderen Ausweg, als den langsamen Evolutionsprozess und eine planmässige Erziehungspropaganda. Ich habe keinerlei Abneigung gegen Juden; einige meiner liebsten Freunde wie Dr. Assagioli, Regina Keller und Victor Fox sind Juden; ich liebe sie von ganzem Herzen, und sie wissen das auch. Es gibt nur wenige Menschen in der Welt, die mir so nahe stehen wie sie, ich verlasse mich auf ihren Rat und ihr Verstehen und sie enttäuschen mich nie. Ich habe offiziell auf Hitlers schwarzer Liste gestanden, weil ich während meiner Vorlesungen in verschiedenen westeuropäischen Städten die Juden verteidigt hatte. Obwohl ich mir der wundervollen Eigenschaften der Juden, ihres Beitrags zur westlichen Kultur und Wissenschaft und ihrer ausserordentlichen Begabung auf dem Gebiet der schöpferischen Künste voll und ganz bewusst bin, kann ich mir doch keine unmittelbare Lösung für dieses kritische und verwirrende Problem vorstellen.

Die Fehler liegen auf beiden Seiten. Dabei beziehe ich mich nicht auf die Fehler oder besser gesagt, das verbrecherische Benehmen, der Deutschen oder der Polen gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern. Ich meine vielmehr alle diejenigen, welche für die Juden sind und nicht gegen sie. Wir Nichtjuden wissen immer noch nicht, was wir eigentlich tun sollten, um die Juden von Verfolgung zu befreien - einer Verfolgung, die viele Jahrhunderte alt ist. Schon in der Frühzeit der biblischen Geschichte haben die Ägypter die Juden verfolgt und damit den Anfang zu einer endlosen Reihe weiterer Verfolgungen gemacht. Es fällt mir nicht leicht, meine eigenen Schlussfolgerungen darzulegen, aber ich will es trotzdem tun, in der Hoffnung, anderen damit zu helfen. Ich kann indes nur ganz kurz auf einen oder zwei Punkte eingehen, was die Betrachtung von vornherein unzulänglich macht.

Diese ständige und unaufhörliche Verfolgung muss doch irgendeinen tieferen Grund haben, der die Unbeliebtheit der Juden erklärt. Worum könnte es sich dabei handeln? Dieser tiefere Grund beruht wahrscheinlich auf bestimmten Rasseneigenschaften. Man beklagt sich (und häufig mit Recht) darüber, dass die Juden die Atmosphäre in jedem Bezirk, wo sie wohnhaft werden, negativ beeinflussen. Sie hängen ihr Bettzeug und ihre Kleider vor den Fenstern auf. Sie leben auf der Strasse und sitzen gern in Gruppen auf dem Bürgersteig. Die Juden waren aber jahrhundertelang Zeltbewohner und mussten so leben, und möglicherweise reagieren sie immer noch auf diese ererbten Gewohnheiten. Man beklagt sich darüber, dass, sobald ein Jude in einer Gruppe oder Geschäftsorganisation Zugang findet, es nicht lange dauert, bis er seine Schwestern und Neffen, seine Onkel und Tanten ebenfalls mit hineinbringt. Die Juden mussten sich aber angesichts ihrer jahrhundertelangen Verfolgung von je her eng aneinander schliessen. Es wird behauptet, dass der Jude rein materialistisch eingestellt sei, dass der allmächtige Dollar ihm mehr bedeute als alle sittlichen Werte, und dass er stets schnell und geschickt dazu bereit sei, die Nichtjuden zu übervorteilen. Die jüdische Religion legt aber wenig Wert auf Unsterblichkeit oder auf das Fortleben nach dem Tod, und das weiss ich, weil ich dieses Problem mit jüdischen Theologiestudenten besprochen habe. Warum sollten sie dem Leben also nicht im materiellen Sinn das Beste abgewinnen? Lasst uns essen und trinken und weltliche Güter erwerben, den morgen sind wir tot. All das ist verständlich, aber es fördert keine guten Beziehungen.

Im Lauf meiner Studien, Betrachtungen und Nachforschungen sind mir gewisse Gedanken klar geworden, die - wenigstens für mich - eine teilweise Antwort enthalten. Der Jude klammert sich an eine Religion, die im Grund überlebt ist. Erst kürzlich legte ich mir die Frage vor, welcher Teil des Alten Testaments es verdient, beibehalten zu werden. Vieles darin ist erschreckend und grausam und wird nach den hiesigen Gesetzen nur deshalb zum Postversand zugelassen, weil es als biblische Literatur gilt. Ich kam zu dem Schluss, dass die Zehn Gebote beibehalten werden sollten, dazu ein oder zwei biblische Geschichten, wie die Liebe Davids und Jonathans, der 23ste, 91ste und ein paar weitere Psalmen, und ungefähr vier Kapitel aus dem Buch des Propheten Jesaja. Alles andere war in der Hauptsache nutzlos und unerwünscht, und vieles davon nährte nur den Nationalstolz des Volkes. Was zwischen dem orthodoxen Juden und der Masse aller Andersgläubigen steht, sind seine religiösen Verbote, denn der jüdische Glaube ist grösstenteils eine Religion des «Du sollst nicht». Was das Denken der Allgemeinheit über den unorthodoxen und jüngeren Juden beeinflusst, ist sein Materialismus, dessen Symbol Shakespeares Shylock ist.

Während ich diese Worte niederschreibe, bin ich mir ihrer Unzulänglichkeit und teilweisen Ungerechtigkeit bewusst, und doch treffen sie im Sinn einer grossen Verallgemeinerung durchaus zu, wenn auch ihre Anwendung auf den einzelnen Juden in vielen, vielen Fällen äusserst ungerecht wäre. Der Jude und der Deutsche haben vieles gemeinsam. Der Deutsche betrachtet sich als Mitglied einer «Herrenrasse», während der orthodoxe Jude sich für einen Vertreter des «auserwählten Volkes» hält. Der Deutsche legt Wert auf «Rassenreinheit» und das haben die Juden schon von altersher getan. Der Jude scheint sich nie assimilieren zu können. Ich habe Juden in Asien, in Indien, in Europa und hier in Amerika angetroffen, und sie sind immer noch Juden, die sich trotz der erworbenen Bürgerrechte vom Volk abgesondert halten, in dessen Mitte sie leben. In Grossbritannien oder in Holland schien mir das nicht der Fall zu sein.

Die Juden sind von anderen Völkern oft abscheulich behandelt worden; das beklagen viele von uns aus tiefstem Herzen und wir bemühen uns eifrig, Abhilfe zu schaffen. Ein erschwerender Umstand zeigt sich heute auf seiten der Juden selbst. Ich persönlich habe noch keine Juden angetroffen, die zugeben würden, dass es möglicherweise Fehler und Provokation auf ihrer Seite geben könnte. Sie stellen sich immer auf den Standpunkt, dass sie die Verunglimpften sind, und das jenes ganze Problem gelöst werden könnte, wenn die Christen die richtigen Massnahmen träfen. Viele Tausende von uns versuchen, die richtigen Massnahmen zu treffen, aber wir stossen dabei auf wenig Bereitschaft von seiten der Juden.

Meine Leser werden mir diese Abschweifung hoffentlich verzeihen, aber die Erinnerung an Mr. Jacob Weinberg, der mir so viel Freundschaft erwies, brachte mich auf das Thema, das mir sehr am Herzen liegt.

Walter und ich standen nun vor der Frage, was wir tun sollten. Ich wusste, dass Walters Geschick im wesentlichen in meiner Hand lag. Wenn ich ihn dazu bringen könnte, sich besser zu benehmen und mich mit normalem Anstand zu behandeln, würde sich der Bischof schliesslich bemühen, ihm eine neue Pfarrstelle in einer anderen Diözese zu beschaffen, in der seine Vergangenheit ihn nicht belasten würde, obwohl der Bischof dieser Diözese natürlich über alle Einzelheiten unterrichtet werden müsste. Ich weiss noch genau, wie ich eines Abends Walter die Situation klipp und klar vor Augen führte, nachdem ich mit dem Bischof eine lange Unterredung gehabt hatte. Ich machte ihm klar, dass sein Schicksal in meiner Hand lag und dass er klug daran täte, mich nicht länger zu misshandeln. Ich sagte ihm, dass ich jederzeit die Scheidung von ihm erlangen könnte und dazu bloss den Arzt, der mich bei Ellisons Geburt behandelt und mich am ganzen Körper verbeult gesehen hatte, als Zeugen zu nehmen brauchte. Diese Drohung war vom Standpunkt der Episkopalkirche aus sehr ausschlaggebend. Seine Priesterlaufbahn wäre damit beendet gewesen. Er war ein stolzer Mensch, und das erregte öffentliche Aufsehen berührte ihn so stark, dass er von dem Tag an keinen Finger mehr gegen mich erhob. Er schmollte, sprach tagelang nicht mit mir und überliess mir fast alle Arbeit, aber ich hatte keinen weiteren Grund, mich vor ihm zu fürchten.

Wir bezogen eine elende Hütte mit drei Zimmern, tief in der Wildnis, nicht weit von Pacifice Grove, und ich fing an, Hühner zu halten, um mir durch den Verkauf von Eiern etwas Bargeld zu verschaffen. Ich musste bald feststellen, dass damit nicht viel Geld zu verdienen ist, es wäre denn, dass man die Hühnerzucht in sehr grossem Stil betreibt - und dazu gehört Kapital. Hennen sind solch alberne Dinger; sie haben solch alberne Gesichter und solch dämliche Angewohnheiten; sie entbehren jeglicher Intelligenz; das einzig Interessante bei der Hühnerzucht ist die Suche nach Eiern, und das ist eine schmutzige Arbeit. Es gelang mir aber, die Familie zu ernähren, denn die Bude kostete nur acht Dollar pro Monat, obwohl sie nicht einmal das wert war.

Mein damaliges Leben war vollkommen eintönig, - es beschränkte sich auf die Betreuung von drei kleinen Kindern, einem mürrischen Ehemann und mehreren hundert blöden Hühnern. Wir hatten weder ein Badezimmer noch eine Innentoilette im Haus. Schon das Sauberhalten der Kinder und der Wohnung war ein Problem. Wir hatten fast kein Geld, und die Rechnung des Kolonialwarenhändlers wurde zum Teil mit Eiern bezahlt, die er immer annahm, weil er mein Freund war. Gewöhnlich ging ich mit einem Schubkarren in die Wälder der Umgebung, um Brennholz zu sammeln, wobei die Kinder hinter mir herzottelten. Ich kann also nicht behaupten, dass es eine angenehme Zeit war. Wiederum finde ich nichts Amüsantes dabei. Sie erschien mir wie eine ganz neue Inkarnation, und der Gegensatz zwischen diesem eintönigen Dasein einer Hausfrau und Mutter, Hühnerzüchterin und Gärtnerin einerseits und meinem früheren, reichen Leben als junges Mädchen und meinem erfüllten Leben als Evangelistin andererseits war so stark, dass ich schliesslich allen Mut verlor.

Ich kam mir vollkommen nutzlos vor; ich musste mich irgendwie vom rechten Weg abgewendet haben, denn sonst wäre ich doch nicht in eine solche Lage geraten. Der alte, christliche, «elende Sünder»-Komplex überwältigte mich vollends. Mein durch die strenggläubige Theologie krankhaft beeinflusstes Gewissen sagte mir immer wieder, das wäre die Strafe für meine nagenden Zweifel; wenn ich an meinem Kinderglauben und meiner damaligen Gewissheit festgehalten hätte, dann würde ich mich nicht in dieser Klemme befinden. Die Kirche hatte mich enttäuscht, weil Walter dazu gehörte, und die anderen Geistlichen, die ich kennengelernt hatte, waren auch sehr mittelmässige Menschen, mit Ausnahme des Bischofs. Er war ein Heiliger, aber ich sagte mir, er würde sowieso ein Heiliger gewesen sein, selbst wenn er zufällig Klempner oder Börsenmakler gewesen wäre. Ich wusste genug von der Theologie, um meinen Glauben an theologische Auslegungen zu verlieren und ich fühlte, dass mir nichts davon übrig blieb, als ein unbestimmter Glaube an Christus, der mir zu dieser Zeit sehr weit entfernt schien. Ich fühlte mich von Gott und der Welt verlassen.

Dazu möchte ich bemerken, dass ich keinen Zweifel darüber hege, dass die Kirche ein verlorenes Spiel treibt, wenn sie ihre Methoden nicht ändert. Ich kann gar nicht verstehen, wieso die Männer der Kirche nicht mit der Zeit gehen. Alle evolutionäre Entwicklung auf jedem Gebiet ist ein Ausdruck des Göttlichen, und die statische Bewegungslosigkeit theologischer Auslegung steht im Widerspruch zum grossen Universalgesetz der Evolution. Letzten Endes ist die Theologie doch bloss des Menschen Auslegung und Verständnis dessen, was er für Gottes Ansicht hält. Es ist aber ein menschliches, begrenztes Gehirn, welches das Denken besorgt und es von altersher besorgt hat. Es können also auch andere, menschlich begrenzte Gehirne auftreten und andere, tiefere und sinnvollere oder umfassendere Auslegungen aufzeigen und damit eine fortschrittlichere Theologie begründen. Wer will behaupten, dass sie nicht ebenso recht haben wie ihre Vorgänger? Wenn die Kirchen ihr Gesichtsfeld nicht erweitern, wenn sie ihre Streitigkeiten wegen unwesentlicher Einzelheiten nicht beilegen und wenn sie nicht einen auferstandenen, lebendigen und liebenden Christus, anstatt eines toten, leidenden und einem zornigen Gott zum Opfer gebrachten Christus predigen, dann werden sie die Gefolgschaft der kommenden Generation verlieren - und das mit Recht. Christus lebt, siegreich und stets gegenwärtig. Wir sind durch sein Leben erlöst. Den Tod, den er gestorben, können auch wir siegreich sterben, so steht es in der Bibel. Die Kirchen werden bei ihren theologischen Seminaren anfangen müssen. Ich habe eine theologische Schulung durchgemacht und weiss, worum es sich handelt. Intelligente junge Leute werden nichts von Seminaren wissen wollen, in denen man sie veraltete Sinndeutungen für etwas lehrt, das sie als lebendige Wahrheiten anerkennen. Sie haben kein Interesse an der jungfräulichen Geburt - sie interessieren sich für die Tatsache Christi. Sie wissen zuviel, um den wörtlichen Sinn der Heiligen Schriften anzunehmen, aber sie sind bereit, an das Wort Gottes zu glauben. Das Leben ist heute so voller Bewegung, voller Helden, voller Schönheit, voller Trauerspiele und Katastrophen

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.