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Die unvollendete Autobiographie, Seite 86 ff. (engl.) |
und wagte nicht, irgend jemand um Rat zu fragen.
Im Jahr 1906 begann mein körperlicher Zusammenbruch. Die Kopfschmerzen, unter denen ich immer schon gelitten hatte, wurden schlimmer und rieben mich vollkommen auf. Drei Faktoren waren an meinem Zustand schuld. Erstens einmal hatte ich mir Verantwortung aufgeladen, die für meine Jahre viel zu schwer waren, und zweitens litt ich unter akuten psychischen Störungen. Wenn im Rahmen meiner Tätigkeit irgend etwas Schlimmes passierte oder Schwierigkeiten auftraten, dann dachte ich immer, es sei meine Schuld. Ich hatte noch nicht gelernt, dass der einzige Misserfolg der ist, dass man sich als geschlagen betrachtet und damit die Fähigkeit verliert, weiterzumachen. Was mich jedoch am meisten bekümmerte, war der scheinbare Verlust von all dem, was meinem inneren Leben Halt gegeben hatte. Ich hatte mein ganzes Leben auf die Worte des Apostels Paulus gegründet: «Ich weiss, an wen ich glaube, und ich bin gewiss, er kann mir bewahren, was ich ihm anvertraut habe, bis zu jenem Tag». (Vgl. 2. Tim. 1, 12) Ich war aber nicht einmal mehr sicher, ob es überhaupt einen jüngsten Tag geben würde; ich war mir durchaus nicht sicher, was ich eigentlich Christus anvertraut hatte; ich zweifelte an allen Tatsachen, von denen ich bis dahin überzeugt gewesen war. Die einzige Tatsache, die ich niemals angezweifelt habe und deren ich ewig gewiss bin, ist die Tatsache Christi selber. Ich weiss, an wen ich geglaubt habe. Diese Tatsache hat die Probe bestanden und sie beruht nicht mehr auf Glauben, sondern auf Wissen. Christus lebt. Er ist «der Meister aller Meister, und der Lehrer der Engel wie der Menschen». Abgesehen von dieser unwandelbaren Tatsache, war jedoch die gesamte Gedankenwelt meines Lebens und meine Einstellung zur abgedroschenen Theologie meiner Mitarbeiter im tiefsten Grund erschüttert, und das blieb so bis zum Jahr 1915. Zu meinem Unglück kam als dritter Grund für meinen körperlichen Zusammenbruch die Tatsache hinzu, dass ich mich in einen sogenannten «gentleman ranker» verliebte, d.h. in einen jungen Mann, der trotz guter Schulbildung als Soldat ohne Rang, in einem Husarenregiment diente. Ich hatte mir schon oft eingebildet, verliebt zu sein. Ich erinnere mich gut an einen Major in einem gewissen Regiment (heute ist er ein berühmter General), der mich heiraten wollte. Das war eine spassige Geschichte. Ich hatte mir in einem indischen Lager die Masern geholt und wurde als Hauspatient von einem Krankenhaus für Eingeborene aus behandelt, das unter Leitung englischer Ärzte stand. Man stellte Masern fest und isolierte mich in einem Landhäuschen innerhalb des Lagers - zusammen mit meinem Hausdiener, der nachts im Gang vor meiner Tür schlief. Eine untadeligere Anstandsdame konnte ich mir nicht denken. Drei Ärzte und dieser Major verbrachten den Abend mit mir, und ich sehe uns noch heute um den Tisch mit der Lampe herumsitzen. es war Winter, Dr. X. stützte seine Füsse auf dem Kaminsims, während er die Zeitung las, ein anderer Doktor und der Major spielten Schach und ich, in meinem gefleckten Zustand, war eifrig am Nähen. Der Major wurde mir später von einer kleinen Gouvernante weggestohlen, was für mich nicht gerade schmeichelhaft war, und einer der Ärzte hegte mehrere Jahre lang eine hoffnungslose Liebe für mich. Er verfolgte mich sogar von Indien bis nach Hause in Schottland, sehr zu meinem Entsetzen und zur Überraschung meiner Familie, die einfach nicht verstand, warum jemand so sehr an mir hängen konnte. Andere Männer hatten sich ebenfalls für mich interessiert, aber nicht ein einziges Mal hatte ich mich ernstlich verliebt, bis ich Walter Evans kennenlernte. Er sah ausserordentlich gut aus. Er war sehr klug, äusserst gebildet und liess sich durch meine Bemühungen gründlich bekehren. Hätte meine damalige Stellung nicht im Weg gestanden, so wäre uns nur das finanzielle Problem geblieben; aber das Haupthindernis lag in der Annahme (die auch zutraf), dass die in den ,Sandes' Soldatenheimen tätigen Damen von solch aristokratischer Herkunft seien, dass die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit ihrer Verheiratung mit einem Soldaten einfach nicht in Frage kam. Das klar umgrenzte Kastensystem Grossbritanniens unterstützte diese Annahme. Sie durften und konnten sich einfach nicht in einen gemeinen Soldaten verlieben, und taten es auch in der Regel nicht. Ich stand deshalb nicht nur vor einem persönlichen Problem, denn Walter Evans war mir sozial nicht gleichgestellt, sondern ich vernachlässigte auch meine Arbeit und machte es den anderen dadurch um so schwerer. Ich war ganz verzweifelt. Ich kam mir vor wie ein Verräter. Mein Herz zog mich nach einer Richtung und mein Kopf sagte dazu ganz entschieden "Nein"; ich war so krank und elend, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Es fällt mir wirklich schwer, über die nächste Periode meines Lebens zu sprechen und den Staub der darauffolgenden Jahre wieder aufzuwirbeln. Man hatte mich zu würdiger Zurückhaltung erzogen; meine Arbeit in den Sandes Soldatenheimen hatte mich gelehrt, nicht von mir selbst zu sprechen. Auf alle Fälle widerstrebt mir das, besonders so etwas wie mein Leben in Verbindung mit Walter Evans. Während der letzten zwanzig Jahre hatte ich sehr viel Zeit damit verbracht, den vertraulichen Mitteilungen sorgenvoller und geprüfter Menschen zuzuhören. Oft war ich höchst erstaunt über die intimen Einzelheiten, die sie mir scheinbar mit grossem Vergnügen anvertrauten. Diese Nichtbeachtung der Regeln, die für persönliche Mitteilungen gelten sollten, habe ich nie verstehen können, und deshalb fällt es mir auch schwer, diese Selbstbiographie zu schreiben. In einer heissen Nacht in Lucknow konnte ich nicht einschlafen. Ich ging in meinem Zimmer auf und ab und fühlte mich völlig niedergeschlagen. Ich ging auf die breite Veranda hinaus, die von blühenden Bougainvillias umkränzt war, fand dort aber nur Moskitos. Ich kehrte in mein Zimmer zurück und stand einen Augenblick vor meinem Frisiertisch. Plötzlich wurde mein Zimmer von einem breiten, glänzenden Lichtstrahl getroffen, und ich vernahm die Stimme des Meisters, der damals zu mir gekommen war, als ich fünfzehn Jahre alt war. Diesmal sah ich ihn nicht, sondern ich stand in der Mitte des Zimmers und hörte zu, was er zu sagen hatte. Er sagte, ich sollte mir keine unnötigen Sorgen machen; man habe mich beobachtet und ich täte, was er von mir erwartete. Er sagte mir, dass alles im voraus geplant sei und dass das Lebenswerk, das er mir früher angedeutet hatte, beginnen würde, aber in einer Weise, die ich nicht erkennen würde. Er bot mir keine Lösung für irgendeines meiner Probleme an und sagte mir auch nicht, was ich tun sollte. Das tun die Meister nie. Sie sagen niemals einem Jünger, was er tun, wohin er gehen oder wie er sich in einer gegebenen Situation verhalten solle, allem Unsinn, den nette und wohlmeinende Schwärmer behaupten mögen zum Trotz. Ein Meister steht an führender Stelle, hat viel zu tun und seine Aufgabe besteht in der Lenkung der Welt. Er rennt nicht umher und verschwendet keine süss-freundlichen Redensarten an durchaus mittelmässige Menschen, die keinerlei Einfluss besitzen und deren Fähigkeit, zu dienen, noch unentwickelt ist. Ich erwähne das, weil eine falsche Vorstellung berichtigt werden muss, die schon eine Menge sehr ordentlicher Leute in die Irre geführt hat. Wir lernen Meister zu sein, indem wir unsere eignen Probleme meistern, unsere eigenen Fehler berichtigen, einige der Lasten der Menschheit auf uns nehmen und uns dabei selbst vergessen. Der Meister sprach mir in jener Nacht keinen Trost zu, er machte mir keine Komplimente und gab mir auch keine netten Redensarten mit auf den Weg. Er sagte genau genommen: Das Werk muss fortschreiten. Vergiss, das nicht. Bereite dich auf die Arbeit vor. Lass dich von den äusseren Umständen nicht irreführen. Zugunsten von Walter Evans muss ich sagen, dass er sich ausserordentlich gut benahm. Er verstand die Situation und tat sein Bestes, sich selbst im Hintergrund zu halten und mir alles so leicht zu machen, wie er nur konnte. Zu Beginn der heissen Jahreszeit ging ich mit Miss Schofield nach Ranikhet, und dort kam die ganze Angelegenheit zwischen mir und Walter Evans zu einer entscheidenden Aussprache. Es war ein anstrengender Sommer gewesen. Wir hatten das neue Heim eröffnet, und ich hatte mich während der ganzen Zeit durchaus nicht wohl gefühlt. Walter Evans war mit seinem Regiment ebenfalls dorthin gekommen, und da es ein Kavallerieregiment war, widmete er sich zusammen mit einigen Kameraden der Aufgabe, mich zu einer etwas besseren Reiterin zu machen, als ich damals war. Miss Schofield hatte beobachtet, was da vor sich ging. Wir standen uns beide sehr nahe, und es war ein Glück für mich, sie zur Freundin zu haben. Sie kannte mich gut und vertraute mir restlos. Gegen Ende der Saison und nachdem die Monsune vorüber waren, sagte sie mir eines Tages, das Heim würde innerhalb einer Woche geschlossen, und sie würde mich inzwischen dort allein lassen, obwohl sie wusste, dass sich Walter Evans dort aufhielt und ich ganz allein im Haus sein würde. Am Tag vor meiner Abreise von Ranikhet liess ich Walter Evans kommen und sagte ihm, das Ganze sei unmöglich, ich würde ihn nie wiedersehen und mich auf immer von ihm verabschieden. Er nahm meine Entscheidung hin, und ich kehrte ins Flachland zurück. Dort angelangt, brach ich vollkommen zusammen. Ich war am Ende meiner Kräfte durch Überarbeit, anhaltende Kopfschmerzen schlimmster Sorte und dazu war noch obendrein diese Liebesaffäre gekommen. Ich hatte einfach nicht die Fähigkeit, leicht im Sattel zu sitzen. Das war schon von jeher so, obwohl ich wirklichen Sinn für Humor habe, der mich oft im Leben rettete. Ich habe das Leben und seine Umstände immer sehr ernst genommen und ein sehr intensives Gedankenleben geführt. Ich habe das Gefühl, dass ich in einem früheren Leben den Meistern gegenüber schwer versagt habe. Ich erinnere mich nicht, was ich dabei im einzelnen tat, aber ich habe stets ein tiefes Gefühl gehabt, dass ich ihn in diesem Leben niemals im Stich lassen dürfte und seine Erwartungen erfüllen müsste. Auf welche Weise ich in der Vergangenheit versagte, hat nichts zu bedeuten, aber heute darf ich nicht versagen. Ich habe mich von jeher über den Unsinn geärgert, den manche Leute über ihre «Rückerinnerung an ihre früheren Inkarnationen» reden. Ich bin in dieser Hinsicht äusserst skeptisch. Ich glaube, dass die verschiedenen Bücher, die über die früheren Leben prominenter Okkultisten veröffentlicht worden sind, lebhafte Einbildungskraft beweisen, dass sie unwahr sind und die Allgemeinheit irreführen. In dieser Überzeugung bin ich durch die Erfahrung bestärkt worden, dass mir im Verlauf meiner Tätigkeit Dutzende von Maria Magdalenen und Julius Caesaren und anderen wichtigen Leute ihre wunderbare Identität eingestanden haben, obwohl sie in diesem Leben ganz gewöhnliche, uninteressante Menschen waren. Diese berühmten Leute scheinen seit ihrer letzten Inkarnation arg heruntergekommen zu sein und das erregt bei mir Zweifel an der Evolution. Auch glaube ich nicht, dass die Seele im langen Zyklus ihrer Erfahrung sich daran erinnert oder sich überhaupt etwas daraus macht, welche Form sie bewohnt oder was sie vor zweitausend, vor achthundert, oder vor einhundert Jahren getan hat, ebensowenig wie meine gegenwärtige Persönlichkeit keine blasse Ahnung mehr und auch kein Interesse daran hat, was ich um 15.45 Uhr am Nachmittag des 17. November 1903 machte. Ein einziges Leben ist wahrscheinlich von keiner grösseren Bedeutung für die Seele, als für mich fünfzehn Minuten im Jahr 1903. Sicherlich kommt mal gelegentlich ein Leben, das sich dem Gedächtnis der Seele besonders einprägt, genauso, wie es in unserem jetzigen Leben Tage gibt, die unvergesslich bleiben, aber es sind ihrer nur wenige. Ich weiss, dass ich heute das bin, wozu mich viele Leben und viele bittere Erfahrungen gemacht haben. Ich bin sicher, dass die Seele - wenn sie ihre Zeit damit vergeuden wollte - sich ihrer vergangenen Inkarnationen erinnern könnte, denn die Seele ist allwissend, aber was würde das schon nützen? Es käme dabei doch nur eine andere Form von Ich-Bezogenheit heraus. Im übrigen wäre es bloss eine traurige Geschichte. Wenn ich heute irgendwelche Weisheit besitze und wenn irgendeiner von uns die gröberen Fehler des Lebens zu vermeiden weiss, dann liegt das daran, dass wir durch härteste Erfahrung gelernt haben, die betreffenden Fehler nicht zu wiederholen. Von unserem gegenwärtigen, geistigen Standpunkt aus ist unsere Vorgeschichte wahrscheinlich nichts anderes als ein schmachvolles Sündenregister. In der Vergangenheit haben wir gemordet, wir haben gestohlen, wir haben verleumdet und waren voller Selbstsucht; wir haben unsere Mitmenschen unehrlich behandelt, wir waren lüstern, wir haben betrogen und die Treue gebrochen. Wir haben jedoch den Preis dafür gezahlt, denn das grosse Gesetz, das Paulus in die Worte kleidet, «was der Mensch sät, wird er ernten» (Gal. 6, 7), - wirkt unerbittlich und wird ewig gültig bleiben. Heute tun wir eben so etwas nicht mehr, weil der Preis, den wir dafür zahlten, uns nicht zusagte, aber bezahlt haben wir ihn bestimmt. Ich denke es ist Zeit, dass die albernen Idioten, die so viel Zeit und Mühe verschwenden, um ihre früheren Inkarnationen ins Gedächtnis zurückzurufen, sich endlich darüber klar werden, dass wenn sie sich nur ein einziges Mal so sehen würden, wie sie damals wirklich waren, sie für immer schweigen würden. Wer ich auch gewesen sein und was ich auch in einem früheren Leben getan haben mag, ich weiss bestimmt, dass ich versagte. Einzelheiten sind unwesentlich, aber die Furcht vor dem Versagen steckt tief in mir und beeinflusst mein Leben. Daraus erhellt sich der ausgesprochene Minderwertigkeitskomplex, unter dem ich leide, den ich aber im Interesse meines Werkes zu verbergen trachte. Mit grosser Entschiedenheit und mit einem Gefühl inneren Heldentums gelobte ich mir also, ledig zu bleiben und versuchte, meine bisherige Tätigkeit fortzusetzen. Dazu fehlte mir jedoch trotz aller guten Absichten die nötige Schwungkraft. Ich war zu krank dazu. Miss Schofield beschloss deshalb, mich nach Irland |
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Last updated Saturday, February 14, 1998 © 1998 Netnews Association. All rights reserved. |