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Die unvollendete Autobiographie, Seite 41 ff. (engl.) |
Mystiker und Okkultisten hinzufügen, deren Glaubwürdigkeit häufig in Frage
steht. Ich geniesse eine ziemlich anerkannte Stellung als intelligente, normale
Frau, als tüchtige Organisationsleiterin und schöpferische Autorin und habe mich
entschlossen, mein tatsächliches Wissen und meine Überzeugung dem Zeugnis
beizufügen, das viele andere seit altersher abgelegt haben.
Während dieser ganzen Zeit befasste ich mich mit guten Werken. Ich betätigte mich mit grossem Eifer im Christlichen Verein junger Mädchen. Trotz meiner Jugend durfte ich an den Ausschuss-Sitzungen der Organisation teilnehmen, weil meine Tante die Vorsitzende war. Ich verbrachte viel Zeit mit dem Besuch grosser Hausgesellschaften, wo ich als Alice La Trobe-Bateman leichten Zutritt hatte und wo ich mit den Seelen meiner Zeitgenossen rang, um sie zu erlösen. Das Erlösen von Seelen verstand ich gut, aber heute - vom Standpunkt grösserer Einsicht in weltliche Dinge - kommt mir oft der Verdacht, dass sie sich vielleicht nur deshalb so schnell erlösen liessen, um mich loszuwerden, denn so hartnäckig und ernsthaft ging ich dabei zu Werke. Gleichzeitig vertiefte sich die mystische Neigung meines Lebens; Christus war mir eine immer gegenwärtige Wirklichkeit. Manchmal machte ich mich auf in die schottische Heide oder wanderte allein durch die Orangenhaine von Menton in Südfrankreich oder über die Hügel von Montreux am Genfersee in dem Bemühen, Gott zu erfühlen. Dann lag ich vielleicht auf einer Wiese oder neben einem Felsen und versuchte, auf die Stille um mich herum zu lauschen und die eine Stimme zu hören - nachdem ich die vielen Stimmen der Natur und in mir selbst zum Schweigen gebracht hatte. Ich wusste, dass hinter allem, was ich sehen und berühren konnte, ein Etwas lag, was nicht sichtbar war, aber was man fühlen konnte und was wirklicher und in wahrem Sinn wesentlicher war, als das Greifbare. Ich war im Glauben an einen Transzendenten Gott erzogen worden, der ausserhalb seiner erschaffenen Welt weilt, unerforschlich, unvoraussehbar, oft grausam (nach den Berichten des Alten Testaments zu urteilen), der nur diejenigen liebte, die ihn anerkannten und annahmen, und der seinen einzigen Sohn tötete, damit Leute wie ich gerettet würden und vor ewiger Verdammnis bewahrt blieben. Innerlich lehnte ich diese Darstellung eines liebenden Gottes ab, nahm sie aber automatisch an. Aber er war weit weg, fern und unnahbar. Trotzdem drängte immer wieder etwas Unbestimmbares und Unerklärliches in mir nach dem immanenten Gott, nach dem Gott im Hintergrund aller Erscheinungsformen, der sich überall antreffen und berühren und wirklich erkennen lässt, der alle Wesen - ob gut oder böse - wahrhaft liebt und der sie und ihre Beschränkungen und Schwierigkeiten versteht. Dieser Gott war durchaus nicht die ungeheure und erhabene Gottheit, vor der sich die christliche Kirche in Ehrfurcht neigte. Im theologischen Sinn gab es jedoch niemand dergleichen. Da gab es nur einen Gott, der besänftigt werden musste; der eifersüchtig auf seinen Rechten bestand; der seinen eigenen Sohn im Verfolgen eines unlogischen Plans zur Erlösung der Menschheit morden konnte und der kaum so freundlich war, wie ein gewöhnlicher Durchschnittsvater zu seinen Nachkommen. Das waren Gedanken, die ich als sündig und unwahr von mir abwies, die aber heimlich und hinter den Kulissen an mir nagten. Immer aber stand Christus im Hintergrund. Ihn kannte ich; er plagte und härmte sich um der Menschen willen; er litt Todesqualen, um sie zu erlösen, aber da ihm das nicht in grossem Umfang zu gelingen schien, so musste er beiseite stehen und zusehen, wie sie zur Hölle gingen. Damals war mir all das allerdings nicht jederzeit so klar vor Augen; ich selbst war erlöst und froh darüber. Ich arbeitete angestrengt, um andere zu erlösen, fand es bedauerlich, dass Gott eine Hölle geschaffen hatte, musste aber natürlich annehmen, dass er wusste, was er tat und - in jeden Fall - kein wahrer Christ zweifelte an Gott: er nahm einfach hin, was man ihm als Gottes Wort verkündete und damit basta. Das war mein geistiges Erziehungserbe und der Bereich meines Denkens. Vom weltlichen Standpunkt aus ging es uns nicht besonders gut. Trotz mancherlei Gelegenheit, guter Inszenierung und vieler persönlicher Verbindungen hatten meine Schwester und ich nicht geheiratet. Ich denke, es fiel unsern Onkeln und Tanten ein Stein vom Herzen, als wir grossjährig wurden, von den Vormundschaftsgerichten freikamen und auf eigenen Füssen standen. Ich wurde praktisch erst grossjährig, als meine Schwester das einundzwanzigste Lebensjahr erreichte. Damit begann für uns ein neuer Lebensabschnitt. Jede von uns ging ihre eigenen Wege. Es stellte sich heraus, dass unsere Interessen vollkommen verschieden waren, und es kam zur ersten Spaltung zwischen uns. Meine Schwester beschloss, Medizin zu studieren, und nach einigen Monaten der Vorbereitung ging sie auf die Universität Edinburgh, wo sie glänzend vorwärts kam. Was mich anbetrifft, so wusste ich damals nicht genau, was ich eigentlich tun sollte. Ich hatte eine sehr gute, klassische Erziehung hinter mir; ich sprach fliessend Französisch und etwas Italienisch; ich hatte genug Geld, um in jenen bequemen und verhältnismässig billigen Zeiten äusserst bequem leben zu können. Ich hatte einen festen Glauben an Christus, war ich doch eine von den Erwählten; ich glaubte an einen Himmel voller Glück für diejenigen, die wie ich dachten, und eine Hölle für die, welche es nicht taten, aber über diese versuchte ich nicht zu viel nachzudenken, nachdem ich mein Bestes getan hatte, um sie zu erlösen. Ich besass eine wirklich eingehende Bibelkenntnis, guten Geschmack in Kleiderfragen, wirklich gutes Aussehen und eine abgründige und vollkommene Unwissenheit in bezug auf die Tatsachen dieses Lebens. Man hatte mir rein gar nichts von den Vorgängen des Lebens gesagt und das brachte mir im Lauf der Jahre manche Enttäuschung; aber zur damaligen Zeit schien ich unter einem recht merkwürdigen «Schutze» im Zusammenhang mit der Tätigkeit zu stehen, die ich in meinem nächsten Lebenszyklus von einundzwanzig bis achtundzwanzig zu unternehmen beschloss. Ich hatte ein vollkommen behütetes Leben geführt und war nirgendwo ohne Begleitung einer Anstandsdame, eines Verwandten oder einer Zofe hingegangen. Ich war so unwissend, dass ich aus irgendeinem unersichtlichen Grund gegen jede Gefahr gesichert schien. Eine merkwürdige Begebenheit aus meinem neunzehnten Lebensjahr beweist das. Ich war auf Besuch in einem der grossen englischen Häuser und hatte meine Zofe mitgenommen. Aus begreiflichen Gründen kann ich keinen Ort und Namen nennen. Ich war in jener grossen Hausgesellschaft die einzige Person ohne Titel. Als ich die erste Nacht dort war, bemerkte ich, wie meine Zofe sich dazu anschickte, in einem kleinen Ankleideraum neben meinem Schlafzimmer zu übernachten. Als ich mein Erstaunen darüber ausdrückte, bemerkte sie, dass sie mich nicht allein lassen wolle, ganz gleich, ob mir das lieb wäre oder nicht. Ich wusste nicht warum, ebenso, wie mir vieles von den Tischgesprächen entging. Die meisten Gäste fanden mich unausstehlich langweilig, davon bin ich überzeugt; sie betrachteten mich als Vollidiotin. Die versteckten Andeutungen und witzigen Entgegnungen blieben mir unverständlich und ich kam mir recht dumm vor. Mein einziger Trost war, dass ich gut angezogen war, gut aussah und tanzen konnte. Nachdem ich zwei Tage dort gewesen war, fragte mich eines Morgens nach dem Frühstück ein sehr bekannter Mann - liebenswürdig, interessant, gut aussehend, aber von nicht sehr gutem Ruf - ob er mit mir sprechen dürfe. Wir gingen in den sogenannten roten Salon und als wir dort alleine waren, erklärte er mir: «Ich habe unserer Gastgeberin gesagt, dass sie heute morgen mit dem 10.30 Zug abfahren; der Dogcart wird rechtzeitig bereitstehen und ihre Zofe hat bereits Anweisung, ihre Sachen zu packen». Ich fragte ihn, was in aller Welt ich verbrochen hätte. Er klopfte mir auf die Schulter und antwortete: «Ich nenne ihnen zwei Gründe. Einer davon ist, dass sie vom Standpunkt der meisten Leute hier (aber nicht von meinem) eine Spielverderberin sind, denn sie sehen immer so verwundert oder entrüstet aus. Der andere Grund ist der, dass sie gelegentlich nicht entrüstet sind, wenn sie es sein sollten. Darüber bin ich ernstlich besorgt. Deshalb kam ich zu dem Schluss, dass sie wirklich naiv sind und dass ich lieber zusehen sollte, dass sie gut aufgehoben sind». Ich fuhr also planmässig ab und wusste nicht, ob ich mich geschmeichelt oder beleidigt fühlen sollte. Dieser Vorfall beweist jedoch nicht nur die Dummheit und Unwissenheit junger Mädchen meiner Gesellschaftsschicht in jenen Viktorianischen Zeiten, sondern auch die Tatsache, dass manche sehr leichtlebige Männer sehr nett und verständnisvoll sind. Mit dieser Vorbildung und inneren Verfassung und der festen Absicht, verlorene Seelen zu retten, entschloss ich mich zu einer Tätigkeit, die ich für nützlich hielt. Ich wollte jedoch um jeden Preis frei sein. KAPITEL II So endete der sorglose, verhältnismässig verantwortungsfreie und bequeme Abschnitt meines Lebens. Er hatte 22 Jahre gedauert und war die einzige Zeit meines ganzen Lebens, in der ich Mitglied einer Familie war und den Rückhalt, das Ansehen und die Sicherheit genoss, die damit verbunden sind. Ich hatte viel Spass, war vielen Menschen begegnet und war viel auf Reisen gewesen. Ich weiss nicht mehr, wie oft ich über den Ärmelkanal nach dem Kontinent und wieder zurück gefahren bin, denn das geschah so oft. Glücklicherweise bin ich durchaus seefest und liebe die See, wenn sie auch noch so bewegt ist. An persönliche Freundschaften kann ich mich nicht mehr erinnern, bis auf eine Dame, mit der ich heute noch befreundet bin und im Briefwechsel stehe. Wir hatten uns in der Schweiz getroffen und gemeinsam Unterricht in irischer Spitzenklöppelei genommen. Ich war immer stolz auf diese Leistung und besonders stolz, als ich einmal zwei Yards Faltenbesatz für 30 Dollar pro Yard verkaufte und den Erlös der Kirchenmission einsenden konnte, da ich damals kein Geld brauchte. Inzwischen war aber das Bedürfnis in mir erwacht, mich in der Welt irgendwie nützlich zu machen und mein Dasein zu rechtfertigen. Damals gab ich diesem Drängen mit den Worten Ausdruck: «Jesus ging umher und tat Gutes», und ich, als seine Nachfolgerin, musste ein Gleiches tun. So begann ich denn mit wildem Fanatismus, «Gutes zu tun». Ich wurde Missionarin bei der britischen Armee. Wenn ich auf die Zeit meiner Missionstätigkeit bei der britischen Truppe zurückblicke, dann erscheint sie mir als die sorgloseste und befriedigendste Zeit meines ganzen Lebens. Ich war mit mir selbst und allem, was mich anging, recht zufrieden. Ich tat, was ich tun wollte und war sehr erfolgreich dabei. Ich hatte keine einzige Sorge in der Welt (ausserhalb meines erwähnten Betätigungsbereichs) und keine einzige weitere Verantwortung. Ich bin mir aber darüber klar, dass es ein wichtiger Zyklus meines Lebens war, der alle meine Einstellungen von Grund auf änderte. Was während jener Periode in mir vorging, wusste ich damals nicht, aber es kam zu grossen, inneren Veränderungen. Ich war jedoch in meinem Denken und Tun damals so nach aussen gerichtet, dass diese Veränderungen verhältnismässig unbemerkt an mir vorübergingen. Ich hatte mich von meiner Familie vollends gelöst und mein Leben als junges Mädchen der Gesellschaft beendet. Wenn ich von «voller Loslösung» spreche, so meine ich damit nicht, dass ich alle Beziehung abgebrochen hatte. Ich bin stets mit meiner Familie in Verbindung geblieben, aber unsere Wege haben sich voneinander weit entfernt, unsere Interessen waren und sind freundschaftlicher, aber nicht verwandtschaftlicher Natur. Im grossen und ganzen glaube ich ein interessanteres und bewegteres Leben geführt zu haben als sie. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass physische Blutsbande grosse Bedeutung haben. Warum sollten sich Leute gern haben und aneinander hängen, bloss weil sie - glücklicher- oder unglücklicherweise - die gleichen Grosseltern besitzen? Dafür sehe ich keinen Grund und nach meiner Meinung führt das zu unnötigen Verwicklungen. Wenn Freundschaft und Verwandtschaft sich decken, so ist das ein glücklicher Umstand, aber mir sind gemeinsame Interessen und gleiche Einstellungen zum Leben wichtiger als Blutsbande. Meine Töchter sollen mich gern haben, weil ich ihre Freundin bin und mich als solche erwiesen und ihre Zuneigung verdient habe. Ich erwarte kein Vertrauen und keine Zuneigung von ihnen, bloss weil ich ihre Mutter bin. Ich persönlich liebe sie um ihrer selbst willen und nicht, weil sie meine Kinder sind. Wenn die kleinen Kinder nicht mehr der körperlichen Pflege und Aufsicht bedürfen, dann täten die Eltern wohl daran, sich mehr um die Freundschaft ihrer Kinder zu bemühen. Ich war in jeder Beziehung (wie wundervoll und wie rührend jung scheint mir das heute) meiner Sache gewiss - Gott, Glaubenslehre, die eigene Leistungsfähigkeit, die Sicherheit meines Wissens und die Unfehlbarkeit meiner etwaigen Ratschläge. Auf alle Fragen hatte ich eine Antwort und wusste auch genau, was zu tun war. Ich behandelte das Leben und seine Umstände damals mit dem Unfehlbarkeitsgefühl gänzlicher Unerfahrenheit, und meine Lösung für jedes Problem und mein Heilmittel für jede Beschwerde ergab sich stets aus der Antwort auf die Frage: «Was würde Jesus in einem solchen Fall tun?». Nachdem ich entschieden hatte, was er tun würde (wieso ich das zu wissen glaubte, ist mir noch heute ein Rätsel), verfuhr ich dementsprechend oder riet anderen, ebenso zu handeln. Gleichzeitig tauchten in mir selbst kaum bewusste und unklare Fragen auf, und obwohl ich mich weigerte, sie zu beantworten, gingen unter der Oberfläche all meiner Sicherheit und meines Dogmatismus grosse Veränderungen vor sich. Ich weiss, dass ich damals |
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Last updated Saturday, February 14, 1998 © 1998 Netnews Association. All rights reserved. |