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Die unvollendete Autobiographie, Seite 15 ff. (engl.)

Meine Schwester widmete sich später der Krebsforschung und hat sich auf diesem so wichtigen Gebiet einen glänzenden Namen verschafft. Ich bin sehr stolz auf sie. Ich habe meine Zuneigung zu ihr nie aufgegeben, und falls sie jemals diese Autobiographie lesen sollte, möchte ich sie das auf diesem Weg wissen lassen. Glücklicherweise glaube ich an das grosse Gesetz der Wiedergeburt, und sie und ich werden eines Tages einmal unsere endgültige Beziehung in befriedigender Weise zum Ausdruck bringen.

Es gibt, glaube ich, keine grössere Belastung im Leben irgendeines Kindes, als die Tatsache, dass es kein eigentliches Heim hat. Dieser Mangel hat meine Schwester und mich ganz bestimmt beeinflusst. Meine beiden Eltern starben, ehe ich neun Jahre alt war, und beide starben an Tuberkulose (oder Schwindsucht, wie man damals sagte). Die Furcht vor Tuberkulose lastete in unseren Kinderjahren wie eine unmittelbare Drohung auf uns beiden, und dazu kam die Tatsache, dass mein Vater unsere - und aus irgendwelchem Grund besonders meine - Existenz übelzunehmen schien. Wahrscheinlich glaubte er, dass meine Mutter länger gelebt hätte, wenn die Geburt zweier Kinder ihre körperliche Kraft nicht aufgebraucht hätte.

Mein Vater war Frederic Foster La Trobe-Bateman, meine Mutter Alice Hollinshead. Beide entstammten sehr alten Familien; meines Vaters Familie lässt sich durch Jahrhunderte hindurch bis zur Zeit vor den Kreuzzügen zurückverfolgen, und die Vorfahren meiner Mutter waren Nachkommen von Hollinshead, dem Chronisten, von dem angeblich Shakespeare so viele seiner Geschichten übernahm. Stammbäume und Ahnengalerien habe ich nie für besonders wichtig gehalten. Jeder hat sie; nur dass eben gewisse Familien darüber Aufzeichnungen besitzen. Und so viel ich weiss, hat keiner meiner Vorfahren irgend etwas besonders Interessantes geleistet. Sie waren ehrbar, aber offensichtlich langweilig. Meine Schwester drückte es so aus: «Sie sassen Jahrhunderte lang zwischen ihren Kohlköpfen». Sie waren ein gesundes, sauberes und gebildetes Geschlecht, aber keiner von ihnen machte im guten oder schlechten Sinn von sich reden.

Das Familienwappen ist immerhin sehr interessant und vom Standpunkt esoterischer Symbolik aus ausserordentlich bedeutsam. Ich verstehe nichts von Heraldik und kann es daher nicht fachmännisch beschreiben. Es besteht aus einem Heroldsstab mit je einem Flügel an beiden Enden, und zwischen beiden Flügeln erscheint der fünfzackige Stern und der Halbmond. Letzterer geht natürlich auf die Kreuzzüge zurück, an denen einige meiner Vorfahren anscheinend teilgenommen haben; aber ich stelle mir das ganze Symbol gern als ein Sinnbild unseres beschwingten Aufstiegs vor, als den Stab der Einweihung, als eine Beschreibung des Ziels und seiner Mittel und Wege, des Evolutionsziels und des Ansporns, der uns alle der Vollendung entgegentreibt - einer Vollendung, die am Ende durch den Stab den Ritterschlag der Anerkennung empfängt. In der Sprache der Symbolik hat der fünfzackige Stern seit jeher den vollendeten Menschen bedeutet, und der zunehmende Mond beherrscht angeblich die niedere oder Formnatur. Das ist das Abc okkulter Symbolik, aber ich finde es interessant, dass all das in unserem Familienwappen zusammentrifft.

Mein Grossvater war John Frederic La Trobe-Bateman. Er war ein sehr bekannter Ingenieur und technischer Berater der britischen Regierung, und er erbaute zu seiner Zeit verschiedene städtische Wasserleitungsanlagen in Grossbritannien. Er hatte eine grosse Familie. Seine älteste Tochter, meine Tante Dora, heiratete Brian Barttelot, den Bruder des Sir Walter Barttelot von Stopham Park, Pulborough in der Grafschaft Sussex, und da sie nach dem Tod meiner Grosseltern zu unserem Vormund bestimmt wurde, waren wir viel mit ihr und ihren vier Kindern zusammen. Zwei dieser Vettern blieben mein Leben lang meine vertrauten Freunde. Beide waren erheblich älter als ich, aber wir hatten uns gern und verstanden uns gut. Brian (Admiral Sir Brian Barttelot) starb erst vor zwei Jahren, und sein Tod bedeutete einen wirklichen Verlust für mich und meinen Mann, Foster Bailey. Wir drei waren eng befreundet, und seine regelmässigen Briefe fehlen uns sehr.

Eine andere Tante, Margaret Maxwell, bedeutete mir wohl mehr als irgendeine andere Verwandte in der Welt, und ich habe deren viele. Sie war nie mein Vormund, aber meine Schwester und ich verbrachten jahrelang jeden Sommer in ihrem Heim in Schottland; bis zu ihrem Tod (sie wurde weit über 80 Jahre alt) schrieb sie mir regelmässig mindestens einmal im Monat. Sie war eine der grossen Schönheiten ihrer Zeit, und ihr Gemälde, das auf Schloss Cardoness in Kirkcudbrightshire hängt, zeigt eine der bezauberndsten Frauen, die man sich vorstellen kann. Sie heiratete den «Younger of Cardoness» (d.h. den «Jungen Herrn» von Cardoness, wie der Erbe gelegentlich in Schottland genannt wird), den ältesten Sohn von Sir William Maxwell; aber da ihr Mann, mein Onkel David, vor seinem Tod starb, ererbte er den Titel nie. Ihr schulde ich mehr, als ich je abtragen kann. Sie gab mir geistige Ziele, und obwohl ihre Theologie sehr engherzig war, dachte sie selbst sehr grosszügig. Sie gab mir gewisse Schlüssel zum geistigen Leben, die mich nie im Stich liessen, gleichwie sie selbst mich nie im Stich liess. Als ich mich für esoterische Dinge zu interessieren begann, schrieb sie, sie könne das nicht verstehen, aber auf alle Fälle traue sie mir, weil sie wisse, dass ich eine tiefe Liebe zu Christus in mir trage, und welche Lehre ich auch aufgeben möge, so wisse sie das eine, dass ich niemals ihn aufgeben würde. Das war die reine Wahrheit. Sie war schön, liebenswert und gut. Ihr Einfluss erstreckte sich weit über die britischen Inseln. Sie besass ein nach ihren Plänen entworfenes und von ihr finanziertes Landkrankenhaus; sie unterstützte Missionare in heidnischen Ländern und war Vorsitzende des Christlichen Vereins junger Mädchen in Schottland. Wenn ich meinen Mitmenschen irgendwelchen Dienst geleistet und irgend etwas getan habe, um ihnen ein gewisses Mass geistiger Erkenntnis zu vermitteln, so liegt das hauptsächlich daran, dass sie mich innig genug liebte, um mich von Anfang an auf den rechten Weg zu weisen. Sie war eine der wenigen, die mich mehr schätzten als meine Schwester. Es besteht ein Band zwischen uns, das fest geknüpft ist und auch in aller Zukunft nicht reissen wird.

Meines Vaters jüngste Schwester, Agnes Parsons, habe ich bereits erwähnt. Seine beiden anderen Geschwister waren Gertrude, die einen Mr. Gurney Leatham heiratete, und sein jüngster Bruder, Lee La Trobe-Bateman, der einzige, der heute noch am Leben ist. Meine Grossmutter war Anne Fairbairn, Tochter des Sir William Fairbairn und Nichte des Sir Peter Fairbairn. Mein Urgrossvater, Sir William, war, glaube ich, ein Partner von James Watt, dem Erfinder der Dampfmaschine, und einer der ersten Eisenbahnbauer der Viktorianischen Zeit. Durch die Mutter meines Grossvaters (deren Mädchenname La Trobe war) entstamme ich einem französischen Hugenottengeschlecht, und die La Trobes in Baltimore sind daher mit mir verwandt, obwohl ich sie nie aufgesucht habe. Charles La Trobe, mein Urgrossonkel, war einer der ersten Gouverneure von Australien, und ein anderer La Trobe war der erste Gouverneur von Maryland. Edward La Trobe, ein dritter Bruder, war ein in Washington und in England sehr bekannter Architekt.

Die Fairbairns gehörten nicht zum sogenannten Geburtsadel, auf den man so viel Wert legt. Vielleicht war das die Rettung des Geschlechts der Bateman-Hollinshead-La Trobe. Sie gehörten zur Geistesaristokratie, und das ist in dieser demokratischen Zeit wichtiger. Sowohl William als auch Peter Fairbairn begannen ihr Leben als Söhne eines armen, schottischen Farmers des 18. Jahrhunderts, und beide waren am Ende reich und erwarben sich Adelstitel. Sir William Fairbairns Name steht in Websters Lexikon, und an Sir Peter erinnert ein Standbild, das auf einem Platz der Stadt Leeds steht. Ich erinnere mich, wie ich vor einigen Jahren zu einer Vorlesung nach Leeds kam. Als die Taxe einen Platz überquerte, bemerkte ich das Standbild eines anscheinend unansehnlichen, bärtigen alten Mannes. Am nächsten Tag ging mein Mann es besichtigen, und ich stellte fest, dass ich meinen Grossonkel kritisiert hatte! Grossbritannien war sogar in jener längst vergangenen Zeit schon demokratisch, und man konnte emporkommen, wenn man das Zeug dazu hatte. Vielleicht erklärt diese Beimischung von Plebejerblut die Tatsache, dass viele meiner Vettern und Basen und deren Kinder bedeutende Männer und hübsche Frauen waren.

Mein Vater machte sich nicht viel aus mir, und wenn ich mein Kinderbildnis ansehe, so wundert mich das kaum - so dünn, verschüchtert und erschreckt sah ich aus. Meiner Mutter entsinne ich mich nicht, denn sie starb im Alter von 29 Jahren, als ich erst sechs Jahre alt war. Ihr wunderschönes, blondes Haar und ihre Sanftmut ist ungefähr alles, was ich von ihr im Gedächtnis behalten habe. Ausserdem ist mir ihr Begräbnis in Torquay, Devonshire, in Erinnerung geblieben, denn meine Hauptreaktion auf dieses Ereignis bestand in folgender Bemerkung zu meiner Cousine Mary Barttelot: «Schau, lange schwarze Strümpfe und Strumpfbänder» - meine allerersten. Ich war aus dem Sockenstadium herausbefördert worden. Auf Kleider kommt es scheinbar immer an, ganz gleich in welchem Alter und unter welchen Umständen! Früher gehörte mir einmal ein ziemlich grosses silbernes Medaillon, das mein Vater immer bei sich zu tragen pflegte, und darin war das einzige Bild meiner Mutter, das ich je besass. Nachdem ich es durch die ganze Welt mit mir herumgetragen hatte, wurde es mir im Sommer 1928 in Stamford, Connecticut, während unserer Abwesenheit aus dem Hause, in dem wir damals lebten, gestohlen, und dazu meine Bibel und ein kaputter Schaukelstuhl. Es war die merkwürdigste Auswahl von Diebesgut, die mir je zu Ohren kam.

Die Bibel war mein grösster persönlicher Verlust. Es war eine Bibel, die einzig in ihrer Art war, und die ich zwanzig Jahre lang als meinen besonderen Schatz betrachtet hatte. Eine vertraute Freundin aus meiner Mädchenzeit, Catherine Rowan-Hamilton, hatte sie mir geschenkt; sie war auf dünnem, weissem Papier gedruckt, mit breiten Rändern für Anmerkungen. Die Ränder waren fast zwei Zoll breit, und darauf hätte man in mikroskopischer (mit einer Radiernadel eingetragener) Schrift die Geschichte meiner geistigen Entwicklung lesen können. Ich hob darin winzige Fotos guter Freunde und Autogramme meiner geistigen Weggenossen auf. Ich wünschte, ich hätte sie jetzt, denn sie würde mir viel erzählen, mich an Menschen und Vorfälle erinnern und mir dabei helfen, die Spur meiner geistigen Entwicklung zurückzuverfolgen - die Entwicklung einer Dienenden.

Als ich wenige Monate alt war, nahm man mich mit nach Montreal in Kanada, wo mein Vater als Ingenieur am Bau der Viktoriabrücke über den Sankt-Lorenz-Strom tätig war. Dort wurde meine einzige Schwester geboren. Ich habe nur zwei markante Erinnerungen an jene Zeit. Eine davon ist die, dass ich mit meinen Eltern in ernste Schwierigkeiten geriet, weil ich meine kleine Schwester in einen Riesenkoffer hineinlotste, in dem unsere vielen, vielen Spielsachen aufgehoben wurden. Wir blieben ziemlich lange vermisst und erstickten beinahe, denn der Deckel schnappte über uns zu. Die zweite Erinnerung bezieht sich auf meinen ersten Selbstmordversuch! Das Leben schien mir einfach nicht der Mühe wert. Die Erfahrung meiner ersten fünf Jahre gab mir das Gefühl dass alles zwecklos sei, und so rechnete ich mir aus, dass ich bloss die (sehr steilen) steinernen Küchenstufen der Länge nach herunterzupurzeln brauchte, um wahrscheinlich tot unten anzukommen. Ich hatte damit kein Glück. Bridget, die Köchin, hob mich (verbeult und zerquetscht) auf und brachte mich nach oben, wo ich viel Trost aber keinerlei Verständnis fand.

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Im späteren Verlauf meines Lebens machte ich zwei weitere Versuche, allem ein Ende zu machen, doch konnte ich dabei nur feststellen, dass es sehr schwierig ist, Selbstmord zu begehen. Alle diese Versuche fanden statt, ehe ich fünfzehn war. Als ich etwa elf Jahre alt war, versuchte ich mich mit Sand zu ersticken, aber Sand in Mund, Nase und Augen ist nichts Angenehmes, und ich beschloss, den glücklichen Tag aufzuschieben. Das letzte Mal versuchte ich mich in einem Fluss in Schottland zu ertränken. Wiederum erwies sich der Selbsterhaltungstrieb als zu stark. Seitdem habe ich kein Interesse mehr am Selbstmord, obwohl ich den Drang stets verstehen konnte.

Dieses immer wiederkehrende Gefühl des Elends war vielleicht das erste Anzeichen für die mystische Neigung in meinem Leben die späterhin all mein Denken und Tun motivierte. Mystiker sind Leute mit einem ungeheuren Dualitätsgefühl. Sie sind immer auf der Suche nach etwas, was ihrem Bewusstsein vorschwebt und gefunden werden muss; sie sind stets Liebende und suchen nach etwas, was ihrer Liebe würdig wäre; sie sind sich stets dessen bewusst, mit dem sie eins werden müssen. Sie werden vom Herzen und vom Gefühl beherrscht. Zu jener Zeit sagte mir die Art nicht zu, wie sich das Leben «anfühlte». Ich hatte keinen Sinn für das, was die Welt zu sein schien oder zu bieten hatte. Ich war überzeugt, dass es anderswo etwas Besseres gab. Ich war gefühlskrank, voller Selbstbemitleidung und infolge von Einsamkeit sehr nach innen gerichtet (was besser klingt als egozentrisch) und ausserdem überzeugt, dass mich niemand gern habe. Rückschauend frage ich mich: warum sollten sie auch? Ich kann es ihnen nicht verdenken. Ich gab ihnen nichts von mir selbst. Ich war immer nur mit meiner Reaktion auf Menschen und Umstände voll und ganz beschäftigt. Ich machte mich zum unbefriedigten, dramatischen Mittelpunkt meiner kleinen Welt. Dieses Gefühl, dass es irgendwo etwas Besseres gibt, und die Fähigkeit, mich in Menschen und Zustände einzufühlen und häufig zu wissen, was sie denken oder welche Erfahrung sie gerade durchmachen, war der Anfang der mystischen Phase meines Lebens und sollte mir später gut zustatten kommen.

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.