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Der Yoga-Pfad (die Yoga Sutras von Patanjali), Seite 412 ff. (engl.)
werden, und zweitens kann es als ein Werkzeug des Menschen auf der physischen Ebene angesehen und erkannt werden. Lange Zeit hindurch wurde der Mensch das, womit er sich identifizierte, unter Ausschluss des geistigen, wahren Menschen, der durch einen Kontakt erlebt und erkannt werden kann; erst wenn das Denkvermögen auf den ihm zukommenden Rang, als Instrument der Erkenntnis zu dienen, verwiesen wurde, gehorchte der niedere Mensch dem geistigen.

Eine Analogie der physischen Ebene kann hier zum Verständnis beitragen. Das Auge ist eines unserer Hauptsinnesorgane, wodurch wir uns Kenntnisse aneignen und die Welt sehen und erleben. Wir machen jedoch nicht den Fehler, das Auge selbst als eine Lichtquelle und als das zu betrachten, was das Offenbarwerden bewirkt. Wir wissen, dass es ein Instrument ist, welches auf gewisse Lichtschwingungen reagiert, wodurch gewisse Informationen über die physische [413] Welt an unser Gehirn, die grosse Aufnahmeplatte auf der physischen Ebene, übermittelt werden. Für die Seele ist das Denkvermögen ebenfalls ein Auge oder ein Fenster, durch welches Information kommt, aber es ist nicht selbst die Quelle von Licht oder Erleuchtung.

Hier ist folgende Bemerkung interessant: Als das Gehirn und die Denkfähigkeit koordiniert wurden (was zum erstenmal im lemurischen Zeitalter der Fall war), wurde gleichzeitig auch der Gesichtssinn entwickelt. Im Verlauf fortschreitender Entwicklung findet eine höhere Koordinierung statt, nämlich das Einswerden von Seele und Denkvermögen. Dann kommt das Organ des subtileren Sehens (das dritte Auge) in Funktion, und an die Stelle des Denkvermögens, des Gehirns und der beiden Augen, tritt dann eine andere Dreiheit, nämlich die Seele, das Denkvermögen und das dritte Auge. Das Gehirn ist daher nicht die Quelle der Erleuchtung, sondern es nimmt das Licht der Seele wahr und erkennt das, was dieses Licht im Bereich der Seele offenkundig macht. Gleichzeitig entwickelt sich das dritte Auge und gewährt seinem Besitzer Einblick in die Geheimnisse der subtileren Bereiche der drei Welten, so dass das Gehirn Erleuchtung, Information und Wissen aus zwei Richtungen erhält: von der Seele über das Denkvermögen, und von den feinstofflichen Ebenen in den drei Welten durch das dritte Auge.

Es ist hier zu beachten, dass das dritte Auge in der Hauptsache das Licht erkennen lässt, das im Innern einer jeden Form göttlicher Manifestation zu finden ist.

20. Auch kann es nicht zwei Objekte gleichzeitig erkennen, sich selbst und das, was ausserhalb seiner selbst liegt.

Keine der Körperhüllen, durch welche die Seele wirkt, besitzt Selbsterkenntnis; sie sind nur Instrumente und Mittel, um Wissen zu erlangen und Erfahrungen des Lebens zu gewinnen. Das [414] Denkvermögen erkennt sich nicht selbst, denn das würde Selbstbewusstheit voraussetzen. Da es kein individuelles Bewusstsein hat, kann es nicht sagen: «Das bin ich selbst, und das liegt ausserhalb meiner selbst, und folglich bin ich das nicht». Es ist lediglich ein zusätzlicher Sinn, durch den Information erlangt und ein weiteres Wissensgebiet erschlossen wird. Es ist, wie schon gesagt, lediglich ein Instrument, das für eine zweifache Funktion geeignet ist: es registriert Kontakte aus einer von zwei Richtungen, und es übermittelt das Wissen von der Seele zum Gehirn, oder vom niederen Menschen zur Seele. Darüber muss meditiert werden; das ganze Bemühen muss dahin gehen, dieses Instrument in einen solchen Zustand zu bringen, dass man den grösstmöglichen Nutzen aus seinem Gebrauch ziehen kann. Das ist es, was die drei letzten Yogamittel erreichen wollen. Da dieses Thema schon vorher ausführlich behandelt worden ist, ist es nicht nötig, hier näher darauf einzugehen.

21. Wenn man annähme, dass ein Denkvermögen (Chitta) von einem anderen Denkvermögen wahrgenommen oder erkannt wird, dann ergäbe sich zwangsläufig die Folgerung, dass es unendlich viele Erkennende geben muss. Die Aufeinanderfolge der Reaktionen im Gedächtnis würde zu unendlicher Verwirrung führen.

Eine der Erklärungen für die Funktionen des Denkens ist die Behauptung, dass es die Fähigkeit habe, sich von sich selbst zu distanzieren und sich als etwas Abgesondertes zu sehen. Auf diese Weise würde es zu einem Durcheinander von getrennten Teilen werden, die keine Beziehung zueinander hätten, und das müsste logischerweise zu einem chaotischen Zustand führen. Eine solche Behauptung ist deshalb entstanden, weil sich die Philosophen der alten Schule weigern, die Möglichkeit zuzugeben, dass es eine ausserhalb des Denkens [415] bestehende Wesenheit gibt, die das Denkvermögen nur als Mittel zur Erwerbung von Wissen benutzt. Das Problem hat sich zum grossen Teil aus der Tatsache ergeben, dass dieser Denker solange nicht erkannt werden kann, ehe nicht das Denken entwickelt ist. Er kann vom Mystiker und Gottergebenen erahnt und erfühlt werden, aber ein Wissen um ihn (in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes) ist erst dann möglich, wenn das Instrument des Erkennens, die Denkfähigkeit, entwickelt ist. Hier ist der Punkt, wo das Wissen des Ostens ergänzend hinzukommt und die Konzeptionen klarer werden lässt, die von den Denkern der Mental-Science und der Christlichen Wissenschaft so wunderbar umrissen worden sind. Sie haben die Tatsache des individuellen und universalen Denkprinzips betont, und deshalb schulden wir ihnen vielen Dank. Das Wesen des Denkens, sein Ziel, seine Beherrschung, seine Probleme und Vorgänge sind heute Themen allgemeiner Diskussionen, was vor hundert Jahren noch nicht der Fall war. Aber trotz allem besteht noch viel Unklarheit infolge der modernen Tendenz, das Denken zu vergöttern und es als den einzigen wichtigen Faktor anzusehen. Die Wissenschaft des Ostens kommt uns zu Hilfe und sagt, dass hinter dem Denken der Denker steht; hinter der Wahrnehmung ist der Wahrnehmende, und hinter dem Objekt der Betrachtung ist der Betrachter zu finden. Dieser Wahrnehmende, Denker und Betrachter ist das unsterbliche, unvergängliche Ego, die Seele in Kontemplation,

22. Wenn die geistige Intelligenz, die allein und losgelöst von allen Objekten besteht, sich in der Denksubstanz widerspiegelt, wird das Selbst wahrgenommen.

Diese geistige Intelligenz, der wahre Mensch, der Sohn Gottes, [416] der ewig im Himmel wohnt, ist unter vielen verschiedenen Namen bekannt. Die folgende Liste von Synonymen ist für den Studierenden von Wert, denn sie gibt ihm eine weitere Sicht und ein umfassendes Verstehen; sie macht ihm die Tatsache klar, dass die Gottessöhne, offenbar oder verborgen, überall zu finden sind.

Die geistige Intelligenz #Der innere Herrscher #Das fleischgewordene

Wort.

Die Seele #Der zweite Aspekt #Das AUM.

Die eigenbewusste Wesenheit #Die zweite Person #Der Denker.

Der Christus #Gott in Inkarnation #Der Beobachter, der Wahrnehmende.

Das Selbst #Der Sohn des Denkprinzips #Der Erbauer der Form.

Das höhere Selbst #Der göttliche Manasaputra #Kraft.

Der Sohn Gottes #Der Agnishvatta #Der im Körper Wohnende.

Diese und viele andere Bezeichnungen sind in den Heiligen Schriften und in der Literatur der Welt zu finden. In keinem Buch ist jedoch das Wesen der Seele, ob makrokosmisch (der kosmische Christus) oder mikrokosmisch (der individuelle Christus) so wunderbar dargestellt wie in der Bhagavad Gita. In den drei Büchern - der Bhagavad Gita, dem Neuen Testament und den Yoga-Lehrsprüchen - ist das vollständige Bild der Seele und ihrer Entfaltung enthalten.

23. Dann wird die Denksubstanz, die sowohl den Erkennenden wie das Erkennbare reflektiert, allwissend.

Dieser Satz ist eine Zusammenfassung; er betont die Tatsache, dass das durch Konzentration und Meditation zur Ruhe gekommene [417] Denken zum Reflektor wird, und zwar zum Reflektor «dessen, was oben, und dessen, was unten ist». Es übermittelt sowohl das Wissen des Selbstes an das physische Gehirn des inkarnierten Menschen, als auch all das, was das Selbst erkennt und wahrnimmt. Das Feld der Erkenntnis wird gesehen und erkannt. Der Erkennende wird ebenfalls wahrgenommen, und so wird die «Wahrnehmung aller Objekte» möglich. Darauf beruht die Tatsache, dass dem Yogi nichts verborgen oder unbekannt bleibt. Er hat die Möglichkeit, sich über alles zu informieren, denn er hat ein Instrument, das er benützen kann, um das herauszufinden, was die Seele über das Reich Gottes, das Reich der geistigen Wahrheit, weiss. Er kann auch mit der Seele in Verbindung treten und ihr all das Wissen übermitteln, das dem Menschen in der physischen Verkörperung bekannt ist. So werden der Erkennende, das Feld des Erkennens und das Erkannte vereinigt, und das Medium dieser Vereinigung ist das Denken.

Das ist eine wichtige Stufe auf dem Heimweg zu Gott, und obwohl zu gegebener Zeit die Intuition an die Stelle des Denkens, und die direkte geistige Wahrnehmung an die Stelle mentaler Wahrnehmung treten wird, so ist diese Stufe dennoch eine wichtige und fortgeschrittene, denn sie öffnet die Tür zur unmittelbaren Erleuchtung. Nichts kann nun das Herabströmen geistiger Kraft und Weisheit in das Gehirn behindern, denn der ganze dreifache niedere Mensch ist geläutert und beherrscht; der physische, emotionale und mentale Körper sind jetzt eine Stromrinne für das göttliche Licht, und ein Werkzeug, durch das sich das Leben und die Liebe Gottes kundtun kann.

24. Auch die [418] Denksubstanz, die ja unendlich viele Denkeindrücke widerspiegelt, wird zum Werkzeug des Selbstes und wirkt als vereinigende Kraft.

Dem geistigen Menschen bleibt in bezug auf dieses geläuterte niedere Selbst nichts weiter zu tun übrig, als zu lernen, von seinem Werkzeug, dem Denkvermögen, richtigen Gebrauch zu machen; dadurch werden die beiden anderen Körper gelenkt, kontrolliert und nutzbar gemacht. Durch die acht Yoga-Mittel wurde sein Werkzeug entdeckt, entwickelt und gemeistert; jetzt muss es wirksam und auf dreierlei Art angewendet werden:

1. Als Träger für das Leben der Seele.

2. Im Dienst für die Hierarchie.

3. Zur Zusammenarbeit mit dem Entwicklungsplan.

In Buch I, Lehrspruch 41, finden wir die Worte: «Wer die Vrittis (mentale Modifikationen) völlig beherrscht, erlangt einen Zustand der Wesensgleichheit mit dem, was erkannt wird. Der Erkennende, das Erkannte und das Feld des Erkennens werden eins, so wie ein Kristall die Farbe dessen annimmt, was sich in ihm widerspiegelt». Das gibt uns eine Vorstellung von dem, was in dem Menschen vor sich geht, der sein Instrument gemeistert hat. Er registriert - mittels des Denkvermögens - in seinem Gehirn das, was wahr und wirklich ist; er erkennt die Art des Ideals und setzt alle seine Kräfte ein, um dieses Ideal zur objektiven Manifestation zu bringen; er erschaut das Reich Gottes so, wie es einstens einmal sein wird; er gibt alles was er hat und ist, hin, um das geistige Zukunftsbild allen Menschen aufzuzeigen. Er kennt den Plan, denn er wurde ihm an dem [419] «geheimen Ort auf dem Berge Gottes» offenbart, und er wirkt auf der physischen Ebene in einsichtsvoller Weise in Übereinstimmung mit diesem Plan; er hört die Stimme der Stille und gehorcht ihrem Befehl; beharrlich strebt er danach, ein geistiges Leben zu führen in einer Welt, die sich materiellen Dingen verschrieben hat.

Alles das ist dem Menschen möglich, der seine unbeständige psychische Natur zur Ruhe gebracht und die königliche Wissenschaft des Raja Yoga gemeistert hat.

Der folgende Auszug aus den geheimen Schriften der Adepten fasst den Zustand des Menschen zusammen, der das Ziel erreicht hat, der Meister und nicht Diener, der Überwinder und nicht Sklave ist:

«Der Fünffältige ist eingegangen in den Frieden, aber er geht unsere Wege. Das, was dicht und dunkel war, erscheint nun in einem klaren, reinen Licht, und aus den sieben heiligen Lotosblüten strömt der Strahlenglanz hervor. Er erleuchtet die Welt und durchstrahlt die niederste Ebene mit göttlichem Feuer.

Das, was bisher ruhelos, wild wie der Ozean, wogend wie die stürmische See gewesen ist, liegt nun ruhig und still da. Klar sind die Wasser des niederen Lebens; sie können den Durstigen dargeboten werden, die suchend danach verlangen.

Das, was seit Äonen die Wirklichkeit erstickt und verborgen hat, ist nun selbst vernichtet, und mit seinem Erlöschen ist auch das abgesonderte Leben zu Ende. Das Eine wird gesehen. Die Stimme wird gehört. Die Wirklichkeit wird erkannt, die Vision wird erschaut. Das Feuer Gottes steigt flammend empor.

Der dunkelste Ort empfängt das Licht. Es dämmert auf Erden. Die herabströmende Helligkeit strahlt ihren Glanz selbst bis in die Hölle hinein, und alles ist Licht und Leben».

Dann wird der befreite Yogi vor eine Wahl gestellt. Er steht vor einem

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.