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Von Bethlehem nach Golgatha, Seite 266 ff. (engl.)
den wir sehen können, dann finden wir es nicht genügend interessant, dem sogleich zu folgen. Doch diese Vorschrift war die erste, die Christus befolgte, und sogar als Kind sagte er, dass er «gekommen sei, um sich mit seines Vaters Dingen zu beschäftigen». Er gehorchte dem Ruf. Er tat, wie Gott ihm sagte. Er folgte Schritt für Schritt der inneren Stimme und sie führte ihn von Bethlehem nach Golgatha. Doch führte sie ihn schliesslich zum Berg der Himmelfahrt. Er hat uns das Ergebnis des Gehorsams gezeigt, und er «lernte Gehorsam durch sein Leiden». Er zahlte den Preis, und er offenbarte uns, was Gott im Menschen sein und tun könnte.

Die Vollendung der menschlichen Vollkommenheit besteht nicht einfach in der Bildung eines guten Charakters und darin, nett und freundlich zu sein. Mehr als dies ist darin enthalten. Es ist eine Frage des Verstehens und einer neuen, geordneten inneren Haltung, die auf Gott ausgerichtet ist, weil sie auf den Dienst am Menschen ausgerichtet ist, in dem Gott sich selbst ausdrückt. «Wer nicht seinen Bruder liebt, den er sieht, wie kann der Gott lieben, den er nicht sieht?» (I. Joh. IV/20) Dies ist die Frage, die Johannes, der geliebte Apostel, stellt, und die wir als Menschheit noch nicht zu beantworten unternommen haben. Es ist eine Lebensnotwendigkeit, zu der einfachen, fundamentalen Lehre Christi zurückzukehren und unseren Bruder lieben zu lernen. Liebe ist kein sentimentaler, emotioneller Zustand des Bewusstseins. Sie zieht den Grad der Entwicklung und die Entfaltung des Charakters derer in Betracht, die geliebt werden sollen. Trotz allem ist es eine Liebe, die wahr sieht, und die, weil sie so wahr sieht, weise handeln kann. Es ist eine Liebe, die sich vorstellt, dass die Welt Liebe nötig hat und dass ein Geist der Liebe (der ein Geist der Einschliesslichkeit, Toleranz, weisen Urteilskraft und weitschauenden Vision ist) alle Menschen zu jener äusseren Einheit zusammenziehen kann, die auf einer erkannten inneren Verwandtschaft beruht.

Wir sind alle so bereit, Liebe zu empfangen. Wir sind alle so begierig, geliebt zu werden, weil wir unbewusst, wenn nicht [267] bewusst empfinden, dass Liebe Dienen bedeutet, und wir haben es gern, bedient zu werden. Die Zeit ist gekommen, da diese selbstsüchtige Lebenseinstellung sich ändern muss. Wir müssen lernen, Liebe zu geben, nicht Liebe zu verlangen. Als Dienende sollen wir allen begegnen, mit denen wir täglich in Berührung kommen, nichts verlangen, nichts erwarten für das abgesonderte Selbst. Wenn dieser Geist (der ganz besonders der Geist Christi und derer ist, die ihn am besten kennen) allgemeiner werden wird, dann werden wir einer schnelleren Durchführung der gewünschten Veränderungen gewahr werden. Theologisch haben wir verkündet, dass «Gott Liebe ist», und dann haben wir ihn in Begriffen unseres eigenen Hasses, unserer eigenen begrenzten Ideale, unserer engen Theologien und unserer trennenden Haltung dargestellt. Wir haben Christus als den grossen Diener der Menschheit erkannt und auf ihn hingewiesen als auf das Beispiel dessen, was möglich ist. Doch wir stimmen keinem allgemeinen Dienst zu, und diese Eigenschaft ist noch nicht die bewegende Kraft im Leben der Welt. Zwar bewegt sie das Leben deutlicher als jemals vorher, aber die Anstrengungen, die jetzt unternommen werden, zwanzig Jahrhunderte, nachdem Christus uns mit der Aufforderung verlassen hat, seinen Fussspuren zu folgen, zeigen nur, wie langsam wir gewesen sind, wieviel zu tun bleibt und wie verzweifelt nötig es die Menschen haben, von jenen bedient zu werden, welche die Vision und die Liebe Gottes in ihren Herzen haben. Es ist offenbar, wie wenig Liebe in der Welt gegenwärtig angewendet wird. Das Wesentliche, woran wir uns erinnern müssen, ist, dass der Grund, wenn wir Gott als einen Gott der Liebe erkennen können, darin liegt, dass wir selbst im Grunde und latent im Wesen gott-gleich sind. Das stellt in sich ein Problem dar, denn bevor das Göttliche in uns nicht einigermassen erwacht ist, haben wir es schwer, Liebe richtig auszulegen. Für die Massen von Menschen, die noch auf dem Pfad des Werdens und in vielen Fällen kaum menschliche Wesen sind, ist es unmöglich, die wirkliche Bedeutung von Liebe zu verstehen.

Das Verstehen und der Ausdruck von Liebe sind, genau genommen, persönliche Angelegenheiten. Liebe kann unbestimmt eine Theorie oder eine emotionelle Erfahrung bleiben. Sie kann ein bewegender Faktor im Leben werden und etwas, das wir zum Ganzen beisteuern. Wenn jeder für sich selbst die Bedeutung der Liebe in seinem Leben ausdenken würde und alle sich entschlössen, Liebe und Verstehen zu geben (nicht emotionelle Reaktionen, sondern ständige, unerschütterliche, verstehende Liebe), dann würden [268] die Verwirrungen in dieser beunruhigten Welt sich ordnen, und es würde leichter darin zu leben sein. Das gegenwärtige Chaos und der Aufruhr würden dann rasch verschwinden. Liebe ist wesentlich die Verwirklichung von Bruderschaft. Sie ist die Erkenntnis, dass wir alle die Kinder des Einen Vaters sind; sie ist Mitleid, Verstehen und Geduld. Sie ist der wahre Ausdruck des Lebens Gottes.

Wenn das erste Erfordernis des Menschen, der sich für die Mysterien Jesu vorzubereiten sucht, Gehorsam gegenüber dem Höchsten ist, das er erfühlen und erkennen kann, und das zweite das Ausüben von Liebe ist, so ist das dritte die Entwicklung jener Empfindungsfähigkeit und inneren Aufmerksamkeit, durch die er zu der Bedeutung und der Voraussetzung von Inspiration gelangen kann. Dies ist keineswegs die Entwicklung von psychischen Fähigkeiten, wie es gewöhnlich verstanden wird. Sie sind unter Gottes Kindern in vielen Formen vorhanden, von jener Aufmerksamkeit der inneren Stimme des Gewissens und der Pflicht gegenüber (zwei der niedrigsten Formen von Inspiration) bis zu jenen hohen geistigen Errungenschaften, die in den inspirierten heiligen Schriften der Welt Ausdruck finden.

Ohne solche Inspiration ist es für einen Menschen nicht möglich, in den Tempel einzutreten und Gemeinschaft zu haben mit DEM, das ihn in die subtilen Vorgänge der Einweihung einführt. Der erste Einweihende ist die Seele selbst, das göttliche Selbst im Menschen, der geistige Mensch, der hinter dem Sperrgitter des äusseren Menschen steht und der sich abmüht, durch die äussere Persönlichkeit zu lenken und zu wirken. Es ist diese Seele oder das Selbst, das dem Menschen die Tür zur Inspiration öffnet und ihm die Natur seines göttlichen Bewusstseins offenbart, sein Ohr einstimmt, damit es den Ton auffangen kann von «der Stimme, die in der Stille spricht», wenn ein Mensch alle äusseren Stimmen zum Schweigen gebracht hat.

Die Erlangung der Fähigkeit der Inspiration ist wesentlich für irgendeinen Fortschritt auf dem Pfad der Einweihung. Sie setzt eine Entwicklung der Intelligenz voraus, die einen Menschen zu den notwendigen Unterscheidungen befähigt. Echte Inspiration ist in keiner Weise das Hervorsprudeln des unterbewussten Selbstes oder des Denkens, noch ist sie das Freilassen der Flut von rassischen, nationalen oder familiären Ideen und Gedankenbildern [269] im Menschen; sie ist auch nicht das Einstimmen auf die Welt der Gedanken, das so leicht durch jene erfolgen kann, in denen eine gewisse Fähigkeit für telepathische Verbindung entwickelt ist. Noch ist sie das Lauschen auf die vielen Stimmen, die sich zu Gehör bringen können, wenn ein Mensch Erfolg damit hat, so gänzlich negativ und so frei von jedem intellektuellen Denken geworden zu sein, dass die Töne der Ideen und Einflüsterungen aus der Welt psychischer Phänomene sehr leicht sich hineindrängen können. Dies geschieht gewöhnlich bei einem relativ niedrigen Grad von Intelligenz. Inspiration ist etwas ganz anderes. Sie ist das Eindringen in die Gedanken- und Ideenwelt, der Christus lauschte, wenn er eine Stimme hörte und der Vater zu ihm sprach. Sie ist die intuitive Erwiderung eines intelligenten Denkens auf Eindrücke, die von der Seele und aus der Welt der Seelen kommen. Die Sprache des Reichs wird uns dann vertraut. Wir sind in Berührung mit jenen befreiten Seelen, die in diesem Reiche wirken, und die Gedankenwellen und die Ideen, die sie dem menschlichen Denken einzuprägen suchen, kommen in Umlauf durch das eingestimmte Denken der Weltjünger. Dies ist Inspiration, und dies ist die Fähigkeit, für welche die Aspiranten überall sich zu schulen beginnen sollten und die im Alltagsleben erworben werden muss. Es ist eine Kraft, die durch rechte Meditation hervorgebracht wird. Sie ist ein Ausdruck der Seele, die durch das Denken wirkt und so das Gehirn mit rein geistigen Impulsen in Bewegung bringt. Inspiration ist verantwortlich für alle die neuen Ideen und sich entfaltenden Ideale unserer modernen Welt. Das Zeitalter der Inspiration ist nicht vorbei und nicht vergangen, es ist hier und jetzt gegenwärtig. Gott spricht noch zu den Menschen, denn diese unsere Welt schafft noch immer die entsprechenden Gelegenheiten für die Entwicklung jener Eigenschaften, die das Kennzeichen des Christus im menschlichen Herzen, der Seele, des Gottessohnes in Inkarnation, sind, der in diesem Tal der Tränen wohnt oder, wie es genannt worden ist, in diesem «Tal der Seelen-Entfaltung» (soul-making).

Um jedoch diesen bestimmten und bewussten Seelenkontakt zu erreichen, muss der Aspirant durch Leiden Gehorsam lernen, und er hat auch die Aufgabe des Liebens zu erfüllen. Dies ist nicht [270] leicht. Es erfordert Disziplin, unaufhörliche Anstrengung und beharrliches Streben, jene Unterwerfung des Selbstes, die einer täglichen Kreuzigung gleichkommt, und jene unentwegte Aufmerksamkeit, die niemals die Augen vom Ziel abwendet, sondern sich immer des Zwecks, des Fortschreitens und der inneren Ausrichtung bewusst ist. Das Wunder dieses Werdeganges ist, dass er hier und jetzt vor sich gehen kann, in der Lage, in der wir uns befinden, ohne dass die geringste Abweichung von täglicher Pflicht und Verantwortung gefordert würde.

Dies ist das Ziel für den Menschen, der Christus bei der Gründung des Reichs beizustehen sucht und dadurch den Willen Gottes erfüllt. Kein anderes Ziel ist der Aufmerksamkeit des Menschen wert, noch wird eines so jede Kraft, die er hat, jede Begabung, jedes Talent, das er besitzt, und jeden Augenblick seines Daseins absorbieren. Heute geht der Ruf nach Dienern der Menschheit hinaus, und nach Männern und Frauen, die an der Aufgabe der Selbstvervollkommnung arbeiten wollen, um besser ausgerüstet zu sein, ihren Mitmenschen und Gott im Menschen zu dienen.

Es wird uns gesagt, dass, wenn wir die Welt der Ideale betreten, «die Unterschiede zwischen den Religionen unwesentlich und die Übereinstimmungen auffallend werden. Da besteht nur noch ein Ideal für den Menschen, tief menschlich zu werden. «Ihr sollt vollkommen sein!» Der ganze Mensch, der vollständige Mensch, ist der ideale Mensch, der göttliche Mensch». Auf dem Pfad der Läuterung entdecken wir, wie schwach und mangelhaft der niedere persönliche Mensch ist; auf dem Pfad der Jüngerschaft arbeiten wir an der Entfaltung jener Eigenschaften, die charakteristisch sind für den Menschen, der bereit ist, den Weg zu betreten und in Bethlehem geboren zu werden. Dann werden wir die Wahrheit über uns und über Gott wissen, werden durch das Erreichte erkennen, ob das, was uns gesagt wurde, Tatsache ist oder nicht. Es wird uns gesagt, dass «... niemand die historische Wahrheit von solchen Dokumenten wie die Evangelien richtig verstehen kann, ehe er nicht zuerst in sich selbst die mystische Bedeutung, die sie enthalten, erfahren hat. ... Angelus Silesius, der im 17. Jahrhundert lebte, hat bereits seine kritische Haltung gegenüber dieser gewissen Art von Forschung ausgesprochen:

«Wär' Christus tausendmal zu Bethlehem geboren und nicht in dir, so wärst du dennoch ewiglich verloren.

Das Kreuz [271] von Golgatha kann dich nicht von dem Bösen, so es nicht auch in dir wird aufgericht', erlösen.»

(Zitiert in: «Der Weg der Einweihung», von Rudolf Steiner, S. 46)

Selbsterkenntnis führt uns zur Gotteserkenntnis. Sie ist die erste Stufe. Läuterung des Selbstes führt hinauf zum Tor der Einweihung, und dann kann man den Weg betreten von Bethlehem nach Golgatha, den Christus ging.

Wir sind menschliche Wesen, aber wir sind auch göttlich. Wir sind Bürger des Reichs, obwohl wir bisher noch keinen Anspruch erhoben haben und in unsere göttliche Erbschaft nicht eingetreten sind. Inspiration strömt jederzeit herab. Liebe ist verborgen in jedem menschlichen Herzen. Nur Gehorsam wird auf der ersten Stufe verlangt, und wenn er geleistet worden ist, werden Dienen als Ausdruck der Liebe und Inspiration als Einfluss aus dem Reich ein bestimmter Teil unseres Lebens. Dies zu offenbaren, kam Christus, es ist das WORT, das er hinaussandte. Er hat für uns unsere menschlichen und göttlichen Möglichkeiten dargestellt, und indem wir die Tatsache unserer dualen, aber göttlichen Natur annehmen, können wir bei der Begründung und beim Zum-Ausdruck-Bringen des Reichs zu helfen beginnen.

Wir müssen zu der Anschauung kommen, dass «der höchste, reinste und absolut entsprechende Ausdruck des Menschengeheimnisses der Gottmensch Christus ist. Er allein stellt wirklich und endgültig das Wesen des Menschen ins rechte Licht. Sein Erscheinen in der Geschichte gibt dem Menschen die Berechtigung, sich für mehr als eine blosse Kreatur anzusehen. Wenn es wirklich einen Gottmenschen gibt, so gibt es auch einen Menschen-Gott, das heisst "den Menschen", der die Gottheit in sich aufgenommen hat ... der Menschen-Gott ist gemeinschaftlich und allumfassend, sozusagen die Menschheit als ganzes oder die Weltkirche. Denn nur in Gemeinschaft mit all seinen Mitmenschen kann der Mensch Gott aufnehmen». (Geister, die um Christus ringen, engl., von Karl Pfleger, S. 235)

Die individuelle Haltung zum Beispiel Christi ist deshalb Gehorsam gegenüber

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.