Netnews Homepage     Zurück     Vorwärts      Index      Inhaltsverzeichnis
Von Bethlehem nach Golgatha, Seite 214 ff. (engl.)

Der Gedanke an das Reich bestimmt alles, was er am Kreuz sagte. Das WORT DER KRAFT, das vom Kreuz herabströmte, wurde diesmal nicht vom Vater, sondern von Jesus Christus selbst gesprochen. Christus sprach ein siebenfältiges Wort, in dem er für uns das WORT der feierlichen Einführung des Reichs Gottes zusammenfasste. Jede seiner Äusserungen hat bezug auf das Reich, nicht den gewöhnlichen, unbedeutenden, individuellen oder selbstbezogenen Sinn, den wir ihnen so oft zugeschrieben haben. Was bedeuten diese sieben Worte? Wir wollen sie betrachten und uns dabei vergegenwärtigen, dass die Gründe, aus denen sie hervorgingen, die Offenbarung des Reichs Gottes auf Erden brachten.

In jedem Fall sind die sieben Aussagen entweder in individueller Beziehung zu der vermutlich angesprochenen Person oder in persönlicher Beziehung zu Christus selbst gedeutet worden. Wir haben die Bibel immer in dieser Art gelesen, in Gedanken an diese persönliche Bedeutung. Aber diese Worte Christi sind von zu grosser Wichtigkeit, um so ausgelegt zu werden. Sie haben einen viel weiteren Sinn als den, der ihnen gewöhnlich gegeben wird. Das Wunderbare in allem, was er sagte, ist, dass es verschieden ausgelegt werden kann (wie es das Wunder aller heiligen Schriften ist). Die Zeit ist gekommen, da der Sinn, den Christus gab, von uns, im Licht des Reichs Gottes und mit einem weiteren Begriffsinhalt als dem rein individuellen, allgemeiner verstanden werden sollte. Seine Worte waren WORTE DER KRAFT, anrufend und hervorrufend, machtvoll und dynamisch.

Wenn jemand das erste Wort am Kreuz betrachtet, so wird ihm als erstes bewusst, dass Jesus den Vater bat, jenen, die ihn gekreuzigt hatten, zu vergeben. Augenscheinlich betrachtete er seinen Tod am Kreuz nicht als hinreichend dafür. Das Vergiessen des [215] Blutes bewirkte keine Vergebung der Sünden, sondern es war notwendig, Gott um Vergebung für die begangene Sünde zu bitten. Zwei Tatsachen gehen aus diesem Wort hervor, nämlich die Vaterschaft Gottes und die Tatsache, dass, wenn aus Unwissenheit Unrecht getan wird, sich der Mensch nicht schuldig und daher nicht strafbar macht. Sünde und Unwissenheit sind häufig synonyme Begriffe, doch die Sünde als solche wird von denen, die wissen (und nicht unwissend sind), erkannt. Mit diesem Wort am Kreuz sagt uns Christus zweierlei:

1. Dass Gott unser Vater ist, und dass wir uns ihm nähern durch Christus. Es ist der in uns verborgene Mensch des Herzens, der unerkannte Christus, der sich an den Vater wenden kann. Christus hatte dieses Recht erworben durch seine bewiesene Göttlichkeit und weil er durch die dritte Einweihung, die Verklärung, hindurchgegangen war. Wenn auch wir verklärt sein werden (nur der verklärte Christus kann gekreuzigt werden), dann können auch wir den Vater anrufen und den Geist aufrufen, der Gott, das Leben in allen Formen ist, rechte Beziehungen herzustellen und jene Vergebung zustandezubringen, welche die wahre Essenz des Lebens selbst ist.

2. Dass Vergebung das Resultat des Lebens ist. Diese Wahrheit anzunehmen, fällt dem westlichen Gläubigen schwer. Er ist so gewohnt, sich auf die Tätigkeit Christi in ferner Vergangenheit zu stützen. Vergebung ist jedoch ein Ergebnis lebendiger Vorgänge, die Ausgleich bringen, Rückerstattung verursachen und jenen Zustand schaffen, in dem ein Mensch nicht länger unwissend ist und daher eine Vergebung nicht benötigt. Leben und Erfahrung tun das für uns, und nichts kann den Vorgang aufhalten. Nicht ein theologisches Glaubensbekenntnis führt uns zu Gott, sondern die Einstellung zum Leben und die Einstellung zum Christus im menschlichen Herzen. Wir lernen durch Schmerz und Leiden (also durch Erfahrung), nicht zu sündigen. Wir zahlen den Preis für unsere Sünden und hören auf, sie zu begehen. Wir erreichen schliesslich den Punkt, wo wir nicht länger unsere früheren Fehler oder unsere vergangenen Sünden begehen. Durch Schmerz und Qual lernen wir, dass auf die Sünde Vergeltung folgt und sie Leiden [216] verursacht. Aber das Leiden hat seinen Nutzen, wie Christus wusste. In seiner Person war er nicht nur der historische Jesus, den wir kennen und lieben, sondern er war auch für uns das Symbol für den kosmischen Christus, Gott, leidend durch die Leiden seiner Geschöpfe.

Gerechtigkeit kann Vergebung sein, wenn die Tatsachen des Falles richtig verstanden werden, und in dieser Bitte des gekreuzigten Erlösers erkennen wir das Gesetz der Gerechtigkeit und nicht jenes der Vergeltung, einer Handlung gegenüber, vor der die ganze Welt voller Entsetzen steht. Dieses Vergeben ist das unendlich lange Wirken der Seele in der Materie oder Form. Der orientalische Gläubige nennt es Karma. Der westliche Gläubige spricht vom Gesetz von Ursache und Wirkung. Beides betrifft jedoch das Bemühen eines Menschen um die Errettung seiner Seele und das beständige Zahlen des Preises durch den Unwissenden für begangene Fehler und sogenannte Sünden. Ein Mensch, der absichtlich gegen Einsicht und Wissen sündigt, ist selten. Die meisten «Sünder» sind einfach Unwissende. «Sie wissen nicht, was sie tun».

Dann wandte sich Christus einem Sünder zu, einem Menschen, der in den Augen der Welt schuldig war und der selbst die Richtigkeit des Urteils und seiner Bestrafung anerkannte. Er behauptete, dass er die gerechte Strafe für seine Sünden empfinge, aber da war etwas im Wesen Jesu, was ihm auffiel und ihn zu der Bemerkung drängte, dass dieser dritte Übeltäter «nichts Böses getan habe». Zweierlei brachte ihm die Zulassung ins Paradies. Er erkannte die Göttlichkeit Christi an. «Herr», sagte er, und er hatte auch eine Vorstellung von der Aufgabe Christi, der Gründung eines Reichs. «Denke an mich, wenn du in dein Reich kommst!» Die Bedeutung seiner Worte ist ewig und allgemein gültig, denn der Mensch, der das Göttliche erkennt und gleichzeitig empfänglich ist für das Reich, ist bereit, Nutzen zu ziehen aus den Worten: «Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!»

Im ersten Ausspruch am Kreuz geht Jesus auf die Unwissenheit und Schwäche der Menschen ein. Er selbst war hilflos wie ein kleines Kind, und in seinen Worten bezeugte er die Tatsache der ersten Einweihung und wies auf die Zeit hin, als er ein «Kind in [217] Christo» war. Die Parallelen zwischen den beiden Ereignissen sind bemerkenswert.

Die Unwissenheit, Hilflosigkeit und das sich daraus ergebende schlechte Verhalten der Menschen rufen in Jesus die Bitte hervor, dass ihnen Vergebung gewährt werden möge. Doch wenn die Erfahrungen des Lebens ihre Rolle gespielt haben, ist da wieder das «Kind in Christo», das nichts weiss von den Gesetzen des geistigen Reichs, jedoch befreit ist von der Dunkelheit und Unwissenheit des Menschenreichs.

Im zweiten Wort am Kreuz finden wir die Anerkennung des Taufereignisses, das Reinheit und Befreiung durch Reinigung mit den Wassern des Lebens bedeutet. Die Wasser der Taufe des Johannes befreien von der Knechtschaft des Persönlichkeitslebens. Aber die Taufe, der Christus durch die Kraft seines eigenen Lebens unterzogen wurde, und der auch wir durch das Leben des Christus in uns unterworfen sind, war die Taufe des Feuers und des Leidens, die ihren Höhepunkt der Schmerzen am Kreuz findet. Dieser Höhepunkt des Leidens ist bei dem Menschen, der bis ans Ende durchhalten konnte, sein Eintritt ins «Paradies» ein Wort, das Seligkeit bedeutet. Drei Worte sind gebräuchlich, um die Kraft, sich zu freuen, auszudrücken: Glück, Freude und Seligkeit. Glück hat rein physische Bedeutung; es betrifft unser physisches Leben und alles, was damit zusammenhängt. Freude ist das Wesen der Seele und spiegelt sich im Glück wider. Aber Seligkeit ist vom Wesen Gottes selbst. Sie ist ein Ausdruck der Göttlichkeit und des Geistes. Glück kann als die Belohnung der neuen Geburt betrachtet werden, weil es physische Bedeutung hat, und es ist sicher, dass Christus das Glück kannte, obwohl er ein «Mann des Leidens» war. Die der Seele eigene Freude erreicht ihre Vollendung in der Verklärung. Obwohl Christus mit dem «Leiden vertraut» war, kannte er den Wesenskern der Freude, denn «die Freude des Herrn ist unsere Stärke», und es ist die Seele, der Christus in jedem menschlichen Wesen, die Kraft, Freude und Liebe ist. Er kannte auch Seligkeit, denn bei der Kreuzigung war Seligkeit, die der Lohn des Sieges der Seele ist, seine Belohnung.

So haben wir in diesen zwei WORTEN DER KRAFT: «Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun», und «Heute noch sollst du mit mir im Paradies sein» die Bedeutung der beiden ersten Einweihungen zusammengefasst.

Nun kommen [218] wir zu der ausserordentlichen und viel diskutierten Episode zwischen Christus und seiner Mutter, zusammengefasst in den Worten: «Weib, siehe deinen Sohn!» und dann die Worte, die er zu dem geliebten Apostel sprach: «Siehe deine Mutter!» Was bedeuteten diese Worte? Unter Christus standen die zwei Menschen, die ihm am meisten bedeuteten, und aus aller Qual der Kreuzigung heraus gab er ihnen eine besondere Botschaft, die sie zueinander in Beziehung brachte. Unsere Überlegungen zu den vorhergegangenen Einweihungen mögen uns ihre Bedeutung klar machen. Johannes versinnbildlicht die Persönlichkeit, die Vollkommenheit erreicht und die von göttlicher Liebe erleuchtet wird, dem Hauptmerkmal der Seele, der zweiten Person der göttlichen Dreieinigkeit, dem Sohn Gottes, dessen Natur Liebe ist. Wie wir gesehen haben, stellt Maria, die dritte Person der Dreieinigkeit, den Materie-Aspekt der Natur dar, der den Sohn hegt und ernährt und ihn in Bethlehem zur Welt bringt. Indem Christus die symbolische Bedeutung dieser zwei Personen verwendet, bringt er sie in diesen Worten zueinander in Beziehung und sagt praktisch: Sohn, erkenne, wer dich in Bethlehem zur Welt bringen wird, erkenne, wer das Christusleben beherbergt und behütet! und zu seiner Mutter: Erkenne, dass in der entfalteten Persönlichkeit das Christuskind verborgen ist. Materie oder die Jungfrau Maria wird durch ihren Sohn verherrlicht. Deshalb haben die Worte Christi eine bestimmte Beziehung zu der dritten Einweihung, der Verklärung.

So bezieht sich Christus in seinen ersten drei Worten vom Kreuz auf die ersten drei Einweihungen und erinnert an die sich durch ihn offenbarende Synthese und an die Stufen, die wir ersteigen müssen, wenn wir seinen Spuren folgen wollen. Es ist auch möglich, dass der gekreuzigte Erlöser daran dachte, dass Materie selbst, weil göttlich, unendlicher Leiden fähig ist, und er mochte sich mit jenen Worten die Erkenntnis abringen, dass, wie Gott in der Person seines Sohnes leidet, er ebenso mit der gleichen Qual in der Person der Mutter jenes Sohnes leidet, der materiellen Form, die ihm zur Geburt verholfen hat. Christus steht auf halbem Weg zwischen den beiden, der Mutter und dem Vater. Dies ist sein Problem, und darin ist das Problem jedes menschlichen Wesens zu finden. Christus verbindet den Materie-Aspekt mit [219] dem Geist-Aspekt; die Vereinigung dieser beiden bringt den Sohn hervor. Dies ist das Problem der Menschheit und ihre Gelegenheit.

Das vierte Wort vom Kreuz lässt uns teilnehmen an einem der intimsten Augenblicke im Leben Christi, einem Augenblick, der, wie die drei vorangegangenen Worte, eine bestimmte Beziehung zu dem Reich hat. Man zögert immer, in diese Episode im Leben Christi einzudringen, denn es ist eine der tiefsten, geheimsten und vielleicht heiligsten Phasen seines Erdenlebens. Wir lesen, dass für drei Stunden «Dunkelheit die Erde bedeckte». Dies ist ein äusserst bedeutsames Zwischenspiel. Allein, am Kreuz, in der Finsternis, stellte er sinnbildlich alles dar, was in diesen tragischen und qualvollen Worten verkörpert war. Die Zahl Drei ist eine der wichtigsten und heiligsten Zahlen. Sie steht für Göttlichkeit und auch für die vollkommen gewordene Menschheit. Christus, der vollkommene Mensch, hing «drei Stunden» am Kreuz, und in dieser Zeit war jeder der drei Aspekte seiner Natur bis zur höchsten Vorstellungsfähigkeit und daraus folgendem Leiden angespannt. Am Ende entrang sich dieser dreifachen Persönlichkeit der Schrei: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?»

Christus war durch alle Episoden höchster Angleichung hindurchgegangen. Die Verklärungs-Erfahrung war gerade vorüber. Lasst uns diese Tatsache nicht vergessen! In dieser Erfahrung war ihm Gott nahe gewesen, und der verklärte Christus schien in seiner Einweihung Gott und Mensch zu verbinden. Er hatte gerade das Wort gesprochen, das die Beziehung zwischen der Körpernatur, dem Marien-Aspekt, und der Persönlichkeit, in der Person des Johannes, bestätigte, dem Symbol einer Persönlichkeit, die es zu einer sehr hohen Stufe von Vollkommenheit und Erkenntnis gebracht hatte. Nun rang er drei lange Stunden in der Dunkelheit mit dem Problem der Beziehung von Gott und Seele. Geist und Seele müssen zu einer grossen Einheit verschmolzen und verbunden werden, ebenso, wie er bereits Körper und Seele verschmolzen und diese Vollendung in der Verklärung bezeugt hatte. Plötzlich entdeckte [220] er, dass alles in der Vergangenheit Erreichte, alles, was er getan hatte, nur das Vorspiel war zu einem weiteren Sühneopfer, dem er sich als Mensch zu unterziehen hatte. Da am Kreuz, in voller Öffentlichkeit, musste er allem entsagen, an was er sich bisher gehalten hatte, seine Seele, und für einen kurzen Augenblick erkennen, dass in dieser Entsagung alles auf dem Spiel stand. Selbst das Bewusstsein, dass er der Sohn Gottes war, die im Fleisch inkarnierte Seele (für die er gekämpft und sich geopfert hatte) sollte vergehen und er, aller Kontakte beraubt, zurückgelassen werden. Nichts war da, was dieses Gefühl der Leere füllen konnte. Er schien verlassen, nicht nur von den Menschen, sondern auch von Gott. Worauf er sich gestützt hatte, die Göttlichkeit, der er sicher gewesen war, wurde als ein blosses Gefühl empfunden. Auch dieses Gefühl musste er übersteigen. Alles musste losgelassen werden.

Es war diese Erfahrung, die Christus den Weg zum Herzen Gottes selbst bahnte. Nur wenn die Seele allein zu stehen gelernt hat, ihrer Göttlichkeit sicher, und diese Göttlichkeit doch äusserlich nicht erkennbar ist, kann das wahre Zentrum geistigen Lebens als dauerhaft und ewig erkannt werden. Mit dieser Erfahrung machte sich Christus für die Auferstehungs-Einweihung bereit und bewies so sich

Netnews Homepage     Zurück     Vorwärts      Index      Inhaltsverzeichnis
Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.