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Die Seele und ihr Mechanismus, Seite 80 ff. (engl.)
Bewusstsein sein), sondern um jenen komplizierten Wirkungszusammenhang verständlich zu machen, den wir Leben nennen, erschuf der Mensch die Seelenvorstellung. Wir betonten schon früher, dass in allen primitiven Kulturen "Seele" keineswegs identisch ist mit Bewusstsein, dass diese Gleichsetzung eine späte philosophische Einschränkung ist; in Wahrheit ist das, was der primitive Mensch unter "Seele" versteht, das gleiche, was wir heute "Leben" nennen. Die Begriffe "beseelt" und "belebt" sind völlig identisch, ebenso die Begriffe "entseelt" und "tot". Das griechische Wort "Psyche" bedeutet keineswegs bloss Bewusstsein, sondern kann zumeist einfach mit "Leben" übersetzt werden, und ähnlich können in vielen Fällen die deutschen Worte "Leben" und "Seele" vertauscht werden. ...

Insofern aber treffen wir uns dennoch mit beiden Hauptrichtungen der neueren Philosophie. Auch die neueren Materialisten waren zur Erkenntnis gelangt, dass die Seele nicht ein Stoff ist, sondern dass die seelischen Vorgänge am Stoff geschehen, und hatten sie deshalb mit "Bewegung" gleichgesetzt. Andererseits hatten auch die Bewusstseinstheoretiker die seelischen Vorgänge als "Geschehen" angesehen, das sie irgendwie mit körperlichen Bewegungen in Beziehung bringen mussten.

Wir nehmen beides auf. Was wir Seele nennen, ist weder eine ausgedehnte noch eine denkende "Substanz", es ist überhaupt nicht "Substanz", sondern ein höchst kompliziertes Geschehen, ein Zusammenhang von Wirkungen, der sich einerseits im Aufbau des Körpers, andererseits im Bewusstsein offenbart.

Unsere Lehre, welche [81] die Welt nicht in Stoff und Bewusstsein auseinanderreisst, sondern ein Zwischenglied zwischen beide setzt, das sich einerseits stofflich darstellt, aber auch Voraussetzung für das Bewusstsein ist, unterscheidet sich jedoch von Materialismus wie Konscientialismus dadurch, dass sie weder im Stoff allein noch im Bewusstsein allein das Wesen der Seele sieht. Vielmehr erscheinen uns Bewusstsein wie Leib nur als Wirkungen eines sie beide umfassenden "Dritten", das sowohl das Bewusstsein hervorbringt wie den rohen Stoff gestaltet. Wir sahen bereits, dass das Bewusstsein mit Notwendigkeit ein solch tieferes "Wesen", die Stofftheorie dagegen eine gestaltende «Kraft» fordert, die den Leib formt und damit auch die Seele. Man könnte diese Theorie, die jene Einseitigkeiten ebenso wie ihren Dualismus vermeidet, "monistisch" nennen, wenn nicht dieser Begriff abgebraucht wäre und wenn sich nicht auch die Bewusstseinstheorie wie die Stofftheorie - allerdings zu unrecht - monistisch nennten. Wir heissen die Theorie, der wir zustreben, entweder dynamistisch, weil sich ihr das Wesen der Seele als gerichtete Kraft darstellt; wir heissen sie auch vitalistisch, weil diese Kraft, die dem Körper Form verleiht und das Bewusstsein erzeugt, sich als identisch mit dem "Leben" erweist.» (Müller-Freienfels, R.: Geheimnisse der Seele, S. 36, 38-40)

Wir erhalten einen Fingerzeig hinsichtlich der Beziehung zwischen diesen dreien - Geist, Seele und Körper - in den Worten der Geheimlehre:

«Wir sehen Leben als die Eine Form der Existenz an, die sich in dem, was Materie genannt wird, manifestiert; oder was wir, wenn wir sie fälschlich trennen, im Menschen Geist, Seele und Materie nennen. Materie ist der Körper für die Manifestation der Seele auf [82] dieser Existenzebene, und Seele ist der Körper auf einer höheren Ebene für die Manifestation des Geistes, und diese drei sind eine Dreiheit, die durch Leben, das sie alle durchdringt, synthetisch verbunden werden.» (Blavatsky, H. P.: The Secret Doctrine (Die Geheimlehre), Band I, S. 79, 80)

Die Seele, das Selbst, sind in der orientalischen Literatur gleichbedeutende Begriffe. Die hauptsächliche Abhandlung über die Seele, ihr Wesen, ihren Zweck und die Art ihrer Existenz ist jene berühmteste aller östlichen Schriften, die Bhagavad Gita. Deussen fasst die Lehre in bezug auf den Atma, das Selbst oder die Seele, folgendermassen zusammen:

«Halten wir für den gegenwärtigen Zweck an dieser Unterscheidung des Brahman als kosmischen Prinzips von dem Atman als psychischem Prinzip fest, so lässt sich der Grundgedanke der ganzen Upanishad-Philosophie ausdrücken durch die einfache Gleichung:

Brahman = Atman,

das heisst: das Brahman, die Kraft, welche in allen Wesen verkörpert vor uns steht, welche alle Welten schafft, trägt, erhält und wieder in sich zurücknimmt, diese ewige, unendliche, göttliche Kraft ist identisch mit dem Atman, mit demjenigen, was wir, nach Abzug alles Äusserlichen, als unser innerstes und wahres Wesen, als unser eigentliches Selbst, als die Seele in uns finden. Diese Identität des Brahman und des Atman, Gottes und der Seele, ist der Grundgedanke der ganzen Upanishad-Lehre. ...

Der Atman ist, wie schon öfter hervorgehoben wurde, ein vieldeutiger Begriff; das Wort bedeutet nichts weiter als «das Selbst», und es kommt alles darauf an, was wir als unser Selbst ansehen. Hier sind drei Standpunkte möglich, je nachdem man unter dem Atman versteht 1. das körperliche Selbst, den Leib, oder 2. die [83] vom Körper freie, aber individuelle Seele, welche als Subjekt des Erkennens den Objekten als einem andern gegenübersteht, oder 3. die höchste Seele, in welcher Subjekt und Objekt noch nicht auseinandergetreten sind, oder, nach indischer Auffassung, welche das objektlose Subjekt des Erkennens ist.» (Deussen, P.: Die Philosophie der Upanishads, S. 36-37, 86)

Ein orientalischer Schriftsteller gibt folgende Erklärungen:

«Alle organischen Wesen haben ein Prinzip der Selbstbestimmung, das gewöhnlich "Seele" genannt wird. Im genauen Sinn des Wortes gehört "Seele" jedem Wesen an, das Leben besitzt, und die verschiedenen Seelen sind ihrem Wesen nach grundsätzlich identisch. Die Unterschiede sind eine Folge der physischen Organisationen, die das Leben der Seele verbergen und verdunkeln. Die Natur der Körper, in welche die Seelen einverleibt sind, erklärt die verschiedenen Grade ihrer Verdunkelung.

Jeder Buddhi, mit seinem Verständnis der Sinne und dergleichen, ist ein isolierter Organismus, der durch sein vergangenes Karma bestimmt ist, und hat seine eigene spezielle damit verbundene Unwissenheit (avidya). Das Ego ist die psychologische Einheit jenes Stromes bewussten Erfahrens, die das konstituiert, was wir als das innere Leben eines empirischen Ich's kennen.

Das Empirische Ich ist die Mischung von freiem Geist und Mechanismus, von purusha und prakriti. ... Jedes Ego besitzt innerhalb des groben materiellen Körpers, der beim Tod aufgelöst wird, einen subtilen Körper, der von dem psychischen Apparat, einschliesslich der Sinne, gebildet wird.» (Radhakrishnan, S.: Indian Philosophy (Indische Philosophie), Band II, S. 279, 283, 284)

Eine indische Schrift fasst diese Lehre folgendermassen zusammen:

«Es gibt also [84] vier Atmas - das Leben, den Denkaspekt, die Seele und den Geist. Die letzte Kraft, die der makrokosmischen Macht der Manifestationen von Seele, Denkaspekt und Lebensprinzip zugrundeliegt, ist der Geist.» (Prasad, R.: Natures Finer Forces (Die feineren Naturkräfte), S. 121, zitiert aus der Prashnopanishad.)

Alles scheint daher ein Ausdruck der Lebenskraft zu sein, und wir fangen an, so an die Wahrheit heranzutreten, wie sie im Osten formuliert wird, dass Materie Geist oder Energie in ihrer niedrigsten Manifestation und Geist Materie in ihrem höchsten Ausdruck ist. Zwischen diese beiden Extreme kommen jene verschiedenen Ausdrucksweisen des manifestierten Lebens - Bewusstseins, die das Interesse des religiösen Menschen, des Psychologen, des Wissenschaftlers und des Philosophen in Anspruch nehmen, je nach ihren speziellen Voreingenommenheiten und Neigungen, und manifestieren sich in Zeit und Raum. Alle studieren den verschiedenen Aspekt des einen beseelenden Lebens.

Die Differenzierungen, die Terminologien und die Aufstellungen im Zusammenhang mit diesen verschiedenen Annäherungen an die Wahrheit sind die Ursache für einen grossen Teil der Verwirrung. Wir beschäftigen uns damit, eine einheitliche Realität in Teile zu zerlegen, und dadurch verlieren wir unser Gefühl für richtige Proportion und legen übermässige Betonung auf jenen speziellen Teil, den wir zufällig vorübergehend analysieren. Aber das Ganze bleibt unversehrt und unsere Verwirklichung dieser Realität nimmt zu, wenn wir in unserem Bewusstsein alles einschliessen und an einer wirklichen Erfahrung teilnehmen.

Das Zeugnis dieser Erfahrung kann bis an die Uranfänge der Zeit zurückverfolgt werden. Vom Erscheinen der menschlichen [85] Familie in der sich entfaltenden evolutionären Entwicklung des Weltplanes an hat es eine parallellaufende fortschreitende Entwicklung der Gottesidee gegeben, um die Natur zu erklären, und der Seelenidee, um den Menschen zu erklären. Eine Anthologie der Seele ist noch nicht verfasst worden, wahrscheinlich schreckt der ungeheure Umfang der Aufgabe davon ab.

Spekulationen darüber, wo die Seele zu finden ist und wo sie innerhalb der menschlichen Form lokalisiert sein mag, hat es stets gegeben. Ein paar dieser vorgebrachten Theorien könnten hier berührt werden.

Plato war der Ansicht, dass das vitale Prinzip im Gehirn sei und dass Gehirn und Rückenmark vitale Kraft koordinierten, während

Strato sie in den vorderen Teil des Gehirns zwischen die Augenbrauen verlegte.

Hippokrates legte das Bewusstsein oder die Seele ins Gehirn, und

Berophilus machte den calamus scriptorius zum hauptsächlichen Sitz der Seele.

Erasistratos lokalisierte die Seele im Kleinhirn (Cerebellum) und erklärte, dass sie sich mit der Koordination von Bewegung befasse.

Galen, der grosse Vorläufer der modernen medizinischen Methoden, setzte sich für die vierte Gehirnkammer als Heim der Seele im Menschen ein.

Hippolytus (3. Jahrhundert n. Chr.) sagt: «Die Membranen im Kopf werden sanft vom Geist bewegt, welcher sich der Zirbeldrüse nähert. Dicht bei ihr ist der Eingang zum Kleinhirn, der den Strom des Geistes hereinlässt und ihn in die Wirbelsäule weitergibt. Dieses Kleinhirn [86] zieht die spirituelle und lebensverleihende Substanz durch die Zirbeldrüse durch einen unbeschreibbaren und unerforschbaren Prozess an.

Augustinus war der Ansicht, dass die Seele ihren Sitz in der mittleren Gehirnkammer habe.

Die arabischen Philosophen, die das Denken des Mittelalters so stark formten, identifizierten die Gehirnkammer als Sitz der Seele oder des bewussten Lebens.

Hollander sagt uns:

«Der Grund dafür, dass die alten Philosophen, von denen die Araber diese Lokalisierung annahmen, die Fähigkeiten in gewisse Zellen legten, womit sie Höhlungen oder Kammern meinten, war wahrscheinlich, um der Seele, der gasförmigen Substanz, mehr Raum geben zu wollen, um sich auszudehnen. ... Einige unterschieden folgende vier Regionen: Die erste oder äussere Kammer des Gehirns, die scheinbar nach der Stirn gerichtet ist, war die Kammer des gesunden Menschenverstandes, weil angenommen wurde, dass die Nerven der fünf äusseren Sinne von ihr abzweigen und alle Sensationen mit Hilfe der Nerven in ihr zusammengebracht werden. Die zweite Kammer, die durch eine winzige Öffnung mit der ersten verbunden ist, wurde als Sitz der Vorstellungskraft festgelegt weil die Eindrücke von den fünf äusseren Sinnen als zweites Stadium ihres Fortschreitens durch das Gehirn von der ersten Kammer in sie hinein übertragen werden. Die dritte Kammer war der Sitz des Verständnisses; und die vierte war dem Gedächtnis geweiht, weil sie bequem als Lagerraum gelegen war, in den die Konzeptionen des Denkaspekts, die in der zweiten Kammer verarbeitet worden sind, zur Beachtung und Ansammlung übertragen werden könnten. Tatsächlich besteht die sogenannte vordere Kammer aus zwei Kammern: der rechts- und linksseitigen Kammer, die [87] miteinander in Verbindung stehen und durch die Foramen von Monro in die dritte Kammer - die in alten Zeiten die mittlere Kammer genannt wurde - weiterführen. Die dritte Kammer steht durch den Kanal des Sylvius mit der vierten Kammer - die im Altertum die hintere Kammer genannt wurde - in Verbindung.

Die seitlichen Kammern sind durch den Corpus callosum überdacht; die dritte

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Last updated Saturday, February 14, 1998           © 1998 Netnews Association. All rights reserved.